Gerd Feuerstein

Frau Gscheidle, wie kamen Sie denn auf die Idee, Ihre Masterarbeit über das Stück zu schreiben?

Ich habe 2015 zum ersten Mal beim Stettener Sommertheater mitgespielt und hatte damals gerade mein Abitur gemacht. Ich wusste, dass ich beim nächsten Theater vier Jahre später wohl mein Studium abschließen werde, und so ist es jetzt auch. Ich habe die vergangenen vier Jahre in Weingarten an der Pädagogischen Hochschule Grundschullehramt studiert und werde das Studium demnächst abschließen. Anfang des Jahres begann die Organisation für das neue Sommertheater, gleichzeitig suchte ich nach einem Thema für meine Masterarbeit. Schnell war mir klar, dass ich diese beiden Dinge gerne verknüpfen würde.

Annika Gscheidle schreibt derzeit ihre Masterarbeit über das Stettener Sommertheater. Dabei geht sie der Frage nach, welche ...
Annika Gscheidle schreibt derzeit ihre Masterarbeit über das Stettener Sommertheater. Dabei geht sie der Frage nach, welche kommunikativen Kompetenzen im Theaterspiel mit Laien am ehesten gefördert werden. | Bild: Juergen Leutner

Warum?

Weil ich durch das Theater für mich selbst und auch für mein Studium so viel mitnehmen konnte, war mir klar, dass das auch für Kinder ein einprägsames Erlebnis sein muss und viel Raum zum Dazulernen gibt.

Welchem Thema widmen Sie sich genau?

Ich widme mich der Frage, welche kommunikativen Kompetenzen im Theaterspiel mit Laien am ehesten gefördert werden, und zwar speziell mit Schülern der Primar- und Elementarstufe.

Wie kamen Sie gerade darauf?

Das Stettener Sommertheater ist ein Projekt, das ziemlich einzigartig ist. Es wird nicht einfach nur Theater gespielt, sondern ein Teil der eigenen Heimatgeschichte in eine narrative Handlung gepackt und mit den Bewohnern, also Laiendarstellern, aufgeführt. Man setzt sich mit seiner Herkunft auseinander und lernt zu verstehen, was den eigenen Ort geprägt hat. Gleichzeitig ist Theater ein Experimentierfeld, in dem man in andere Rollen und Lebenssituationen schlüpfen, Emotionen ausprobieren und wahrnehmen kann. Am Anfang steht dabei das Drehbuch des Autors, aber am Ende möchte man das, was einem der Text erzählt, den Zuschauern auch nahebringen. Und das Mittel, das uns das ermöglicht, ist die Kommunikation. Mich interessiert, mit welchen Kommunikationsformen bei uns im Amateurtheater gearbeitet wird und in welchem Bereich die Kinder am meisten dazulernen. Lernen die Kinder einfach nur ihren Text auswendig und tragen ihn vor? Oder schaffen sie es auch, mit ihrer Stimme das zu unterstützen, was sie sagen? Wie setzen sie ihre Körpersprache ein und wo kann man die größte Entwicklung sehen?

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Und wie gehen Sie die Untersuchung an?

Um zu Ergebnissen zu kommen, habe ich die Kinder bei den ersten Proben gefilmt und werde auch gegen Ende wieder Aufnahmen machen. Anhand eines Kategoriensystems möchte ich die Videos dann auswerten.

Können Sie das genauer erklären?

Wir Erwachsenen besitzen die Fähigkeit, unseren Körper gezielt einzusetzen und können unser Auftreten mehr oder weniger gut selbst reflektieren. Theater ist für uns eine Ausnahmesituation. Wann sind wir das letzte Mal mit Gebrüll über einen Platz gerannt, wann haben wir uns das letzte Mal verkleidet und uns vorgestellt, wir wären jemand anderes? Kinder haben diese Situation jeden Tag. Im Spiel reflektieren sie sich nicht selbst, es ist für sie etwas ganz Normales, Intuitives. Deswegen ist es umso interessanter, was sie von den Proben aufnehmen und an ihrem Tun verändern.

Klaus-Dieter Halder, der in dem Stück in die Rolle des Pfarrers schlüpft, sorgte vor Kurzem für einen lustigen Moment: Er musste während ...
Klaus-Dieter Halder, der in dem Stück in die Rolle des Pfarrers schlüpft, sorgte vor Kurzem für einen lustigen Moment: Er musste während der Proben sein Motorrad umparken. Der „Pfarrer“ nutze die Gelegenheit, um den Fotografen zu segnen. | Bild: Gerd Feuerstein

Welche Rolle nehmen die Kinder denn diesmal im Theater ein?

Die Rolle der Kinder ist wirklich nicht leicht. Oft denke ich, ob sie überhaupt verstehen, was sie da vortragen: „Die Hohentwieler kommen! Sie plündern die Felder! Sie rauben das Vieh!“ Immer wieder warnen sie die Stettener Bürger vor Überfällen und Krieg. Solche Situationen können wir uns in der heutigen Zeit gar nicht mehr vorstellen. Aber in den ersten Proben waren die Kinder sehr neugierig und haben Regisseur Stefan Hallmayer ein Loch in den Bauch gefragt. Sie machen sehr gut mit und ich bin wirklich gespannt, was ich herausfinden kann.

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Wie sind Sie selbst eigentlich zum Theater gekommen?

Als 2015 im Amtsblatt stand, dass die Proben für das Stück „Weit vom Schuss – und mittendrin“ beginnen, war ich gerade mitten in den Abi-Prüfungen. Ich dachte, ich schau mir das einfach mal an – Erfahrungen mit Theater hatte ich vorher keine. Nach den ersten Proben, in denen der Text gelesen wurde, rief mich Stefan Hallmayer an, ob ich mir eine Hauptrolle vorstellen könnte. Ohne zu wissen, was mich genau erwartet, habe ich die Rolle angenommen. In den nächsten Monaten standen dann intensive Proben an, die mich insgesamt sehr beeindruckt haben: der Umgang mit den anderen Theaterspielern, die Entstehung des Stückes und die Art, wie das Team vom Theater Lindenhof jeden einzelnen von uns unterstützt und auch gefordert hat.

Welche Erfahrungen haben Sie für sich mitgenommen?

Ich durfte lernen, Vertrauen und ehrliche Rückmeldungen zu bekommen. Von der Schulzeit war ich Noten gewohnt, die mir sagen sollten, was ich kann und wie meine Zukunft aussehen soll. Beim Sommertheater bekam ich die Chance, Dinge auszuprobieren, die ich mir selbst vielleicht nicht zugetraut hätte. Über die Regisseure, die Mitspieler und das Publikum konnte ich erfahren, wie mein Auftreten wirkt, wo meine Stärken liegen und was ich mir zutrauen kann. Das prägendste Erlebnis für mich war, vor 600 Menschen zu stehen und alleine davon zu singen, dass mein Verlobter an der Front steht und ich zuhause auf ihn warte. Mich in eine solche Situation hineinzuversetzen und das schauspielerisch darzustellen, war eine tolle Erfahrung.

Im aktuellen Stück spielen Sie die Rolle der Dohlen-Anna. In welcher Lebenssituation befindet sich der Charakter?

Die diesjährige Aufführung erzählt vom Leben der Bürger in Stetten von der Herrschaftszeit der Herren von Hausen bis heute. In dieser Zeit haben sich die Gesellschaft und die politischen Verhältnisse stark geändert, manches ist in gewisser Weise aber auch gleich geblieben: Die Menschen werden von den Mächtigen regiert und haben das Gefühl, nichts verändern zu können. Dohlen-Anna und Johann-Jakob Wilhelm spielen im Stück die Revolutionäre, die etwas bewegen wollen und die Menschen dazu auffordern, für ihre Rechte zu kämpfen.