Sie sei „ein bisschen ein Stehaufmännchen“, sagt Dorothea Fichter-Fechner über sich selbst. „Immer wieder auf die Füße kommen, das scheint mein Lebensweg zu sein“, sagt die St. Georgenerin. Etwa, als sie nach ihrer ersten Schwangerschaft mit 19 Jahren erfolgreich die Ausbildung zur Industriekauffrau und später zur Fremdsprachenkorrespondentin sowie zur Marketing-Fachwirtin absolvierte.

Plötzlich verwitwet

Aber auch, als sie ihr Leben mit 48 völlig neu sortieren musste: Vor fünf Jahren starb ihr Mann völlig überraschend. „Aus jeder Krise entsteht auch etwas Gutes“, davon ist sie überzeugt. „Auch, wenn man erst einmal vor einem Riesenberg steht und sich fragt, wie es weitergehen soll.“

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Heute ist Dorothea Fichter-Fechner 53 Jahre alt. Im Oktober hat sie nach der Pleite ihres Arbeitgebers Grässlin ihren Job als Leiterin der Marketingabteilung verloren. Ein Schock sei es nicht mehr gewesen, sagt sie rückblickend. Zu lange hatte das Unternehmen schon gestrauchelt; im Juni 2020 war der Insolvenzantrag erfolgt. Wie es für sie weitergehen soll, wusste Dorothea Fichter-Fechner schon bald: Sie ist nun ihre eigene Chefin. Nach einigen Monaten der Vorbereitung hat sie im März „In puncto Content“ gegründet, eine Agentur für Content Marketing.

„Wenn das gut läuft, mache ich das die nächsten Jahre“, sagt sie. Wenn nicht, werde sie sich eben anderweitig orientieren. „Ich finde es spannend, neue Wege zu gehen.“

Entspannter Start

Dass Dorothea Fichter-Fechner den Beginn ihrer Selbstständigkeit mitten in der Pandemie entspannt angehen kann, hat vor allem einen Grund: Ihr Arbeitsplatz befindet sich im Inkubator des Technologiezentrums (TZ) St. Georgen. Wo im Krankenhaus die zu früh geborenen Kinder reifen, sind es in der St. Georgener Leopoldstraße die Geschäftsideen.

Hier können Gründungswillige aus der ganzen Region in geschütztem Rahmen und mietkostenfrei an ihrer Geschäftsidee arbeiten: Im ...
Hier können Gründungswillige aus der ganzen Region in geschütztem Rahmen und mietkostenfrei an ihrer Geschäftsidee arbeiten: Im Technologienzentrum St. Georgen ist der Inkubator entstanden. | Bild: Göbel, Nathalie

Sechs Monate lang dürfen hier Gründungswillige aus der ganzen Region Schwarzwald-Baar-Heuberg kostenfrei an ihrer Vision feilen. Sie dürfen mietfrei ein möbliertes Büro beziehen, Besprechungsräume und das schnelle Internet nutzen.

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Entstanden ist der Inkubator im Rahmen des Digital-Hub-Netzwerks. Das Technologiezentrum ist eines von zehn Digital Hubs in Baden-Württemberg. Die Digital Hubs sind, so schreibt das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau, „regionale Anlaufstelle für kleine und mittlere Unternehmen aller Branchen bei Fragen zur Digitalisierung.“ Sie sollen es dabei unter anderem ermöglichen, digitale Projekte in Experimentierräumen zu entwickeln und zu erproben.

Hürden abbauen

„Wir wollten dabei noch einen Schritt weitergehen“, sagt Martin Friedrich. Er ist seit 2014 Geschäftsführer des St. Georgener TZ. Schon lange beschäftige man sich damit, Hürden für Gründungswillige abzubauen und Brücken für diejenigen zu bauen, die sich mit dem Gedanken der Selbstständigkeit tragen.

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Fachliche Beratung gibt es inklusive, entweder durch Martin Friedrich – er ist gelernter Bankkaufmann, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater – oder ein Beiratsmitglied des TZ. Wichtig ist ihm: „Eine anschließende Gründung ist kein Muss.“ Stellt sich heraus, dass eine Geschäftsidee, aus welchen Gründen auch immer, nicht funktioniert, kann der Inkubator-Nutzer unproblematisch wieder aussteigen. Ohne Schuldenberg, ohne Mietvertrag, der noch monatelang bezahlt werden muss.

Innovation ist gefragt

Um überhaupt in das Inkubator-Programm aufgenommen zu werden, sollte die Idee technisch innovativ sein. „Ich sag‘ mal so: Ein Steuerbüro gehört nicht gerade zu unserer Zielgruppe“, sagt Martin Friedrich. Bei Dorothea Fichter-Fechners Idee habe ihn vor allem die Konzentration auf das Content Marketing überzeugt.

Digital am Ball bleiben

„Content ist ein noch häufig vernachlässigter Bereich, mit dem sich viele schwer tun“, sagt er. Corona habe Marketing-Akteuren natürlich in die Karten gespielt. Stärker als je zuvor müssen sich Unternehmen auch im Internet erfolgreich präsentieren, behaupten und sichtbar sein. Zudem ergänze sich ihr Konzept hervorragend mit den Marketing-Firmen, die bereits im Haus ansässig seien.

Die Geschäftsidee sollte innovativ sein, um einen Platz im Inkubator zu erhalten, sagt TZ-Geschäftsführer Martin Friedrich. „Ich ...
Die Geschäftsidee sollte innovativ sein, um einen Platz im Inkubator zu erhalten, sagt TZ-Geschäftsführer Martin Friedrich. „Ich bin ehrlich, wenn ich etwas als wirtschaftlich nur schwer umsetzbar sehe.“ | Bild: Sabine Pintur/Technologiezentrum

Für Dorothea Fichter-Fechner war der Inkubator ein Glücksgriff. „Ich wusste gar nichts davon“, sagt die Mutter dreier erwachsener Kinder. „Das Technologiezentrum, das waren für mich immer Hightech-Firmen.“ Dass sie mit einer Marketing-Agentur hier einen Platz finden könnte, habe sie gar nicht auf dem Schirm gehabt. Ein Freund ihres Bruders kennt Martin Friedrich, man unterhielt sich über sie und ihre Pläne. „Und Herr Friedrich sagte dann: Schick sie mal zu mir“, sagt sie.

Gründerzuschuss von der Arbeitsagentur

Im Inkubator hat sie nun ein halbes Jahr Zeit, ihr kleines Unternehmen in Ruhe aufzubauen. Neben einem Gründerzuschuss von der Agentur für Arbeit erhält sie sechs Monate Arbeitslosengeld. „Ich glaube stark an das Thema Content“, sagt sie. In der Pandemie sieht sie auch eine Chance: „Dadurch, dass momentan auch keine Messen stattfinden, müssen sich Unternehmen überlegen, welche neuen Kanäle sie bedienen können.“ Aktuell arbeiten ihr zwei Freiberufler zu, parallel baut sie sich ein Netzwerk auf und knüpft Kontakte zu den anderen Firmen im TZ. „Ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg.“