Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen überschattet – und es in einem Ausmaß verändert, wie es sich niemand Anfang des vergangenen Jahres hätte vorstellen können. Gabriel Deufel, Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Radolfzell und Jennifer Kuhn, Notfallsanitäterin und Leiterin der Rettungswache Radolfzell und Stockach, schildern im neunten Teil unserer Serie, wie sie das Jahr 2020 unter Corona-Bedingungen erlebt haben, was sie betroffen machte und was ihnen an 2020 trotzdem gefällt.

So war das Jahr

Ein Großteil ihrer 12-Stunden-Schicht liegt noch vor ihnen, als Jennifer Kuhn und Gabriel Deufel in Kuhns Büro von ihrem Jahr erzählen. Ein Stock tiefer, in der Fahrzeughalle, fährt ein Rettungswagen ein. In Kuhns Büro klingelt das Telefon, weil Kollegen sich mit ihr über den Dienstplan austauschen wollen. „Ist also alles wie immer“, sagt die Notfallsanitäterin. „Wir fahren unsere Einsätze, kümmern uns um die Patienten, wir arbeiten, ob Corona oder nicht.“ Und doch sei dieses Jahr anders. Bedrückender. Schwerer.

Jennifer Kuhn deutet auf ein kleines EKG-Gerät, das an ihrem Schreibtisch lehnt. Unscheinbar. Und doch so wichtig. „Wenn mit wir mit Notfallrucksack, Beatmungsgerät, Absaugpumpe und EKG-Gerät zu einem Einsatz fahren, sind das ein paar Kilo, die wir mit uns rumtragen.“

Das könnte Sie auch interessieren

Die Arbeit ist mit Masken anstrengender

Das Atmen sei mit Maske aber schwerer. „Das ist wirklich anstrengend, eine FFP-2 Maske zu tragen, wenn man ganzen Kram schleppen muss“, sagt Kuhn. Und das oft unter Zeitdruck. Die Maske sei natürlich wichtig, aber sie beeinträchtige vieles. „Wenn du 20 Minuten mit einer Maske reanimierst oder einen Patienten mit Maske aus dem vierten Stock trägst, ist das sehr mühsam“, sagt auch Gabriel Deufel. Nur gehe es nicht anders: Gerade im Rettungsdienst lasse sich der Abstand kaum einhalten. Körperkontakt und Nähe seien in Notfällen überlebenswichtig.

„Wenn du 20 Minuten mit einer Maske reanimierst oder einen Patienten mit Maske aus dem vierten Stock trägst, ist das sehr ...
„Wenn du 20 Minuten mit einer Maske reanimierst oder einen Patienten mit Maske aus dem vierten Stock trägst, ist das sehr mühsam“ – Gabriel Deufel | Bild: Daniela Biehl

Bestehe der Verdacht auf eine Covid-19 Infektion werde das vorher gemeldet. In der Regel zumindest. Sodass Jennifer Kuhn, Gabriel Deufel und ihr Team schon mit Schutzanzügen, Handschuhen, Hauben und natürlich mit Masken anrücken. Ganz ungewöhnlich sei das nicht. „Es gab auch vor Corona Infektionskrankheiten, vor denen wir uns schützen mussten“, sagt Gabriel Deufel.

Vorbildliches Verhalten und weniger Einsätze

Viel unterwegs zu sein, Menschen zu helfen, Leben zu retten. Sich auf unerwartete Situationen einzustellen. All das liebt er an seinem Beruf. Seit 30 Jahren ist der Radolfzeller beim DRK, Jennifer Kuhn seit zehn. Und in dieser Zeit haben beide während ihrer Einsätze viel erlebt: Sie begegneten Menschen, die sich selbst fremd geworden waren, die hysterisch wurden, schrien und spuckten. Menschen, die hilflos waren, verunsichert oder nicht gar mehr bei Bewusstsein. Sie gingen in Wohnungen, die ihnen fremd waren. Mal penibel aufgeräumt, mal verdreckt. „Wir wissen nie, was uns erwartet“, sagt Kuhn. „Nur, dass jemand Hilfe braucht.“

Das könnte Sie auch interessieren

Zwei Dinge seien in diesem Jahr besonders aufgefallen. „Wenn wir die Wohnungen betreten haben, hatten vielen Patienten und auch die Angehörigen schon die Maske an.“ So ein vorbildliches Verhalten erleben die beiden sonst nicht.

Das könnte Sie auch interessieren

Und gerade während der Anfangsphase der Corona-Pandemie seien die Einsätze stark zurückgegangen. „Vielleicht, weil viele die Krankenhäuser gemieden haben. Aus Angst sich anzustecken. Vielleicht, weil es weniger Unfälle gab, weil die Menschen zu Hause geblieben sind“, mutmaßt Deufel. Und betont, dass es auch weniger unnötige Einsätze gegeben habe. „Wir wurden auch gerufen, wenn jemand nur Rückenschmerzen hatte, sich unwohl fühle oder einsam war.“ Seit der Pandemie gehe es wieder um die wirklichen Notfälle.

Was besonders herausfordernd war

„Wenn wir Patienten transportieren, deren Situation kritisch ist, merken das auch die Angehörigen. Sie wollen sich dann nicht von ihnen trennen“, sagt Jennifer Kuhn. „Vor Corona haben wir die Angehörigen deshalb oft mitgenommen.“ Vorne im Fahrzeug sei dafür extra ein Platz reserviert gewesen. Doch seit der Pandemie sei das nicht mehr möglich – und für die Notfallsanitäter sei das emotional herausfordernd. Denn: „Wie beruhigt man einen Angehörigen, wenn man spürt, dass unser Transport schon ein Abschiednehmen ist“, sagt Kuhn. „Und wir unter Zeitdruck stehen.“

„Wie beruhigt man einen Angehörigen, wenn man spürt, dass unser Transport schon ein Abschiednehmen ist und wir unter Zeitdruck ...
„Wie beruhigt man einen Angehörigen, wenn man spürt, dass unser Transport schon ein Abschiednehmen ist und wir unter Zeitdruck stehen?“ – Jennifer Kuhn | Bild: Daniela Biehl

Eine logistische Herausforderung sei zudem die Bestellung von Masken, Desinfektionsmitteln und Schutzhandschuhen gewesen. In der Radolfzeller Wache sei das Zentrallager des ganzen Landkreises untergebracht: „Wir mussten also für alle Wachen bestellen und den Bedarf koordinieren.“ Und das in einer Zeit, in der die Preise in die Höhe schnellten und das Schutzmaterial rar wurde.

Was trotz allem gut war an 2020 und berührte

In Normalzeiten, sagt Gabriel Deufel, sei er fast jeden Abend auf einer Probe, einem Termin oder einer Sitzung. Denn der Radolfzeller sitzt im Gemeinderat, ist in Vereinen aktiv und spielt in der Froschenkapelle. „Das ist dieses Jahr alles ausgefallen.“ Und das empfand er als entschleunigend.

Das könnte Sie auch interessieren

Mit der Arbeit einmal fertig, sei er mit dem Rad nach Hause gefahren. Um den Kopf freizukriegen. „Und zuhause habe ich das Rad in der Garage abgestellt, es mir mit einem Bier auf der Terrasse gemütlich gemacht und die Vögel beobachtet. Und ganz ehrlich: Ich habe noch nie so viele Vögel gesehen.“ Weil er immer auf dem Sprung sei. Sich die Zeit dafür nicht nehme.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch für Jennifer Kuhn waren es kleine Momente, die ihr Kraft gaben. „Nach dem Lockdown im Frühjahr haben wir ganz viele Spenden bekommen“, sagt sie. Einzelhändler, Supermärkte und Privatpersonen seien mit ihren Autos voller Schokohasen, Ostereiern und Kaffeebohnen zum DRK gefahren, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. „Das tut auch mal gut, wenn man sowas erlebt“, sagt Jennifer Kuhn.

Das könnte Sie auch interessieren

Was sich Gabriel Deufel und Jennifer Kuhn wünschen

„Für uns gab es keinen Zuschuss, keinen Corona-Bonus, wie ihn Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen bekommen haben“, sagt Gabriel Deufel. Und man merkt, es wurmt ihn. Weil Notfallsanitäter in der Politik noch immer nicht wahrgenommen würden. Auch Kuhn sagt, es gehe nicht ums Geld, sondern um die Anerkennung, die damit verbunden sei. „Die wünschen wir uns von der Politik“, sagt sie.