Wie im Brennglas lässt sich das Aussterben des klassischen Metzgereibetriebs im historischen Stadtkern von Villingen studieren. Vor wenigen Jahrzehnten gab es in jeder der vier großen Innenstadtstraßen noch eines oder mehrere Metzgereigeschäfte. Fast alle sind sie verschwunden. Übrig geblieben ist nur noch eines: Die Metzgerei Frick in der Niederen Straße.

Die Filiale Frick in der Niederen Straße ist das letzte verbliebene Metzgerfachgeschäft in der historischen Innenstadt von Villingen.
Die Filiale Frick in der Niederen Straße ist das letzte verbliebene Metzgerfachgeschäft in der historischen Innenstadt von Villingen. | Bild: Stadler, Eberhard

Frick ist bezeichnenderweise nicht einmal ein heimischer Familienbetrieb, sondern die Filiale einer Großmetzgerei aus dem Landkreis Sigmaringen, rund eine Fahrstunde von Villingen entfernt.

Staiger ist der letzte örtliche Produzent

Der einzig verbliebene Villinger Familienbetrieb, der vor Ort produziert, ist die Metzgerei Staiger. Sie liegt aber nicht mehr im Altstadtkern, wo die Metzgereien früher zentriert waren, sondern etwas außerhalb, in der Kirnacher Straße.

Seit der Schließung der Metzgerei Haller in der Oberen Straße im Dezember 2024 gibt es in ganz Villingen nur noch diese beiden Metzgereifachgeschäfte. Ansonsten versorgen sich die Einheimischen vor allem an den Wurst- und Fleischtheken der örtlichen Supermärkte und Discounter oder bei den Landmetzgern auf dem Villinger Wochenmarkt.

Einst 26 Metzgereigeschäfte in Villingen

Einer, der diesen Strukturwandel intensiv miterlebt hat, ist Metzgermeister Willi Riesle (85).

Als er in den 1950er-Jahren im väterlichen Betrieb in der Oberen Straße seine Ausbildung zum Metzger aufnahm, gab es in Villingen noch 26 selbständige Metzgereifachgeschäfte. Eine weitere eindrucksvolle Zahl: Der Villinger Schlachthof, damals noch in städtischer Regie, wimmelte von heimischen Metzgern. „Ich kann mich noch erinnern, dass damals am Montagmorgen rund 40 Villinger Metzger im Schlachthof zusammenkamen und geschlachtet haben“, berichtet Riesle.

Willi Riesle (85) hat seine Metzgerlehre in den 50 Jahren im väterlichen Betrieb absolviert. Später war er 23 Jahre Obermeister der ...
Willi Riesle (85) hat seine Metzgerlehre in den 50 Jahren im väterlichen Betrieb absolviert. Später war er 23 Jahre Obermeister der Metzger-Innung Schwarzwald-Bodensee. | Bild: Stadler, Eberhard

In seiner Zeit als Obermeister der Metzger- und Fleischerinnung Schwarzwald-Bodensee von 1990 bis 2013 hat Willi Riesle diesen Wandel des Metzgereihandwerks als Vertreter seines Berufsstandes aktiv mitgestaltet.

„Als ich 1990 als Obermeister angefangen habe, haben wir jährlich noch 150 bis 200 Lehrbuben in der Innung gehabt“, berichtet er von seligen Zeiten. Diese gingen in den Metzgereiklassen in Schwenningen und Radolfzell zur Schule.

Die Metzgerfachschule in Schwenningen

Von diesen Zahlen kann die Innung heute nur noch träumen. Die Zahl der Lehrbuben sank seit den 90er Jahren ebenso wie die der Fachverkäuferinnen. Jahre später musste die Metzgerfachschule in Radolfzell geschlossen werden. Es gab zu wenige Auszubildende. Riesle hat erfolgreich dafür gekämpft, die schulische Ausbildung des Metzgereinachwuchses aus der gesamten Region an der Gewerbeschule in Schwenningen zu konzentrieren.

Die Urzelle der Metzgerei Riesle, noch in der Oberen Straße 14 in Villingen.
Die Urzelle der Metzgerei Riesle, noch in der Oberen Straße 14 in Villingen. | Bild: privat

Doch auch diese Fachschule, die den Metzger- und Verkaufsnachwuchs im Fleischerhandwerk aus den Landkreisen Schwarzwald-Baar, Rottweil, Tuttlingen und dem Bodenseebereich ausbildet, kämpft inzwischen ebenfalls ums Überleben. Sinkt die Zahl der Azubis pro Klasse dauerhaft unter 16, droht die Schließung.

Woran liegt diese Nachwuchsmisere? Zum einen leiden fast alle 178 Handwerksberufe an Nachwuchsmangel. Das Handwerk muss gegen einen allgemeinen Bildungstrend ankämpfen: Immer mehr junge Leute streben ins Studium oder in Bürotätigkeiten, immer weniger ins Handwerk.

Es liegt auch am Beruf

„Es liegt aber auch an unserem Beruf selbst“, sagt der ehemalige Obermeister Willi Riesle. Tiere schlachten, das sei nun mal nicht jedermanns Sache.

Hinzu kommen die ständig steigenden Hygieneanforderungen, vor denen viele kleine Familienbetriebe kapitulierten. Heute, so konstatiert Riesle, sei es weitaus schwieriger und kapitalintensiver als früher, sich als Metzgermeister selbstständig zu machen.

Wieder gut gefüllt sind die Regale und die vielen Würste an den Haken locken verführerisch: Die Metzgerei Riesle 1952 nach dem Umzug in ...
Wieder gut gefüllt sind die Regale und die vielen Würste an den Haken locken verführerisch: Die Metzgerei Riesle 1952 nach dem Umzug in die Obere Straße 10. | Bild: privat

Was zählt, ist Größe

Die Konsequenzen sind offensichtlich: Die meisten kleinen Metzgereien sind vom Markt verschwunden, ein Großteil der Fleisch- und Wurstproduktion ist in industrielle Großschlachtereien verlagert worden, der Handel und Verkauf in die Supermärkte.

Die noch selbstständigen Familienbetriebe, so Riesle, suchten ihr Heil im Wachstum, mit eigenem Filialnetz. Ein gutes Beispiel sei die Metzgerei Frick aus Krauchenwies im Kreis Sigmaringen. „Es zählt Größe, Größe, Größe.“

Der Kampf um den Nachwuchs

Doch auch diese Familienbetriebe brauchen, wie die Supermärkte, ausgebildetes Fachpersonal. Die Innung, der Lebensmittelhandel und die Schwenninger Fachschule haben daher aus der Not mit gemeinsamen Aktionen reagiert. In den vergangenen Jahren gelang es, die Zahl der männlichen und weiblichen Auszubildenden in der Schwenninger Schule bei knapp 20 zu stabilisieren.

Im aktuellen Schuljahr stieg die Zahl sogar auf 17 Metzger-Auszubildende und 22 Fachverkäuferinnen – so viele wie schon seit Jahren nicht mehr. Der Landkreis als Schulträger äußert sich aktuell optimistisch, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Neuer Nachwuchs aus Indien

Für neue Hoffnung sorgen junge Leute aus dem Ausland. Um zu überleben, setzt das Handwerk inzwischen verstärkt auf Zuwanderung. Dies berichtet der Obermeister der Metzgerinnung, Karl Denzel aus Singen.

Metzgermeister Karl Denzel aus Singen ist Obermeister der Metzgerinnung Schwarzwald-Bodensee.
Metzgermeister Karl Denzel aus Singen ist Obermeister der Metzgerinnung Schwarzwald-Bodensee. | Bild: wal

Der Landesinnung sei es gelungen, 200 bis 300 Nachwuchskräfte aus Indien zu rekrutieren. Rund 40 bis 50 davon sollen laut Denzel im Herbst in der Metzgereifachklasse an der Gewerbeschule Schwenningen ihre Ausbildung aufnehmen.

Die Erfahrungen mit Auszubildenden aus Indien nach einem Pilotprojekt in Lörrach sind für Denzel mehr als überzeugend. „Wir haben es mit hoch motivierten und intelligenten jungen Leuten zu tun“, berichtet der Innungs-Chef. Die Inder in Lörrach beendeten ihre Abschlussprüfungen mit Gesamtnoten von 1 bis 1,5.

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Derartige Nachwuchskooperationen gibt es auch mit Eritrea und Indonesien. Diese Arbeitszuwanderung sei absolut notwendig, ist Denzel überzeugt. „Wenn wir keine jungen Leute mehr bekommen, haben wir ein großes Problem.“

Riesle beendet Metzgerei-Ära

Für Rentner Willi Riesle ist das Kapitel Metzgerei in seinem Haus nach über 90 Jahren indes abgeschlossen. Nachdem sein Mieter, die Metzgerei Haller, im vergangenen Dezember nach 17 Jahren ihre Filiale in der einstigen Riesle-Metzgerei mangels Personal geschlossen hat, will er die leerstehenden Verkaufsräume künftig anderweitig vermieten.

Geschlossen: Die Metzgerei Haller hat nach 17 Jahren ihre Filiale in Villingen, der ehemaligen Metzgerei Riesle in der Oberen Straße, ...
Geschlossen: Die Metzgerei Haller hat nach 17 Jahren ihre Filiale in Villingen, der ehemaligen Metzgerei Riesle in der Oberen Straße, wegen Personalmangels aufgegeben. An dieser Stelle endet eine über 90-jährige Metzgerei-Tradition. | Bild: Stadler, Eberhard

„Es kommt mir keine Metzgerei mehr rein“, sagt er. „Auch nichts anderes mit Lebensmitteln“, fügt er hinzu. Trotz vieler Anfragen – von Pizza bis Döner. Um alle Vorschriften zu erfüllen, müsste er noch mal bis 50.000 Euro in eine aktuelle Kühltechnik investieren. Das kommt für den 85-Jährigen nicht mehr infrage. „Die weitere Nutzung ist derzeit noch völlig offen“, sagt er.

Geblieben ist die Liebe zum Beruf

Geblieben ist ihm aber die Liebe zu seinem Beruf. „Ich bin bis heute Metzger aus Leidenschaft“, bekennt Riesle. Den Beruf würde er, wäre er noch mal jung, auf jeden Fall wieder ergreifen. Ein gut geführter Familienbetrieb, davon ist er überzeugt, hat auch in heutigen Zeiten noch immer goldenen Boden.