Warum hatte Meßkirch 66 Jahre lang evangelische Bürgermeister, obwohl die Stadt urkatholisch ist? Warum erscheint Meßkirch auf alten Karten, während weitaus größere Städte darauf nicht erscheinen? Wieso wurde ein Meßkircher im holländischen Haarlem zum Bischof gewählt? Dies und noch viel mehr Spannendes erklärte der Historiker Werner Fischer bei einer Führung durch die Zimmernstadt.
Unter dem Titel „Kulturkampf“ gab Fischer Einblick in ein Gemeinwesen, durch dessen Geschichte sich wie ein roter Faden ein Zwiespalt zieht. Vor 150 Jahren wurden die Folgen der Beschlüsse des ersten Vatikanums in der Stadt spürbar und sind noch heute sichtbar, so der Kenner der Stadtgeschichte. Die Bevölkerung, Banken, Vereine und Chöre spalteten sich in Altkatholiken und Römisch-Katholische. Sogar die beiden Heimatzeitungen „Oberbadischer Grenzbote“ und das „Heuberger Volksblatt“ machten sich gegenseitig das Leben so schwer, dass deren Zwist als „Meßkircher Zeitungskrieg“ in die Annalen eingegangen ist.
Carl Hauser sorgt für Ausgleich
Carl Hauser, evangelischer Bürgermeister und Erbauer des 1899 errichteten Rathauses, kam zu seinem Posten, weil die Römisch-Katholischen und die Altkatholiken der Stadt sich nicht auf einen Kandidaten einigen konnten, sprich, ein Kandidat des jeweils anderen Lagers wäre von keiner Seite akzeptiert worden. Deshalb einigte man sich damals auf den evangelischen Carl Hauser, obwohl es zu jenem Zeitpunkt gerade mal 50 Evangelische in Meßkirch gab. Dreimal ist Hauser unter anderem auch wegen seines ausgleichenden Wesens einstimmig wiedergewählt worden, war also 24 Jahre im Amt. „In dieser Zeit hat er sehr viel für Meßkirch geleistet“, sagte Fischer. Danach war es fast schon Tradition, einen Evangelischen als Bürgermeister zu wählen.
Im Vorfeld ging der ehemalige Leiter des Meßkircher Heimatmuseums auf die Folgen des Kulturkampfs ein, der im ersten Vatikanum 1870 gründet. Wegen der hierbei festgelegten Glaubensdogmen, unter anderem das Unfehlbarkeitsdogma, also die Unfehlbarkeit des Papstes oder auch die unbefleckte Empfängnis Mariens, sanktionierte die römisch-katholische Kirche jene Katholiken, die diese Dogmen ablehnten, mit Exkommunikation. Die so aus der Glaubensgemeinschaft Rausgeworfenen nannten sich fortan Altkatholiken, um sich von der römisch-katholischen Kirche abzugrenzen.
Unter den rund 25 Teilnehmern der Führung war auch der Pfarrer der altkatholischen Gemeinde Singen, Andreas Sturm, der Fischers Ausführungen mit Interesse verfolgte. Denn die Altkatholiken von Sauldorf und Meßkirch gehören zur Singener Gemeinde der Alt-Katholischen, die für sich beanspruchen, offen für alle Menschen zu sein, ganz gleich welches Geschlecht beziehungsweise sexuelle Identität, welche Hautfarbe und Lebensform sie haben.
Andreas Sturm, 2018 zum Generalvikar des römisch-katholischen Bistums Speyer ernannt, hatte in seiner römisch-katholischen Zeit trotz des Verbots aus Rom homosexuellen Personen die Segnung gewährt. Im Mai 2022 ist der Priester aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten und zum Altkatholizismus konvertiert. Er leitet seit August 2023 die Gemeinden Singen, Meßkirch und Sauldorf.
Fischer hatte noch Etliches über Meßkircher Besonderheiten auf Lager, so das Meßkirch am Schnittpunkt zweier europäischer Straßen lag, nämlich die Achsen Zürich-Würzburg und Wien-Paris, weshalb die Zimmernstadt immer auf alten Karten zu finden ist. Das Hotel Adler/Alte Post unter Posthalter Johann Baptist Roder war hierbei Herberge und Postkutschenstation für alle Durchreisenden. Roder erlebte trotz seiner Verdienste, er war Begründer der Meßkircher Höhenfleckviehzucht, Gründer der Landwirtschaftsschule, Gemeinderat und Reichstagsabgeordneter, als Vorsitzender der altkatholischen Gemeinde viele Anfeindungen. „Bis heute“, so Werner Fischer, „hat dieser Mann noch keine Ehrung durch die Stadt Meßkirch erfahren“. Denn bis heute würde sich diese Spaltung durch die Stadt ziehen. Auch die Martinskirche und das Herz-Jesu-Heim, einst fürstlicher Reitstall, waren Thema von Fischers Betrachtungen, spielten doch beide Gotteshäuser eine wichtige Rolle im Meßkircher Kulturkampf.
Und was haben die Niederländer mit Meßkirch zu tun? Auch das hängt mit den Altkatholiken zusammen, die sich in Holland seit 1723 unabhängig von Rom gemacht haben und daher die älteste altkatholische Kirche sind. Der Altkatholische Pfarrer Bastiaan Abraham van Kleef wollte heiraten, doch in seiner Heimat durfte er das wegen des Zölibats nicht, weswegen er nach Deutschland ging, wo die Priesterehe erlaubt war. Sein Sohn: Gerardus Anselmus van Kleef, 1922 in Meßkirch geboren, wurde 1967 zum 15. altkatholischen Bischof von Haarlem gewählt. Fischer betonte, dass hierbei zum ersten mal bei einer altkatholischen Bischofswahl ein römisch-katholischer Bischof offiziell anwesend war.