Gisela Rohde wirkt angespannt und ist den Tränen nahe. Seit 35 Jahren beschäftigt die Tengenerin, dass ihr familiär eng verbundener Neffe Joachim Bruckauf vermisst wird. Sie malt ein düsteres Bild. In Gedanken und mit dem Bleistift. Ein Schutthügel, in dem synchron zwei Spaten mit Handschuhen stecken. Dieses zuvor erträumte Szenario hatten sie und die Polizei in einem Tengener Kellergewölbe vorgefunden.
Gisela Rohde vermutete, dass dort ein Verbrechen geschah. Heute verbirgt eine Mauer das Kellergewölbe. Die Polizei hatte damals die Spuren nicht gesichert, weil es für sie nach dem Verschwinden von Bruckauf kein Anzeichen auf ein Verbrechen gab. Vergeblich versucht Gisela Rohde seit vielen Jahren zu erwirken, dass ein Stück der Mauer aufgebrochen wird, um noch mögliche Spuren zu entdecken. Sie schilderte den Fall auch vor einigen Jahren bei der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY".
Kübler mordete im Grenzgebiet
Staatsanwaltschaft und Polizei wollen nun den Fall Bruckauf neu aufrollen, nachdem zwei anonyme Schreiben auf einen möglichen Bezug vom spurlosen Verschwinden Bruckaufs und dem vor zwei Jahren in der Haft verstorbenen Schaffhauser Mörder Roland Kübler hingewiesen hat.
Er habe auch Bruckauf getötet und die Leiche auf einem Waldstück bei Schaffhausen abgelegt, heißt es in den Schreiben. Kübler wurde verurteilt, weil er sich 1982 und 1993 an zwei halbwüchsigen Buben im schweizerischen Grenzgebiet in der Nähe von Tengen-Wiechs und Büsingen vergangen hatte. Einen weiteren Mordversuch gab es 1993. Kübler ist 2017 in der Haft verstorben.
„Ich möchte endlich Klarheit und dass das Verschwinden meines Neffen aufgeklärt wird. Wenn es auch die traurige Gewissheit gäbe, dass Joachim tot ist“, sagt Gisela Rohde. Eine ihrer Zwillingstöchter, eine Kriminalbeamtin, dränge seit Jahren mit Nachdruck darauf, dass die Polizei weiter ermittelt, um das rätselhafte Verschwinden des Cousins zu klären.
Wo Bruckauf nie ankam
Gisela Rohde hatte eine besondere Beziehung zu ihrem Neffen, da er oft bei ihr und den Kindern zuhause in Tengen war. Bruckauf lebte bei seiner Oma im Nachbarort Blumenfeld. Er ging von dort aus am 23. Oktober 1984 gegen 15 Uhr zu Fuß nach Tengen, um die Gaststätte „Adler“ aufzusuchen. Er soll eine Liaison mit der Frau des Gastwirts, ein Metzger, eingegangen sein.
In der Gaststätte spielte Bruckauf gegen 19 Uhr Billard und kehrte danach nach Hause zurück. Gegen 20 Uhr verabschiedete er sich von seiner Großmutter. Er wollte nochmals Billard spielen gehen und anschließend seinen Großvater im Krankenhaus Singen besuchen. Dort kam er nie an. Die Großmutter erstattete am 25. Oktober 1984 beim Polizeiposten Tengen eine Vermissten-Anzeige. Es gab eine intensive Fahndung.
„Später waren alle Ermittlungen abgeschlossen. Wir können den Fall nur aktiv neu aufrollen, wenn der anonyme Schreiber konkrete Hinweise gibt, wie auf Örtlichkeiten eines möglichen Verbrechens„, erklärt Polizeisprecher Markus Sauter. Trotz aller Ermittlungen von Schweizer und deutscher Polizei habe der Hinweis bislang nicht verifiziert werden können.
Neue Hinweise und ein Mehrfach-Mörder
- Die anonymen Briefe: Zwei anonyme Briefe sind im Juli 2018 beim Polizeirevier Singen und beim Polizeipräsidium Konstanz eingegangen, in denen der in der Schweiz zu lebenslanger Haft und Verwahrung verurteilte Mehrfachmörder Roland Kübler bezichtigt wird, 1984 einen weiteren Mord – am vermissten Joachim Bruckauf – begangen zu haben, wie jüngst Polizei und Staatsanwaltschaft schilderten. Der Hinweisgeber habe wohl auf Youtube eine „Aktenzeichen XY-Sendung“ gesehen, in der von Bruckauf die Rede war. Laut Schreiben soll der mutmaßliche Täter den damals 17 Jahre alten Vermissten, der als Anhalter von Tengen nach Singen fahren wollte, mitgenommen, umgebracht und in einem Wald bei Schaffhausen abgelegt haben. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass der Verfasser der Briefe nicht weiß, dass Kübler tot ist und bittet ihn deshalb, sich bei der Kriminalpolizei, (0 75 41) 701-3434, zu melden. Nur mit seiner Hilfe könne unter Umständen ein Verbrechen von 1984 geklärt werden.
- Der Fall Kübler: Roland Kübler, 1958 in Schaffhausen geboren, wurde laut eigenen Aussagen bereits in der Jugend von sexuellen Phantasien verfolgt, in deren Zentrum pubertierende Buben standen, wie die Schaffhauser Nachrichten berichten. Seine erste Straftat beging Kübler, indem er am 30. September 1982 im Freudental bei Schaffhausen einen 14 Jahre alten Jungen überfiel, sexuell missbrauchte und erwürgte. Anfang April 1990 versuchte er, einen 21 Jahre alten Mann auf dem Reiat zu missbrauchen. Dieser konnte flüchten. Am 4. August 1993 ertränkte Kübler in der Nähe von Schlatt (bei Büsingen) einen 13-Jährigen, nachdem er zuvor sexuelle Handlungen vorgenommen hatte. Als er sich am 11. Oktober 1993 in Frankreich erneut an einem 21 Jahre alten Mann vergehen wollte, wurde er verhaftet und am 17. März 1994 an die Schweiz ausgeliefert. Im Januar 2008 tötete Kübler einen 21-Jährigen von ihm vergewaltigten Mithäftling. Er wurde nochmals zu lebenslanger Haft verurteilt. 2017 starb Kübler.