Ein Stuhl im Singener Gemeinderat wird erst einmal leer bleiben, zumindest für elf Monate. Denn AfD-Mann André Rehm muss ins Gefängnis. Der Singener, der für die Alternative für Deutschland (AfD) in den Gemeinderat nachrücken soll, wurde vom Landgericht in Konstanz wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung und Bedrohung zu einer Haftstrafe von elf Monaten ohne Bewährung verurteilt. Rehms Anwalt hatte für einen Freispruch seines Mandanten plädiert.

Damit folgte das Landgericht dem Urteil des Singener Amtsgerichts zum größten Teil. Dieses hatte Rehm in erster Instanz im März 2024 wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung, Betrug und leichter Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt.

Im Vorfeld stellte sich die Frage, ab wann man zu kriminell für den Gemeinderat ist. Denn der AfD-Mann sollte in den Gemeinderat Singen nachrücken, nachdem Thomas Frischmuth sein Amt nach einem Wohnortswechsel aufgegeben hat. Eine investigative SÜDKURIER-Recherche hatte herausgefunden, dass Rehm sich bereits während der Kommunalwahl 2024 wegen mehrerer Straftaten verantworten musste.

Dicke Strafakte, aber kein Hinderungsgrund

Die Anklageschrift war lang. Ihm wurde gefährliche Körperverletzung, versuchte Nötigung, Bedrohung und einfache Körperverletzung vorgeworfen. Die einfache Körperverletzung wurde allerdings eingestellt. Erschwerend hinzu kam aber, dass Rehm kein Unbekannter im deutschen Justizsystem ist. Wie SÜDKURIER-Recherchen im Vorfeld der aktuellen Verhandlung in Konstanz ergeben haben, ist er schon mehrfach vorbestraft. Unter anderem wegen Urkundenfälschung, schwerer Körperverletzung, Diebstahl und illegalem Waffenbesitz.

Richter Tasso Bonath ließ bei seinem Schuldspruch keine Zweifel aufkommen. Er betonte, dass das Gericht sich sicher sei, dass Rehm im März 2023 einen jungen Mann am Hals gewürgt und anschließend gedroht haben soll, ihn „abzustechen, sollte er zur Polizei gehen“. Außerdem habe er im Februar 2024 einem Mann eine Waffe an den Kopf gehalten. Mehrere Zeugen hatten Rehm sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht diesbezüglich belastet. „Alle Zeugen haben keinen Anlass, Rehm unschuldig zu belasten“, so Bonath.

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Der Richter habe keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen – auch wenn der letzte Zeuge, der am Freitag aussagte, offenkundig unter großem Druck gestanden habe, so Bonath. Man habe gesehen, dass er Angst hatte.

Opfer macht einen eingeschüchterten Eindruck

Tatsächlich begann der zweite Verhandlungstag mit zwei Überraschungen. Zum einen revidierte das mutmaßliche Opfer, das Rehm im März 2023 bei einem Supermarkt in der Singener Südstadt gewürgt haben soll, vor dem Landgericht Teile seiner bisherigen Aussage bei der Polizei und vor dem Singener Amtsgericht. Er könne sich nicht mehr an alles erinnern, lediglich, dass ein großer Mann mit schmaler Statur ihn 2023 gewürgt haben solle. Er kenne „Mocke“ – unter diesem Spitznamen ist Rehm in Singen bekannt – auch eigentlich gar nicht. „Von der Statur her passt es auch nicht“, sagte er vor dem Landgericht.

Dabei wirkte der Zeuge eingeschüchtert, sein Blick fiel immer wieder in Richtung Boden. Bei seinen Angaben sprach er so leise, dass er im Saal kaum zu verstehen war. Immer wieder rieb er seine Hände aneinander, saß mit eingefallenen Schultern auf seinem Stuhl. „Dass hier Angst und Einschüchterung eine Rolle spielt, sieht man“, befand Richter Bonath.

Bereits am ersten Verhandlungstag unterstrich ein Polizist den Ruf des Angeklagten: „Herr Rehm ist polizeibekannt und er hat unter Jugendlichen einen gewissen Ruf.“ Er könne sich vorstellen, dass Menschen Angst vor Rehm hätten

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Falschaussage? Alibi bröckelt plötzlich

Eine zweite Überraschung, die maßgeblich für das anschließende Urteil war, lieferte eine Bekannte Rehms, die ihm für die Tat im März 2023 ein Alibi gegeben hatte. Laut Richter Bonath sei sie kürzlich vor dem Amtsgericht wegen Falschaussage rechtswirksam verurteilt worden. Auch vor dem Landgericht revidierte sie Teile ihrer Aussagen. So habe sie zwar Teile des Tattages mit Rehm verbracht, allerdings sei er nicht die ganze Nacht bei ihr gewesen, wie sie vor dem Amtsgericht noch behauptet hatte.

Richter Bonath ordnete dies folgendermaßen ein: „Diese Falschaussage macht nur dann Sinn, wenn Rehm ein Alibi brauchte, um etwas zu verbergen.“

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Das Landgericht verzichtete darauf, erneut eine Bewährungsstrafe auszusprechen. Dafür gibt es mehrere Gründe, wie Richter Bonath erklärte: „Dem Angeklagten fehlt jegliche Einsicht.“ Zudem habe Rehm starke kriminelle Energien gezeigt. So habe er laut Bonath eines seines Opfer in einen Hinterhalt gelockt, dem anderen eine Waffe an den Kopf gehalten. Außerdem sei er zum Tatzeitpunkt bereits unter Bewährung bestanden.

Kann Rehm trotzdem in den Gemeinderat?

Trotz mehrfacher Vorstrafen und jetzt einer Haftstrafe von elf Monaten ohne Bewährung – an Rehms Amtsfähigkeit für den Singener Gemeinderat ändert das nichts, wie eine Nachfrage bei Mirja Poenig, Pressesprecherin beim Landgericht Konstanz, bereits im Vorfeld ergab. Denn um seine Amtsfähigkeit zu verlieren, müsse die begangene Tat auch entsprechend gravierend sein.

Laut dem Strafgesetzbuch muss ein einziger der Tatvorwürfe bereits eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr nach sich ziehen. Im aktuellen Fall von André Rehm trifft dies nicht zu, da mehrere Vorwürfe zusammengefasst wurden.

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Die einzige, ganz praktische Folge: Rehm kann den Sitzungen für die Dauer seiner Haft nicht beiwohnen. Eigentlich hätte Rehm schon am Dienstag, 3. Juni, für den Singener Gemeinderat vereidigt werden sollen. Allerdings wurde die Verpflichtung verschoben. Die Stadt Singen und Rehm wollten laut einer Pressemitteilung warten, „bis das Landgericht Konstanz das letztlich rechtskräftige Strafmaß im aktuellen Berufungsverfahren gegen ihn festgelegt hat“. Rehm habe freiwillig der Verschiebung zugestimmt, so die Stadt.

Eine Nachfrage bei der Singener Stadtverwaltung ergibt, dass Rehm in einer der kommenden beiden Sitzungen vor der Sommerpause vereidigt werden könnte. Bis dahin könnte sich noch etwas an der Sachlage ändern: Rehms Anwalt Michael Busching kündigte kurz nach dem Urteil an, dass man nun prüfen werde, ob man erneut Einspruch gegen das Urteil einlegen wolle. Dafür hat Rehm laut Richter Bonath nun eine Woche Zeit.

Anmerkung der Redaktion: Normalerweise berichtet der SÜDKURIER bei Gerichtsverhandlungen anonym. Da André Rehm kurz davor ist, als Nachrücker in den Gemeinderat vereidigt zu werden und damit eine öffentliche Position bekleidet, gilt er als Person des öffentlichen Lebens. Deshalb hat sich die Lokalredaktion zur vollen Namensnennung entschieden.