Das Atomkraftwerk im schweizerischen Leibstadt am Hochrhein in Sichtweite der Großen Kreisstadt Waldshut-Tiengen weist gravierende Sicherheitsdefizite auf und entspricht nicht dem internationalen Stand von Wissenschaft und Technik. Die Anlage erfülle nicht die Anforderungen für einen Langzeitbetrieb. Zu diesem Ergebnis kommt der Reaktorsicherheitsexperte Manfred Mertins von der Technischen Hochschule Brandenburg in seiner von der Schweizerischen Energiestiftung (SES) beauftragten, jüngst veröffentlichten Studie.
Das Atomkraftwerk Leibstadt wurde 1984 in Betrieb genommen. Es ist damit das jüngste in der Schweiz. Nach einer halbjährigen Revision soll die Anlage Anfang Dezember wieder ans Netz gehen. Indes diskutiert die Schweizer Politik den verlängerten AKW-Betrieb. In Anbetracht der jüngst publizierten Analyse halten die Experten dies für bedenklich.
„Trotz der Nachrüstungsarbeiten erfüllt das Atomkraftwerk Leibstadt heutige internationale Sicherheitsstandards nicht mehr“, heißt es in einer Medienmitteilung der Energiestiftung. „Für einen sicheren längerfristigen Betrieb müsste weitaus mehr unternommen werden, als das Kernenergiegesetz und die Schweizer Atomaufsicht Ensi verlangen“, wird Mertins zitiert.
Woran liegt das?
Der Vorwurf der SES: Die Ensi unternehme zu wenig, um die bestehenden Atomkraftwerke so nah wie möglich an das Sicherheitsniveau neuer Reaktoren heranzuführen. Laut Mertins müssten AKW grundsätzlich spätestens nach 40 Jahren außer Betrieb genommen werden.
Ausnahmen solle es nur geben, wenn das Sicherheitsniveau dem gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik entsprächen. Schweizer Atomkraftwerke müssten alle zehn Jahre eine Sicherheitsüberprüfung vornehmen und nach 40 Betriebsjahren ein Langzeitbetriebskonzept einreichen. Aber sie müssten sich dabei nicht am höchstmöglichen Sicherheitsniveau messen, sondern am so genannten Stand der Nachrüsttechnik.
Die SES nennt konkrete Mängel im AKW Leibstadt, unter anderem hinsichtlich diverser Sicherheitsysteme, dem gestaffelten Sicherheitskonzept, Schutz der Anlage bei einem Flugzeugabsturz und der Kernschmelzszenarien.
Welche Reaktionen gibt es?
Die SPD-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Waldshut und parlamentarische Staatssekretärin, Rita Schwarzelühr-Sutter, fordert in einer Medienmitteilung die Schweizer Atomaufsicht dazu auf, sich schnell mit den Ergebnissen der Studie auseinanderzusetzen.
Ihr Wunsch: Für die geplanten Laufzeitverlängerungen soll eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig sein. Die Schweizer Atomaufsicht schreibt auf Nachfrage: „Das Ensi nimmt Studien zur Sicherheit von Kernanlagen ernst. Es prüft, ob es eine Stellungnahme zu dieser Studie abgibt.“