Die Lockerung der Corona-Kontaktbeschränkung im Schwarzwald-Baar-Kreis sind in den Innenstädten inzwischen deutlich sichtbar. Gastronomen tischen im Freien wieder kräftig auf, Einzelhandelsgeschäfte haben ihre Türen weit geöffnet. Allgemeine Zufriedenheit ist allerdings noch nicht eingekehrt bei Händlern und Wirten. Offenbar sind viele Gastronomen vom bisherigen Ergebnis der Lockerungen noch enttäuscht. Das schlechte Wetter und die vor allem die Testpflicht habe zuletzt viele Besucher ferngehalten, klagen sie.
„Die Innenstädte beginnen wieder zu atmen“, fasste Philipp Hilsenbek, der Abteilungsleiter der Standortpolitik bei der regionalen Industrie- und Handelskammer (IHK), die aktuelle Lage in Einzelhandel Gastronomie bildhaft zusammen. Doch noch ist die Lage durchwachsen. Das aktuelle Konjunkturbarometer zeige nach oben, doch 85 Prozent aller Kunden seien aufgrund der Pandemie „noch zurückhaltend“, was den Konsum in Gastronomie und Handel betreffe.
Branchen am Boden
Hilsenbek verdeutlicht anhand einiger Zahlen, welche verheerenden Spuren der lange Lockdown in Handel und Gastronomie bundesweit hinterlassen hat. Demnach bewerten 43 Prozent aller IHK-Betriebe dieser beiden Branchen ihre Finanzsituation als „problematisch“. Laut einer IHK-Umfrage fürchten 25 Prozent aller Reisebüros eine Insolvenz, ebenso 20 Prozent der Betriebe im Bereich Gastronomie und Freizeit. Nach den heftigen Umsatzeinbrüchen sei die Investitionsbereitschaft auf einem „Zehn-Jahres-Tief“, nur 51,5 Prozent der Unternehmen zeige aktuell überhaupt Investitionsbereitschaft (est)
In einer Pressekonferenz der IHK äußerten sich jetzt Branchenvertreter zur Lage in der Region. „Ich habe noch nie so viele Rückmeldungen meiner Berufskollegen bekommen wie jetzt“, berichtet Gastwirt Michael Steiger aus Marbach. Steiger ist Wirtesprecher im regionalen Hotel- und Gaststättenverband sowie Vorsitzender im IHK-Tourismusausschuss und betreibt mehrere Gaststätten in VS und Tuttlingen. Die Resonanz seiner Kollegen über die Wiedereröffnung der Gastronomie im Schwarzwald-Baar-Kreis sei geprägt von „durchgängiger Enttäuschung“. Grund: Das Wetter war zuletzt sehr wechselhaft, vor allem aber sei „die Testpflicht der hauptsächliche Blocker der Gastronomie“. Die Leute machten das einfach nicht im erhofften Maße mit. Hinzu kommt, dass es in den kleinen Städten und Gemeinden zu wenig Teststationen gebe. Hier seien die Bürgermeister gefordert.
Am liebsten wäre es den Wirten, wenn die Testpflicht bei einer Wocheninzidenz unter 50 vollständig aufgehoben wird, sowie dies im Handel bereits der Fall ist. In der Pandemie habe sich gezeigt, so Steiger, „dass Gastronomie und Handel nur gemeinsam funktionierten“. Viele Besucher, die zum Einkaufen in die Städte kommen, wollten anschließend auch noch einkehren. Doch dieser Einklang werde durch die Testpflicht derzeit massiv gestört.
Forderung an Politik
Der Gaststättenverband ist laut Steiger inzwischen auch mit dem Vorschlag an das Wirtschaftsministerium des Lands herangetreten, die Gültigkeit der Schnelltests von 24 auf 48 oder gar 60 Stunden zu verlängern, ähnlich wie dies bereits für die Schüler möglich ist. Auch das wäre aus Sicht der Gastronomie schon eine spürbare Verbesserung.
Ansonsten ruhen die Hoffnungen auf weiter sinkenden Inzidenzen, auf besserem Wetter und der beginnenden Fußball-Europameisterschaft. Vielleicht wird es ja noch was mit einem Sommermärchen, so hofft auch Steiger. Dass diese Hoffnungen nicht unbegründet sind, zeigte sich am Freitag in Villingen. Dort waren bei warmem Sommerwetter so manche Außengastronomie schon wieder gut belegt.
Prinzip Hoffnung
Das Prinzip Hoffnung dominiert auch im Einzelhandel, verdeutlichte Thomas Weisser. Er ist Vorsitzender des IHK-Handelsausschusses, hauptberuflich verdient er sein Geld mit dem „Haus der 1000 Uhren“, einem großen Souvenirgeschäft mit bis zu 25 Mitarbeitern in Triberg. Als Inhaber musste er in den zurückliegenden Monaten gewaltige Umsatzeinbußen hinnehmen. Allerdings betont Weisser auch: „Die staatlichen Hilfen kommen besser und oft schneller bei den Betroffenen an, als dies vielfach öffentlich diskutiert wird.“

Seit Ende Mai hätten sich die Lockerungen im Handel noch nicht nachhaltig bemerkbar gemacht. Die Einschränkungen durch Terminvereinbarungen, Testen und Luca-App hätten „zu viel Motzereien an der Ladentür“ geführt. Allerdings geht Weisser davon aus, dass die Branche mit den weiteren Lockerungen in dieser Woche sowie dem Beginn der Reisezeit diese Probleme schnell hinter sich lassen kann.
Standbein Onlinehandel
Weisser selbst hat die Coronazeit intensiv genutzt, um seine Präsenz in den sozialen Medien und den Online-Handel massiv auszubauen. Um die Digitalisierung voranzutreiben, hat er Werkstudenten eingestellt. Auf dieser Schiene konnte er neue Märkte öffnen. „Wir haben viel gelernt“, berichtet der Unternehmer. Er ist dazu übergegangen, ein Gebäude zum „Open-Work-Space“ herzurichten, wo er seine gesamten Online-Werbemaßnahmen bündeln wird. Den Präsenzhandel und den Online-Handel betrachtet er nicht als Konkurrenz, sondern als „Zwillinge“. Erfolgreiche Einzelhändler müssten in Zukunft beides bieten. Auch nach der Pandemie „müssen wir online sichtbar bleiben“, ist Weisser überzeugt.