Freitagmorgen herrscht Hochbetrieb in der Metzgerei Haller in Schwenningen. Ein Sportverein will die vorbestellten Grillwürste fürs Sommerfest abholen. An der Heißtheke versorgen sich Handwerker mit Fleischkäsewecken, vor der Wursttheke warten mehrere Kunden.

Rizky Maulana ist gerade damit beschäftigt, Grillwürstchen in Speck einzuwickeln. Neben ihm bedient Agil Prastyo Kunden. Auch wenn augenscheinlich viel zu tun ist: Jeder wird mit einem strahlenden Lächeln begrüßt.

Der 32 Jahre alte Indonesier lebt seit April gemeinsam mit drei weiteren jungen Menschen aus dem südostasiatischen Inselstaat in Villingen. Agil Prastyo, Fitri Sugiarti, Erni Wutandari und Rizky Maulana werden zum Fleischereifachverkäufer beziehungsweise -fachverkäuferin ausgebildet.

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Ein Gemeinschaftsprojekt aus der Region

Die Metzgerei Haller nimmt an dem Projekt „Indonesische Auszubildende für Schwarzwald-Baar-Heuberg“ teil – eine Initiative der Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar und der Fachkräfteallianz. Projektleiterin Nurul Aini hat dem Familienunternehmen die vier jungen Leute vermittelt. Sie schließen einerseits eine große Lücke und haben andererseits die Möglichkeit, eine qualifizierte Berufsausbildung zu absolvieren.

Rizky Maulana wickelt Grillwürste in Speck ein. Die vier jungen Indonesier sind Muslime. Fitri Sugiarti und Erni Wulandari tragen auch ...
Rizky Maulana wickelt Grillwürste in Speck ein. Die vier jungen Indonesier sind Muslime. Fitri Sugiarti und Erni Wulandari tragen auch Kopftuch. Der Kontakt mit Schweinefleisch ist für sie aber kein Tabu. | Bild: Göbel, Nathalie

Betrieben leiden unter Fachkräftemangel

Die deutsche Wirtschaft und der Fachkräftemangel: Sie werden längst in einem Atemzug genannt. Ob Handwerk oder Pflege, Gastronomie oder Industrie: Es fehlen Leute. Zwar genießt das duale Ausbildungsmodell international einen hervorragenden Ruf – doch allein das reicht offenbar nicht mehr aus, um Lehrstellen zu besetzen.

Auzubis, wie man sie sich wünscht

Stefanie Leibinger ist die Tochter von Firmeninhaber Werner Schmidt und selbst gelernte Fleischereifachverkäuferin. Die Juniorchefin ist voll des Lobes über die vier jungen Indonesier, die seit April in den Filialen in Villingen-Schwenningen und Dauchingen lernen.

„Schon vergangenes Jahr hatten wir keinen, und auch dieses Jahr hat sich niemand beworben.“
Stefanie Leibinger, Juniorchefin in der Metzgerei Haller

„Sie sind unglaublich interessiert, fleißig und dazu so unglaublich freundlich – Wahnsinn“, sagt sie begeistert und nennt gleich ein Beispiel: Jede Wurstsorte, jeder Salat, jedes Stück Fleisch hat in der Metzgerei eine so genannte PLU-Nummer (Price look-up, Preis-Nachschlage-Code) – wie an der Selbstbedienungswaage in der Gemüseabteilung. Innerhalb von nur wenigen Tagen hatten die vier sämtliche PLU-Ziffern auswendig gelernt.

Agil Prastyo beim Bedienen hinter der Wursttheke. Im täglichen Kontakt mit den Kunden übt er seine Sprachkenntnisse. Die Kassencodes für ...
Agil Prastyo beim Bedienen hinter der Wursttheke. Im täglichen Kontakt mit den Kunden übt er seine Sprachkenntnisse. Die Kassencodes für alle Wurstsorten haben er und die anderen Azubis schnell auswendig gelernt. | Bild: Göbel, Nathalie

Fleiß, Wissbegier, Neugierde – Eigenschaften, die sie zuletzt bei Auszubildenden vermisst habe, sagt Stefanie Leibinger. Wenn es denn überhaupt welche gegeben habe: „Schon vergangenes Jahr hatten wir keinen, und auch dieses Jahr hat sich niemand beworben.“

Direkt in die Ausbildung gestartet

Umso glücklicher war die Metzgerfamilie, als sich die Chance bot, die jungen Indonesier auszubilden. Mitte April sind die vier in angekommen und sind direkt ins erste Lehrjahr eingestiegen. Mit Ausbildungsstart im September beginnt das erste Lehrjahr für sie noch einmal, somit dauert ihre Ausbildung dreieinhalb anstatt der sonst üblichen drei Jahre.

Die Jugendarbeitslosigkeit in Indonesien ist hoch

Für Rizky Maulana ist die Ausbildung, 11.000 Kilometer von zu Hause entfernt, eine echte Chance – und eine, die er nur allzu gerne ergriffen hat. Die Arbeitslosigkeit in Indonesien ist groß. Nach Angaben der Hilfsorganisation Plan International geht jeder fünfte junge Mensch weder zur Schule, noch ist er in Ausbildung oder hat Arbeit.

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Rizky Maulana hat diese schlechte Perspektive hinter sich gelassen. Grundkenntnisse in der deutschen Sprache hat er schon in der indonesischen Highschool von der zehnten bis zwölften Klasse erlernt. In Deutschland vertieft er sie in Sprachkursen und übt sich auch täglich im Gespräch mit den Kunden.

Was Deutschland als Arbeitsland attraktiv macht

In seiner Heimat hat Rizky unter anderem in einem Hotel und in einer Kantine gearbeitet, erzählt er. Sieben Tage beziehungsweise Nächte die Woche.

„Hier ist alles besser“, sagt er. Er schätzt die geregelten Arbeitszeiten und auch das moderne Arbeitsumfeld, das er so aus Indonesien nicht kenne. Er hofft, nach der Ausbildung in Deutschland bleiben zu können und auch seine Frau aus Indonesien nachholen zu können. „Das ist mein Traum.“

Rizky Maulana ist froh über die Chance, in Deutschland eine Ausbildung machen zu können. Er hofft, dass er seine Frau eines Tages ...
Rizky Maulana ist froh über die Chance, in Deutschland eine Ausbildung machen zu können. Er hofft, dass er seine Frau eines Tages nachholen kann. | Bild: Göbel, Nathalie

Die Chancen, nach der Ausbildung eine Stelle zu finden, stehen angesichts des gravierenden Fachkräftemangels gut.

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Ein Strahlen, das auch die Kollegen ansteckt

Sprachschwierigkeiten, die es nach so kurzem Aufenthalt zwangsläufig noch gibt, hätten bisher niemanden gestört. „Wirklich niemand hat da bisher komisch reagiert“, sagt Stefanie Leibinger. Im Gegenteil: Die Kunden seien neugierig, wer denn diese jungen Menschen mit dem gewinnenden Lächeln sind, die da seit einiger Zeit hinter den Theken stehen. „Mit ihrem Strahlen stecken sie das ganze Team an“, sagt Leibinger.

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In ihrer Freizeit lernen die beiden jungen Männer viel, berichten sie. „Ich lese viel und besuche die Sprachkurse“, sagt Rizky Maulana. Agil Prastiyo erkundet mit dem Move-Ticket gerne die Umgebung.

Wenn die Durchschnittstemperatur um 21 Grad fällt

An eins allerdings müssen sich die beiden noch gewöhnen: Das Schwarzwaldwetter. Die indonesische Durchschnittstemperatur liegt bei 30 Grad. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie bei etwa neun Grad. Alles unter 26 Grad sei schon eher kühl, sagt Agil Prastiyo und lacht.

Und was im Schwarzwald kühl bedeutet, hat die vier im wahrsten Sinne des Wortes eiskalt überrascht: „Als sie ankamen, hatten wir gerade mal vier Grad“, sagt Stefanie Leibinger, „wir sind mit ihnen dann erstmal Winterjacken kaufen gegangen.“