Sigmaringen – Die Zahl der Ausbildungsstellen und die der Bewerber wird weiter auseinandergehen. Im Jahr 2010 sahen sich im Bezirk der Balinger Agentur für Arbeit noch 1910 junge Männer und Frauen 1857 offenen Stellen gegenüber. Schon ein Jahr später hatte es mehr Stellen als angehende Azubis gegeben. Heute ist das Angebot im Kreis Sigmaringen so groß, dass auf jeden Schulabgänger rein rechnerisch zwei Stellen kommen. Im Berufsberatungsjahr, das von Oktober 2017 bis Ende September diesen Jahres dauerte, meldeten sich im Kreis Sigmaringen 636 junge Männer und Frauen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Arbeitsagentur. Im gleichen Zeitraum waren nach den Angaben der Behörde rund 1300 offene Stellen gemeldet worden. Nach den Angaben von Georg Link, dem Chef der Arbeitsagentur Balingen, würden 90 Prozent der offenen Azubi-Stellen bei der Behörde gemeldet. Doch nicht jeder Schulabgänger melde sich auf der Suche nach einem Platz für seine berufliche Ausbildung bei der Agentur.
Industriemechaniker auf Platz 1
„Für die Unternehmen bleibt es schwierig, ihren Nachwuchs- und Fachkräftebedarf zu sichern“, bilanziert Link. Das gilt vor allem für das Handwerk, wie Karl-Heinz Goller, Abteilungsleiter Ausbildung der Handwerkskammer Reutlingen, schildert. Zum einen leide das Handwerk oftmals an seinem Image. Zum anderen biete ein Ausbildungsplatz in der Industrie meist bessere Rahmenbedingungen. 40 Wochenarbeitsstunden im Handwerk stehen beispielsweise 36 in einem Industrieunternehmen gegenüber. Und obwohl Maurer-Azubis 1400 Euro monatlich bekämen, findet sich dieses Berufsbild nicht unter den ersten zehn von Schulabgängern genannten Berufswünschen. Die Liste führt nach Erhebungen der Arbeitsagentur eine Ausbildung zum Industriemechaniker an, gefolgt von Industrie- und Einzelhandelskaufleuten. Die Zahlen für die Azubi-Stellen für diese drei Berufsfelder belegen auch die ersten drei Plätze im Kreis Sigmaringen. Auf Platz neun und damit gerade noch in den TOP 10 der am häufigsten genannten Berufswünsche finden sich Bankkaufleute. Für Clemens Besenfelder, Ausbildungsberater für kaufmännische Berufe bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben, ist diese Platzierung eine Folge des Strukturwandels in der Bankenbranche. Er erwähnte beispielsweise, dass Filialen geschlossen wurden.
Vielfältige Unterstützung
Auf die Veränderungen innerhalb des Ausbildungsmarktes reagieren die Unternehmen. In der Industrie kommen heute auch schwächere Schüler unter. „Das merken wir im Handwerk“, sagt Karl-Heinz Goller. Denn so schrumpft die Zahl der möglichen Kandidatinnen und Kandidaten für die hier offenen Azubi-Stellen. Industrie und Handwerk bieten während der Ausbildung Unterstützung an, um einen erfolgreichen Abschluss zu ermöglichen. „Vera“ heißt ein Programm, das das Stuttgarter Wirtschaftsministerium unterstützt. „Es ermöglicht eine 1:1-Betreuung durch einen Senior-Experten“, schildert Clemens Besenfelder von der IHK. In einigen Fällen erfülle der Berufsbegleiter eine väterliche Rolle. Der Chef der Arbeitsagentur ist sich mit den beiden Ausbildungsexperten von Handwerkskammer und IHK einig, dass bei Schwierigkeiten während einer Ausbildung die Gründe dafür oft im Umfeld des Jugendlichen, auch in dessen Elternhaus, zu suchen seien. Programme, die junge Azubis während ihrer Ausbildung unterstützen sollen, werden oft auch von der Arbeitsagentur finanziert. Einen entsprechenden Antrag muss der Jugendliche selber stelle, sagt der Chef der Arbeitsagentur. Die Firmenchefs würden die entsprechenden Programme meist kennen. In Problemfällen gehe es oft um das Lesen, Schreiben und Rechnen.
In zwei Berufsfeldern bietet die IHK jetzt auch Teilausbildungen an, die mit einem Zertifikat beendet werden. Auf dieses Zertifikat kann weiter aufgebaut werden. Neben einer Qualifikation im Bereich Lagerlogistik gibt es eine solche seit Oktober dieses Jahres auch im Bereich Metall, wie Besenfelder sagt. Im nächsten Jahr werden sich die fünf Berufsberater der Arbeitsagentur ein Schuljahr früher als bisher melden, um die Jugendlichen auf ihrer Suche nach einer geeigneten Ausbildung zu unterstützen.
Flüchtlinge im Handwerk
Vor allem im Handwerk wird zunehmend auf Flüchtlinge gesetzt, um den Mangel an Fachkräften auszugleichen. „Ihre praktische Arbeit ist oft sehr gut“, schildert Karl-Heinz Goller von der Handwerkskammer. Doch die Theorie im Unterricht an der Berufsschule stelle oft hohe Hürden. Die Kammer versucht ein Konzept auf den Weg zu bringen, das Flüchtlinge unterstützt.
Berufsschulklassen
Für die Ausbildungsexperten der regionalen Wirtschaft ist klar, dass eine möglichst wohnortnahe Berufsschule bei der Auswahl einer Ausbildungsstelle mit ausschlaggebend ist. Vor allem für Jugendliche, die Handwerksberufe erlernen, gibt es oft weite Wege zu einer Berufsschule. Schon seit 50 Jahren müssen angehende Stuckateure nach Leonberg reisen, wie Karl-Heinz Goller von der Handwerkskammer schildert. Bei anderen Berufen ist entscheidend, wie viele Lehrlinge sich finden. Wenn drei Jahre hintereinander die Mindestzahl von 16 in einer Berufsschulklasse unterschritten wird, wird diese Klasse automatisch dicht gemacht. Die Folge: Die Berufsschüler müssen meist weiter fahren. Aus Erfahrung weiß Goller: "Je höher der Schulabschluss des Azubis, desto größer ist dessen Mobilität" – Stichwort Führerschein. (dim)