Jörg Braun

Herr Bilgery, ist das Insolvenzverfahren der GVV schon abgeschlossen?

Das Insolvenzverfahren der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH ist noch nicht abgeschlossen. Mit dem Abschluss des Insolvenzverfahrens rechne ich nicht vor Ende nächsten Jahres.

Sind Sie mit dem Verlauf des Verfahrens zufrieden?

Es ist gelungen, den gesamten Immobilienbestand der GVV in kurzer Zeit zu verkaufen. Es konnte dabei ein angemessener Kaufpreis erzielt werden, der es mir ermöglichen wird, die Forderungen der Gläubiger der GVV zumindest mit einer sehr hohen Quote, vielleicht sogar vollständig, befriedigen zu können. Ich bin deshalb mit dem bisherigen Verlauf des Insolvenzverfahrens sehr zufrieden.

Was passierte mit den GVV-Mitarbeitern?

Die zuletzt noch bei der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH beschäftigten Arbeitnehmer haben meines Wissens alle einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Einige wurden von dem Konsortium angestellt, an das ich das Immobilienpaket verkaufte. Andere haben einen Arbeitsplatz in der Stadtverwaltung von Singen bekommen oder sich selbst anderswo beworben.

Sind die GVV-Grundstücke notariell nun an Oswa transferiert?

Die Voraussetzungen für die Umschreibung des Eigentums an den Grundstücken, die an das Konsortium verkauft wurden, liegen vor. Es muss lediglich noch die Eintragung im Grundbuch erfolgen.

Blieb es bei den 163 Gläubigern, die befriedigt werden mussten?

Es liegen mir bis jetzt 247 Forderungsanmeldungen vor. Das förmliche Prüfverfahren vor dem Insolvenzgericht dauert noch an.

Haben diese alle ihre Forderungen erstattet bekommen, hat also der Verkaufserlös an Oswa ausgereicht?

Es sind bislang diejenigen Gläubiger befriedigt worden, für die auf dem Grundbesitz der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH Grundpfandrechte eingetragen waren. Bei diesen Grundpfandgläubigern handelt es sich durchweg um Banken. Nicht alle Banken sind aber durch Grundpfandrechte gesichert. Ich erwarte, dass aus den Kaufpreisen für den Immobilienbestand und dem sonstigen Vermögen der GVV auch die übrigen Gläubiger zumindest mit einer hohen Quote befriedigt werden können.

Wie viel waren die GVV-Immobilien bei der Wertbegutachtung 2014 wert?

Nach den Gutachten, welches die GVV im Jahr 2014 in Auftrag gab, lag der Wert der Immobilien bei 59 Millionen Euro.

Wie viel waren diese Immobilien am Ende der GVV noch wert? Für die 460 Wohnungen und 150 Gewerbeeinheiten und Grundstücke sollen 50 bis 55 Millionen Euro erzielt worden sein.

Der größte Teil der Immobilen wurde an ein Konsortium internationaler Anleger verkauft. Mit den Käufern wurde, wie dies in solchen Fällen üblich ist, Stillschweigen über die Höhe des Kaufpreises vereinbart.

Trifft es zu, dass die Wertanpassung nach unten, beim Verkauf, also beim "Zerschlagungswert", bis zu 20 Millionen Euro betragen hat?

Dies ist nicht zutreffend.

Lässt sich die Höhe des Schadens für die Stadt Singen nun näher beziffern?

Die Stadt Singen hat bei mir Forderungen in Höhe von rund neun Millionen Euro angemeldet. Bei diesen Forderungen handelt es sich überwiegend um Kassendarlehen, welche die Stadt Singen der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH gab.

Die Darlehensforderungen der Stadt Singen sind gegenüber den Forderungen der sonstigen Gläubiger nachrangig. Dies bedeutet, dass an die Stadt Singen aus der Insolvenzmasse erst Zahlungen geleistet werden können, wenn alle übrigen Gläubiger vollständig befriedigt sind. Ob dies gelingen wird, steht heute noch nicht fest.

Darüber hinaus wurde die Stadt Singen nach dem Insolvenzantrag aus Bürgschaften in Anspruch genommen. Meines Wissens erfolgten hierauf Zahlungen In Höhe von rund 4,9 Millionen Euro. Weitere Bürgschaften über insgesamt rund 8,3 Millionen Euro sind streitig, weil die Stadt Singen diese Bürgschaften für europarechtswidrig und unwirksam hält. Dies ist insgesamt jedoch nur ein Teil des Schadens der Stadt Singen.

Der Schaden der Stadt liegt hauptsächlich darin, dass sie nach Gründung der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH umfangreichen städtischen Immobilienbesitz in die GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH einlegte und die Beteiligung der Stadt an der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH nunmehr wertlos ist. Die genaue Höhe ihres Schadens kann die Stadt Singen nur selbst beziffern.

Wie viel kostet die Insolvenzverwaltung? Nach der Insolvenzverordnung reichen die Kosten geschätzt auf 1 bis 1,5 Millionen Euro.

Für die Kosten des Insolvenzverfahrens gibt es eine gesetzliche Gebührenordnung. Das Insolvenzgericht setzt die Gebühren am Ende des Insolvenzverfahrens fest.

In Singen wurden Stimmen laut, dass die Insolvenz angesichts der vorhandenen Masse gar nicht nötig gewesen sei und eine Rettung durch eine Kapitalerhöhung möglich gewesen sei. Was sagen Sie?

Der Geschäftsbetrieb der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH war zuletzt defizitär. Die laufenden Einnahmen reichten nicht aus, die laufenden Ausgaben, insbesondere den Schuldendienst für Bankdarlehen, zu decken. Die GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH hat deshalb ein Sanierungskonzept ausgearbeitet, das im Wesentlichen auf zwei Säulen beruhte: Die Stadt Singen sollte alle ihre Bürgschaften einlösen, um den Schuldendienst zu reduzieren. Ferner sollten die Gewerbeimmobilien zum Teil verkauft werden und im Übrigen nur noch die Wohnimmobilien im Bestand der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH verbleiben.

Beide Voraussetzungen für die beabsichtigte Sanierung waren, wie sich im Nachhinein herausstellte, nicht gegeben. Die Stadt Singen als Gesellschafterin der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH sah sich aus europarechtlichen Gründen außerstande, ihre Bürgschaftsverpflichtungen vollständig zu erfüllen. Aus den Erfahrungen, die ich als Insolvenzverwalter gemacht habe, wäre es auch nicht gelungen, Investoren nur für den Gewerbeimmobilienbestand der GVV Städtische Wohnbaugesellschaft Singen mbH zu finden. Aus diesen Gründen war das Insolvenzverfahren unvermeidbar.

Die Stadt wollte die Wohnungen ja erwerben. Für eine Aufsplitterung des GVV-Bestands, also Wohnungen und Gewerbe-Immobilien, gab es keine Kaufinteressenten?

Dies ist zutreffend. Es wurde mir sehr schnell klar, dass ein Verkauf der Gewerbeimmobilien ohne die Wohnimmobilien nicht machbar ist. Es wurde ein breit angelegtes Bietverfahren durchgeführt. Dabei gab es Interessensbekundungen insbesondere für Wohnimmobilien und so gut wie keine Nachfrage nach den Gewerbeimmobilien. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Wohn- und Gewerbeimmobilien nur als Paket anzubieten. Das Angebot der Stadt Singen konnte ich deshalb nicht berücksichtigen. Immerhin war es möglich, einige Immobilien, in denen besonders schutzwürdige Mieter wohnen, an die Stadt zu verkaufen: das Asylantenheim in der Friedinger Straße, Gebäude in der Duchtlinger und Rielasinger Straße und die Waldheimsiedlung.

 

Fragen: Jörg Braun

Zu Person und Fall

Der Insolvenzverwalter Wolfgang Bilgery (Bild) ist Anwalt bei der Kanzlei Grub Brugger in Stuttgart, die sich auf Insolvenzrecht spezialisiert hat. Sie hat mehrere Insolvenzverfahren auch hier in der Region betreut, unter anderem bei der Alustockach, bei Schiesser in Radolfzell und bei Hess Leuchten in Villingen.

Die Pleite der GVV beschäftigt bald den Singener Gemeinderat. OB Bernd Häusler will eine Aussprache über die Pleite und politische Verantwortlichkeiten noch im Frühjahr ansetzen, hatte er jüngst auf SÜDKURIER-Nachfrage erklärt.

Die rechtliche Aufarbeitung läuft über die Staatsanwaltschaft Konstanz, die derzeit den Untersuchungsbericht der Stadt prüft. (jöb)