Ein Pfarrer, der von seiner lang von ihm betreuten Gemeinde weggeht, ist vergleichbar mit einem Schäfer, der von seiner Herde weicht. Nicht umsonst bedeutet das lateinische Wort Pastor nichts anderes als Schäfer oder Hirte. Sinnbildlich gesehen nimmt ein Stockacher Hirte Abschied. Die Mitglieder der Pfarrgemeinde St. Oswald müssen Michael Lienhard ziehen lassen, so schwer ihnen das auch fallen mag. Lienhard wird nach 16 Jahren Dienst als Pfarrer in Stockach ab 28. Oktober die Leitung der Seelsorgeeinheit Haslach im Dekanat Offenburg-Kinzigtal übernehmen.

Michael Lienhard kam im Jahr 2005 nach Stockach und übernahm die Stockacher Pfarrgemeinde St. Oswald und neun weitere, der Gemeinde zugehörige Kirchen. Im Mai 2020 hat er gerade erst sein 30-jähriges Dienstjubiläum gefeiert, aufgrund von Corona ganz still und bescheiden. Die Entscheidung, von Stockach wegzugehen, sei dann zu Beginn dieses Jahres notwendig gewesen: Da hatte ihn der Personalchef der Diözese gefragt, ob er sich einen Arbeitsplatzwechsel vorstellen könne, denn es sollte das Zusammenwachsen der Seelsorgeeinheiten in der Region nahe Offenburg unterstützt werden. Lienhard sagt zu, weil dort auch seine Familie lebt. Ein Neustart im Alter von 57 Jahren und nach 16 Jahren am selben Wirkungsort fühle sich für ihn stimmig an.
Ökumene liegt ihm am Herzen
Im Gespräch mit dem SÜDKURIER berichtete Lienhard von vielen kleinen Abschieden in Stockach. Corona-bedingt sei eine große Abschiedsfeier nicht möglich gewesen. Er sei jedes Mal emotional sehr berührt gewesen, sagt Lienhard. Jede dieser Veranstaltungen habe ein anderes besonderes Etwas gehabt; sei es, dass ein Kirchenchor für ihn sang, dass ein Musikverein für ihn spielte oder dass etwas zum Essen und Trinken vorbereitet gewesen war. Sein letzter Gottesdienst in Stockach hat aufgrund der Renovierung von St. Oswald am Samstag in der evangelischen Melanchthon-Kirche stattgefunden. „Der ökumenische Charakter dieses Gottesdienstes hat mich natürlich besonders gefreut, da uns hier in Stockach die Ökumene ja sehr am Herzen liegt“, sagte Lienhard, der auch zugibt, dass ihm mehrfach im Gottesdienst die Tränen gekommen seien, so sehr wühlte ihn auf, was dort gesagt worden ist.
Zum Abschlussgottesdienst in der Herz-Jesu-Kirche in Zizenhausen am Sonntag sei neben Personen, die Michael Lienhard persönlich wichtig waren, sogar kirchliche Prominenz gekommen: der Münsterdekan von Konstanz, Mathias Trennert-Helwig. Er sagte zu Lienhard gewandt: „Du hast die Menschen verstanden, auf sie gehört und sie gekannt“. Auch der befreundete Pfarrer Helmut Benkler war anwesend. „Am Sonntag im Gottesdienst war ich dann ein wenig ruhiger und gefasster als am Samstagabend“, verriet Lienhard, obgleich ihn auch bei dieser Veranstaltung die vielen Reden, unter anderem von der Gemeinderatsvorsitzenden Elisabeth Matthes (“Wir lassen Sie nicht gerne gehen“), von Gemeinderatsmitglied Stephan Kessler (“Ich habe Sie in unserer gemeinsamen Zeit immer als Möglich-Macher wahrgenommen“) und von Bürgermeister-Stellvertreter Werner Gaiser auch im Namen von Rainer Stolz sehr bewegt hätten. Oft musste er sich Tränen aus den Augen wischen. „Sie, lieber Herr Pfarrer Lienhard, gehen zu lassen – das tut richtig weh“, sagte Gaiser, der hinzufügte: „Sie haben den Menschen in Stockach und Umgebung mit ihrer ruhigen, besonnenen, Menschen zugewandten und helfenden Art gut getan.“

Zum Abschied, erzählte Lienhard, habe er von der Pfarrgemeinde den oberen Teil des Ambos geschenkt bekommen, dem erhöhten Ort, von dem aus er in der St. Oswald-Kirche stets das Evangelium vorgetragen hat. „Das hat mich schon sehr berührt, dass ich diesen Ambo nun zuhause haben darf. So kann ich dann immer an Stockach denken, wenn ich daran lese“, sagte Lienhard. Von der Stadt Stockach bekam er dann noch die Bürgermedaille verliehen, was ihn auch sehr stolz macht. Und auch von den verschiedenen Kirchengruppierungen, die am Sonntagnachmittag zum Palottiheim in Stockach kamen, habe er etliche Geschenke erhalten, sogar den Verdienstorden zweiter Klasse des Stockacher Narrengericht – überreicht von einer Abordnung des Narrengerichts.
„Es waren für mich hier in Stockach sehr, sehr glückliche Jahre“, das betonte Lienhard immer wieder, „ich durfte so viele schöne Momente erleben, durfte so vieles wachsen sehen, wofür ich allen sehr dankbar bin.“ Vermissen werde er vor allem die Menschen, denn innerhalb von 16 Jahren habe er mit so einigen doch Vieles erlebt. „Gott wird mich begleiten, wenn ich gehe“, sagte Lienhard, dessen Umzug nun mit einem eigens für Pfarrumzüge gebuchten Unternehmen geschehen wird. „Aber die Menschen von hier kann ich leider nicht mitnehmen. Die werden mir fehlen“, bedauerte Lienhard.