Radsport: – Ungewohnte Worte erfüllten in den vergangenen Tagen die Flößerhalle in Wallbach. Spanisch war angesagt bei den Übungen der beiden Kunstradsportler, die unter den gestrengen Augen von Angelika Wirth ihre Runden drehten. Die Trainerin des RSV Wallbach setzte in heimischer Halle ihre „Mission Peru“ fort. Sie gab Gracia Sotomayor und Jorge Nazario den letzten Schliff für deren Start am Wochenende bei den Hallenradsport-Weltmeisterschaften in Schottland.
Um die begehrten WM-Titel im Einer-Wettbewerb werden die zwei Südamerikaner in Glasgow nicht fahren. Sie zählen zu den Exoten im Feld der von deutschen Sportlerinnen und Sportlern dominierten Szene. Das spielt für Gracia Sotomayor und Jorge Nazario, der in seiner Heimat als „Koko“ bekannt ist, keine Rolle: „Für mich geht ein Traum in Erfüllung, dass ich meine Heimat in Schottland vertreten darf“, so Nazario, der erstmals nach Europa gereist ist.

Ist schon seine Reise eine Premiere für den 38-jährigen Schweißer aus Lima, ist es der Wettbewerb allemal. Erst vor eineinhalb Jahren kam er mit Kunstradfahren in Berührung. Angelika Wirth hatte in Lima zum „Schnuppertraining“ geladen und sein Talent erkannt: „Er trat zuvor als Artist in einem Zirkus auf, bringt also gute Voraussetzungen für unseren Sport mit“, beschreibt die Schopfheimerin ihre Eindrücke: „Koko wird in Glasgow ein einfaches Programm fahren, doch er hätte Potenzial für mehr“, ist sich die langjährige Trainerin sicher.

Exoten bei der Radsport-WM in Glasgow
Das zu schaffen wäre möglich, könnte Jorge Nazario regelmäßig beim RSV Wallbach trainieren. Ein Umstand, der in Südamerika nicht zu erfüllen ist. Deshalb gibt sich der 38-Jährige, der aktuell in Buenos Aires (Argentinien) lebt, ein bescheidenes Ziel für seinen Start am Freitag: „Ich möchte meine Übungen fehlerfrei zeigen – das würde mich schon sehr glücklich machen.“

Mit 47,30 Punkten ist seine Kür bewertet, weist auch akrobatische Elemente, wie den Handstand auf dem liegenden Fahrrad auf. Es sei nicht so, dass sie ihm „Steiger“ nicht zutraue, so Angelika Wirth, aber „er trainiert in Peru allein und hat niemanden, der ihn anweist oder im Training hält. Er schickt mir Videos, ich bewerte und korrigiere. Training wie jetzt vor der WM, hat ganz andere Qualität. Angesichts dessen, dass er erst seit vorigem Jahr trainiert, ist seine Kür eine großartige Leistung.“
„Ich will nicht Letzte werden“
In dieser Hinsicht ist Gracia Sotomayor ein paar Schritte weiter. Sie startet bereits zum dritten Mal für Peru bei einer WM. Ihr Ziel für Glasgow ist klar abgesteckt: „Glücklich bin ich, wenn mir Sattel-Lenker-Stand und der Reitsitz rückwärts gelingen“, lacht sie: „Und ich möchte nicht Letzte werden, wie 2021, bei meiner Premiere in Stuttgart.“
Vor einem Jahr in Gent (Belgien) lief es – erstmals gecoacht von Angelika Wirth – schon besser für die 34-Jährige, die vor vier Jahren eher zufällig zum Kunstrad fand – dank eines Artikels in einer Zeitschrift: „Ich war sofort Feuer und Flamme, wollte das auch lernen.“

Also packte sie ihre Sachen, verließ Peru und stieg in Deutschland aufs Kunstrad. Eine Geschichte, die Angelika Wirth zu Ohren kam: „Ich bin seit Jahren für die weltweit aktive Indoor Cycling worldwide (ICWW) tätig und habe umgehend Kontakt aufgenommen.“ So fanden zwei Frauen zueinander, für die der Sport zur Herzenssache wurde: „Kunstradfahren lehrt mich, dass wir die einzigen Grenzen im Kopf haben. Mit Zeit, Mühe und Geduld können wir das Unmögliche möglich machen“, schwärmt Gracia Sotomayor.

Wie ihre Mentorin aus Schopfheim, die mittlerweile ICWW-Patin für Peru ist, hat Gracia Sotomayor es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen in Südamerika fürs Kunstrad zu begeistern. Sie reiste nach Kolumbien und Mexiko, stieß in Uruguay auf offene Ohren und ermöglichte so einer Sportlerin ebenfalls den Start im Einer am Samstag in Glasgow: „Kunstradfahren wurde eine Passion für mich. Ich möchte den Menschen meine Erfahrungen weiter geben und sie für diesen Sport begeistern.“

Worte, die Angelika Wirth, die einst beim RSV Herten erstmals aufs Rad gestiegen ist, nur zu gern hört. Auch für sie ist die Förderung eine echte Herzenssache. Mit Begeisterung trainierte sie das Duo, bot ihm auch Kost und Logis: „Sonst wäre das für die beiden alles nicht zu stemmen.“ Etwas finanzielle Unterstützung bekommen Gracia Sotomayor und Jorge Nazario von ihrem Verband. Zudem greift ihnen Michaela Rohleder aus Flonheim in der Pfalz unter die Arme – den Rest müssen sich die beiden Peruaner selbst finanzieren.