Auf dem linken Unterarm hat sich Emma Splinter den Schriftzug „the future is female“ tätowieren lassen. Die Zukunft ist weiblich. Bis es soweit war, dass Emma sich dieses Statement stechen ließ, sind etliche Jahre vergangen. Der Weg zu sich selbst und zur Gewissheit, ihr Leben als Frau führen zu wollen, war lang und führte keineswegs immer geradeaus. „Heute lebe ich so, wie ich möchte.“

Emma wohnt gemeinsam mit Kater Elmo in Pfullendorf, die Wohnung ist sehr geschmackvoll und feminin eingerichtet. Sie war – wie fast jeden Morgen – bereits joggen. Die langen, mit hellen Strähnchen versehenen Haare hat sie im Nacken zusammengebunden, das Gesicht dezent geschminkt, die Augenbrauen sind gezupft und die langen Fingernägel dunkelrot lackiert.

Der weibliche Name im Ausweis

Geboren wurde Emma vor 44 Jahren als Patrick mit männlichem Körper. Seit 2021 sind Name und Geschlecht in ihrer Geburtsurkunde und in sämtlichen Ausweisen geändert. „Dem Amtsgericht Hechingen musste ich zwei unabhängige Gutachten, die vom Amtsgericht eingesetzt werden, und einen Transgender-Lebenslauf vorlege. Das ganze Verfahren hat sieben Monate gedauert“, erinnert sich Emma. Der Vorname hat übrigens nichts mit der bekannten feministischen Frauenzeitschrift zu tun.

Auf dem Unterarm hat sich Emma die Worte „the future is female“ tätowieren lassen.
Auf dem Unterarm hat sich Emma die Worte „the future is female“ tätowieren lassen. | Bild: Johanson, Kirsten

„Ich habe mir diesen Namen gegeben, weil er in meinem Umfeld nicht vorkam. Ein Oma-Name, der plötzlich zu einem Trend wurde.“ Der Name war damals nötig, um sich 2008 in der Selbsthilfegruppe Transpersona im Raum Zürich eine Identität zu geben. „Hier konnte ich mich in einem geschützten Raum mit anderen austauschen. Es kamen die unterschiedlichsten Leute zusammen, Crossdresser, Transfrauen, Drag Queens.“

Mit Laser gegen Bartwuchs

Eine Hormonersatztherapie mit Testosteronblocker und Östrogen begann Emma im Juli vor zwei Jahren. Die weiblichen Hormone führten unter anderem zu einer Umverteilung des Körperfetts, die Hüften und Oberschenkel wurden runder, sie nahm zehn Kilo zu. Unter dem rosa Pulli zeichnen sich Brüste ab. „Nicht groß, aber eigene“, schmunzelt Emma, für die Brustimplantate keine Option sind. Ebenso wenig eine Stimmband-Operation, um eine hellere Stimme zu bekommen. „Ich gehe mehr oder weniger regelmäßig zur Logopädin. Doch mit meiner Stimme habe ich mich abgefunden, wenn mich am Telefon jemand mit Herr Splinter anspricht, korrigiere ich das eben.“ Die Barthaare hat sich die 44-jährige auf eigene Kosten weglasern lassen.

Schon als Grundschüler hatte sie das Gefühl, dass er/sie irgendwie anders ist. „Doch in Worte konnte ich das nicht fassen. Mit elf, zwölf habe ich dann von meiner Mutter Klamotten angezogen und bin nachts als Mädchen verkleidet nach draußen. Heimlich und mit schlechtem Gewissen.“

Vater von zwei Kindern

Die Entscheidung, das angeborene Geschlecht und damit Patrick aufzugeben, geschah nicht von heute auf morgen. „Es ist ja auch nicht so, dass ich als Patrick 40 Jahre lang todunglücklich war.“ Eine Weile rückte das Bedürfnis, sich weiblich zu kleiden, sogar in den Hintergrund. „Ich war Leiter bei den Pfadfindern, hatte eine Freundin und meine Berufsausbildung hat begonnen. Mit 19 wurde ich zum ersten Mal Vater. Meine Kinder sind mittlerweile 24 und 17 Jahre alt, ich habe einen sehr guten Kontakt zu ihnen.“

Zunächst nur verkleidet

Das junge Paar heiratete, zog in eine eigene Wohnung. Im Außendienst war Emma dann viel in Deutschland, Holland, der Schweiz und Österreich unterwegs. „Abends allein im Hotel hatte ich viel Zeit zum Nachdenken.“ Sukzessive legte sie sich einen Fundus aus Frauenkleidern, Make up, Schuhen und Perücken an. „Ich habe mich anfangs nur am Abend nach draußen getraut. Zunächst war es auch eher ein Verkleiden. Ich fühlte mich gut, aber auch beschämt. Keiner wusste davon.“

Doppelleben raubt Energie

Erst später setzte sich Emma in Psychotherapiesitzungen und in Selbsthilfegruppen mit dem Thema Transsexualität auseinander. „Ich wusste ja lange nicht, wer ich wirklich bin.“ 2006 wechselte Emma den Job und sie beschloss: ein neuer Lebensabschnitt beginnt, mit dem „Frau sein“ ist jetzt Schluss. Sie stopfte Kleider und Schminke in eine Tüte und entsorgte alles. „Doch ein halbes Jahr später ging es wieder los, ich kaufte mir Dinge.“ Emma entwickelte zunehmend eine eigene Identität. „Ich traute mich immer häufiger, als Frau nach draußen zu gehen. Auch mal tagsüber in die Fußgängerzone zum Shopping, nicht nur bei Dunkelheit einmal um den Block.“

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Doppelleben fliegt irgendwann auf

Die Gratwanderung zwischen dem Dasein als Vater und Ehemann auf der einen und Emma auf der anderen Seite kostete viel Energie. Das Coming-Out kam ja erst deutlich später. Dass Emma, wie kürzlich beim Frauenfrühstück im Kolpingshaus, vor 70 Zuhörerinnen über ihre Verwandlung spricht, war damals noch undenkbar.
„Meine Ex-Frau hat irgendwann gemerkt, dass da etwas nicht stimmt. Als das Versteckspiel und mein Doppelleben aufflog, weil sie meinen Koffer mit Frauenkleidern fand, war das ein Schock für beide Seiten. Doch es war toll: Sie hat sich anfangs damit auseinandergesetzt und mich sogar begleitet, leider wurde es zunehmend zur Belastung.“ Getrennt hat sich das Paar 2015.

Plötzlich ist die Liebe da – zu einer Frau

„Ich habe mich zu der Zeit meiner Mutter anvertraut, sie ist bis heute meine größte Unterstützerin. Sie sagte schon damals: du bist und bleibst mein Kind.“ Zwischenzeitlich war Emma nach Radolfzell gezogen. Nicht zuletzt in der Hoffnung, dort freier zu leben und sich in einem anonymen Umfeld zu bewegen. Doch plötzlich alleine zu sein, war auch schwierig, zumal dann etwas eintrat, mit dem Emma so nicht gerechnet hatte. „Ich verliebte mich 2016 in eine Frau, wir führten als Mann und Frau eine Wochenendbeziehung.

Anfangs war dies auch toll, da ich Emma zu der Zeit auch ausblenden konnte. Doch es war nur eine Frage der Zeit und Emma meldete sich wieder zurück. Schließlich habe ich meine Freundin eingeweiht. Sie hat es soweit toleriert, doch Emma wurde immer stärker.“ Dann schlug die Freundin vor, Emma solle eine Woche alleine Urlaub machen. Und zwar ausschließlich als Frau. „Nach meiner Rückkehr aus Holland schaffte ich es kaum, wieder als Patrick in den Alltag zurückzufinden. Das hat mich geschockt und ich wollte es auch nicht wahrhaben. Lange versuchte ich, das zu unterdrücken, doch schließlich kam es zur Trennung.“

Emma outet sich und informiert ihr Umfeld

Corona und Home Office brachten 2020 Klarheit. Was als gelegentliches Cross-Dressing begann, wich dem Wunsch, immer als Frau unterwegs zu sein – daher auch das Tattoo. „Nun war klar, welchen Weg ich gehe und was ich wirklich bin! Und es war auch klar: ich gehe den Weg komplett, also mit geschlechtsangleichender Operation.“ Nach und nach informierte Emma ihr Umfeld. Plötzlich konnte sie ganz offen damit umgehen. „Das war eine große Erleichterung.“

Kater Elmo ist Emmas Mitbewohner.
Kater Elmo ist Emmas Mitbewohner. | Bild: Johanson, Kirsten

Bammel hatte sie natürlich im beruflichen Umfeld, da es hier um ihre finanzielle Existenz ging. „Ich bin im Außendienst ja Repräsentant des Unternehmens. Mich kannten die Leute bis dato nur mit Anzug und als Herr Splinter oder Patrick. Doch der Geschäftsführer hat großartig reagiert, auch die Kollegen und Händler, die ich alle persönlich vorbereitet habe, bevor ich zum ersten Mal als Frau aufgetaucht bin.“ Massive Ablehnung oder Anfeindung hat Emma zum Glück nicht erlebt. „Manche tun sich schwer und können das nicht nachvollziehen. Aber ich habe einen großen Rückhalt in der Familie und bei Freunden.“

Operation im April 2022

Nach ihrer Entscheidung erhielt Emma von ihrer Psychologin die sogenannte Indikation. Diese ist wichtig, um weitere Schritte einzuleiten und bedeutet auch, „die Anerkennung als Krankheit“ gegenüber der Krankenkasse, auch wenn es keine Krankheit ist. Jedoch werden ab diesem Zeitpunkt die notwendigen Kosten, wie beispielsweise für die Psychotherapie, die Logopädie, die Hormone und natürlich die wichtige geschlechtsangleichende Operation übernommen.

Vor der sechsstündigen OP waren viele Untersuchungen von ärztlicher Seite nötig. Im Juli 2021 hatte Emma ihr erstes Arztgespräch in München. Die Mann-zu-Frau-OP war für Februar 2022 geplant, doch dann hatte Emma einen positiven PCR-Test. So kurz vorm Ziel war dies noch einmal ein Rückschlag. Doch dann klappte es im April mit dem neuen Termin in den Lubos-Kliniken, die auf operative Geschlechtsangleichungen spezialisiert sind. Ein Strahlen breitet sich auf Emmas Gesicht aus. Dass sie glücklich und zufrieden ist, braucht sie nicht in Worte zu fassen, man sieht es ihr an. The future is female – und auch die Gegenwart.