Beim Ärger um die Gäubahn hat man vor allem Pendler im Kopf, die gerade wieder für Monate ausgebremst werden und umständlich auf Schienenersatzverkehr ausweichen müssen, weil ein Teilstück zweigleisig ausgebaut wird. Noch größeres Ungemach droht, wenn nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 eine mehrjährige Kappung der Zugverbindung zwischen Stuttgart und Zürich droht. Ein Problem nicht „nur“ für Passagiere, sondern auch für den Gütertransport.

Um zu verdeutlichen, wie groß das Interesse der Wirtschaft an einer durchgehenden Bahnverbindung ist, haben sich die Industrie- und Handelskammern entlang der Gäubahn-Strecke mit den schweizerischen Wirtschaftsverbänden zusammengetan. Die Forderungen, die sie an den Landtag stellen, präsentierten sie am Donnerstag der Presse. Sollte es zur Kappung kommen, so ihre Hauptbotschaft, erwarte man Kompensation.

250.000 Unternehmen mit einer Million Beschäftigten befinden sich laut Steffen Würth, IHK-Vizepräsident Schwarzwald-Baar-Heuberg, im Wirtschaftsraum entlang der Gäubahn. Nicht nur die Bürger, auch die Unternehmen im ländlichen Raum fühlten sich bei der Verkehrsinfrastruktur zunehmend abgehängt, so der Geschäftsführer der Straub Verpackung GmbH in Bräunlingen.

„Die Geduld der Wirtschaft ist endlich“, so Würth, der auf die in der Tat lange Vorgeschichte hinwies: 1996 bereits wurde der Vertrag von Lugano unterzeichnet, verbunden mit der Zusage, dass die Verbindung zwischen Stuttgart und Zürich als Teil der Alpen-Traversale, beschleunigt werden sollte.

Fünf statt knapp über zwei Stunden

Auf zweieinviertel Stunden sollte die Fahrtzeit verkürzt werden, so der Plan. Aktuell hat Sven Marti, Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik der Zürcher Handelskammer, dank Schienenersatzverkehr fünf gebraucht für den Rückweg vom Landtag, wo die Wirtschaftsverbände ihre Forderungen den Fraktionen näherbrachten. „Die Schweiz hält ihren Teil der Vereinbarung ein“, sagt Marti mit Verweis auf den Gotthard-Basis-Tunnel.

Von Deutschland dagegen sind die Schweizer inzwischen Kummer gewohnt: ICEs aus Deutschland müssen wegen permanenter Verspätung inzwischen draußen bleiben, um den Schweizer Takt nicht zu gefährden. Eine Stunde Null nennt Lukas Federer, zuständig für Infrastruktur bei Economiesuisse, einem Wirtschaftsdachverband ähnlich dem DIHK, hingegen die Havarie der Rheintalbahn bei Rastatt und die siebenwöchige Sperrung der Strecke im Jahr 2017. „Die Infrastruktur hat Karies und man scheut den Gang zum Zahnarzt“, sei eine der Erkenntnisse daraus, so Federer.

Wenig Vertrauen in Deutschland

Was hat das mit der Gäubahn zu tun? Die verläuft zwar auf der anderen Seite des Schwarzwalds, gilt aber als zweite Nord-Süd-Verbindung in die Schweiz als so genannte Redundanz – als wichtige Alternativstrecke.

Darauf dass die Gäubahn noch Jahre, vermutlich Jahrzehnte lang diesem Anspruch nicht gerecht werden kann, hat sich die Schweizer Seite bereits eingestellt: 500 Millionen Franken steuert die Schweiz für die Förderung des Ausbaus des linksrheinischen Verkehrs im Korridor Straßburg-Metz-Antwerpen bei, so hat es der Nationalrat im Dezember 2022 beschlossen.

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Die Schweizer Politik rechnet damit, dass der Verkehr über die Alpen zwei Prozent pro Jahr wachsen wird, was in 20 Jahren 48 Prozent mehr Alpentransit bedeutet. „Ohne einen raschen Ausbau dieses Nadelöhrs wird ein großer Teil dieses Mehrverkehrs die Alpen im Straßentransport queren müssen“, so die Erwartung in der Gesetzesvorlage. „Die Schweiz plant weniger mit Deutschland“, fasst Philipp Hilsenbek von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg zusammen.

Lukas Federer, Economiesuisse
Lukas Federer, Economiesuisse | Bild: economiesuisse

Die Gäubahn, das wird bei der Präsentation klar, ist für die Schweizer alles andere als ein Provinz-Thema, wie es der harmlose Name der Strecke vielleicht suggeriert. Für die import- und exportorientierte Schweiz ist ein funktionierender Außenhandel essenziell. Mit 40 Millionen Tonnen Gütern, die pro Jahr durch die Schweiz hindurchgehen, unter anderem auf der Alpen-Traversale, hat der Bahnverkehr gesamteuropäische Bedeutung.

Gigaliner statt Gäubahn?

Auf deutscher Seite erwartet man Kompensation von Seiten des Landes. Nicht in Form von direkten Geldspritzen allerdings, man erwartet aber Zugeständnisse und Investitionen: Während die Gäubahn noch jahrelang blockiert ist, sollte nach Ansicht der Beteiligten wenigstens in Querverbindungen investiert werden, also Zubringer-Strecken wie die Nagoldbahn oder Umfahrungen.

Dem Schienenverkehr den Rücken kehrt die zweite Forderung: Ein Umdenken in Sachen Gigaliner fordert Marius Neininger, IHK-Ausschuss für Verkehr und Infrastruktur Schwarzwald-Baar-Heuberg und Geschäftsführer von Bächle Logistics in Villingen-Schwenningen. Wenn die Transportunternehmen gezwungen würden, von der Schiene zu weichen, muss man ihnen den Gebrauch extralanger Lkw auf mehr Strecken erlauben, so der Gedanke, um damit die Nachteile zu kompensieren.

Der nächste Faktencheck steht an

Der Zeitpunkt, den die Kammern und Verbände für ihre Forderungen gewählt haben, zielt auf einen weiteren Faktenscheck, den der Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn für Ende Juli angekündigt hat. Der soll die Aussagen des vorangegangenen Faktenchecks nochmal durch drei Gutachter überprüfen. Finanziert werden diese vom Land Baden-Württemberg und dem Regionalverband Schwarzwald-Baar-Heuberg.

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Bei ihrem großen Faktencheck hatten Bahn und die Stadt Stuttgart begründet, warum die Gäubahn ab 2025 nicht mehr über die Panoramabahn an den Hauptbahnhof angebunden werden könne. An diesen Gründen haben die Anliegergemeinden Zweifel.