In früheren Zeiten gab es viele kirchliche Bräuche, die den Menschen einen großen Halt im Leben gaben. Wer denkt schon daran, dass Maria Schray die einzige Wallfahrtskirche in der Erzdiözese Freiburg ist, in der seit über 500 Jahren samstags immer ein Wallfahrtsgottesdienst stattgefunden hat?
Keine Wallfahrtsgottesdienste in Zeiten von Corona
Nicht einmal in Kriegszeiten, und das waren nicht wenige, wurde auf den Gottesdienst verzichtet und Wallfahrer kamen teilweise von sehr weit her. Doch was der Mensch nicht schaffte, das gelang dem Corona-Virus: Erstmals gibt es keine Wallfahrtsgottesdienste mehr im altehrwürdigen Gotteshaus an der Straße nach Mengen.

Verschwunden ist die Tradition, in St. Jakobus in der Karwoche ein Heiliges Grab aufzustellen. Der Brauch des Heiligen Grabes geht zurück bis ins Mittelalter, als in der Fastenzeit der meist prunkvolle Hochaltar durch Leinentücher, so genannte Hungertücher verhängt wurde. Wann in Pfullendorf erstmals eine Darstellung der Grablege Christi aufgebaut wurde, weiß niemand. Überhaupt ist das Mysterium des Heiligen Grabes aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden.
Wo ist das Heilige Grab geblieben?
Nur alte Pfullendorfer erinnern sich noch an das monumentale Gebilde, das vor dem Zweiten Weltkrieg in der Karwoche den Hochaltar der Jakobuskirche verhüllte. Und daran, dass dort eine lebensgroße Figur des Gekreuzigten in einer Höhlendarstellung lag.
Ernst Göggel soll das letzte Heilige Grab in der Kirche erbaut haben. Jedenfalls steht das so auf einem alten Schwarz-Weiß-Foto aus dem Archiv von Fritz Hees. Doch wo ist das Heilige Grab geblieben? Wurde es, wie viele Dinge nach der Liturgiereform in den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entsorgt oder ausgelagert?

Einer, der eine Antwort weiß, ist Herbert Siebenrock. Er ist der hauptamtliche Mesner der katholischen Pfarrgemeinde in Pfullendorf und weiß von vielen kirchlichen Dingen, wo sie geblieben sind. „Reste des Heiligen Grabes wurden vermutlich in der alten Pfarrscheune gelagert“, klärt er auf. Doch die Scheune wurde vor einigen Jahren abgerissen.
Christusfigur auf dem Dachboden
Auf dem Gelände zwischen Pfarrhaus und Stadtbücherei steht jetzt das Gebäude, wo die Tagespflege des Spitalfonds untergebracht ist. Seitdem sind die Reste des Grabes verschwunden. Doch nicht ganz. „Das Wichtigste war die Christusfigur“, sagt Siebenrock. Und die befinde sich auf dem Dachboden der Kirche.

Also steigen wir die Treppenstufen hoch bis dahin, wo vom Prunk und den Schönheiten des Kirchenraums gar nichts zu sehen ist. Wenn man es nicht besser wüsste, dann würde man denken, man befindet sich auf einem ganz normalen Dachboden. Wenn da nur nicht die alten Kniebänke oder eine große Darstellung Gottvaters mit Bart und Weltkugel wären, der alte elektrische Heizofen, mit dem man früher in den Beichtstühlen für etwas Wärme sorgte, und eine große Holzkiste. Was mag sich unter dem schweren Deckel befinden?

Als der sich hebt, ist die Überraschung groß. Keine wurmstichigen Reste einer ehemals schönen Skulptur kommen da zum Vorschein, sondern eine Darstellung des Gottessohnes, nachdem er vom Kreuz auf Golgatha genommen wurde. Es ist ein Moment, bei dem man innehalten muss. Das Gespräch wird deutlich leiser. Sich mit der Figur fotografieren lassen, das will Siebenrock nicht. „Ich hoffe, sie verstehen das“, sagt er. Keine Frage: Die Bitte wird akzeptiert, denn Christusdarstellungen sind etwas, was bei vielen Menschen eine Ehrfurcht erzeugt, die im Glauben verwurzelt ist.
Bewegendes Trauerlied wurde gesungen
So muss es auch bei den Kirchgängern gewesen sein, wenn das Heilige Grab – von Kerzen beleuchtet – an das Geschehen am Karfreitag erinnerte. Der mittlerweile über 90 Jahre alte Karl Frey erinnert sich noch daran, dass man immer ein sehr bewegendes Trauerlied gesungen habe. Mit „Vorbei, vorbei“, habe der Text begonnen. An mehr kann er sich nicht mehr erinnern. Außer an die zwei Engel, die das Grab bewacht haben. Auch sie sind unterm Dach der Kirche gelagert und knien in betender Haltung.