Wer sich dem Träumlihof nähert, der wird von zwei neugierig schnaubenden Kaltblutpferden begrüßt. Anatol und Aragon heißen sie, denn ihre Besitzerin Priska Preiss ist Fan der „Herr der Ringe“-Reihe. Und schon dieser erste Eindruck zeigt eine Besonderheit: Diesel und Motoren sucht man auf dem Träumlihof nämlich vergeblich, die Pferde ersetzen den Traktor.

Die Pferde Anatol und Aragon gehören zur Familie – sind aber auch die Traktoren des Hofes.
Die Pferde Anatol und Aragon gehören zur Familie – sind aber auch die Traktoren des Hofes. | Bild: Marina Schölzel

Denn die Philosophie von Marcel und Priska Preiss lautet: Landwirtschaft wie vor 100 Jahren – „oder wie in 100 Jahren wieder“, sagt Marcel Preiss. Der Hof des Ehepaars liegt etwas oberhalb von Weinfelden in der Schweiz, rund 15 Kilometer hinter der deutschen Grenze. Der 61-Jährige und seine 50-Jährige Frau versorgen sich dort weitgehend selbst.

Der Träumlihof liegt oberhalb von Weinfelden, die Familie Preiss bewirtschaftet rund sieben Hektar Land.
Der Träumlihof liegt oberhalb von Weinfelden, die Familie Preiss bewirtschaftet rund sieben Hektar Land. | Bild: Marina Schölzel

Der Hof wirkt alt ehrwürdig, fast historisch. Mancher Balken des mittlerweile modern umgebauten Bauernhaus stamme wohl von 1630, sagt Marcel Preiss.

Fleisch, Apfelsaft und Honig aus eigener Produktion

Zum Hof gehören Hühner für eigene Eier, Hasen und Schafe für eigenes Fleisch. Jährlich schlachten sie rund 14 Lämmer, auch die Hasen. Anfangs haben sie sich überlegt, einen veganen Hof zu führen, sich dann aber dazu entschieden, dass der Tod zum Leben dazu gehört, auch wenn sie mit dem Töten anfangs Mühe gehabt habe.

Die Beziehung zum Tier ist Priska Preiss wichtig, bei jeder Schlachtung trauert sie. Dieser Bezug zu den Tieren würde in der konventionellen Landwirtschaft verloren gehen, kritisiert sie.

Egal bei welchem Wetter: Priska Preiss hat immer viel zu tun auf ihrem Hof.
Egal bei welchem Wetter: Priska Preiss hat immer viel zu tun auf ihrem Hof. | Bild: Marina Schölzel

Rund 180 Obst- und Nussbäume gehören zum Träumlihof. Für den eigenen Hofladen produzieren sie Süßmost und Nussöl. Außerdem kümmern sie sich um zehn Bienenvölker, stellen eigenen Honig her. Im Garten wachsen Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, Tomaten, daneben verrottet Bioabfall zu neuer Erde. „Muss ich schon weniger davon kaufen“, sagt Priska Preiss.

Auf dem Träumlihof wird vieles selbst gemacht. Auch Erde vom Komposthaufen.
Auf dem Träumlihof wird vieles selbst gemacht. Auch Erde vom Komposthaufen. | Bild: Marina Schölzel

Das Ehepaar Preiss lebt mit den Jahreszeiten. Im Sommer und Herbst wird geerntet, das Obst und Gemüse konserviert, im Winter wird davon gezehrt. Dann gibt‘s für die Kunden des Hofladens auch keine Eier. Die Hühner legen eben nur Eier, wenn die Tage länger sind. „Unsere Kunden wissen das“, sagt das Ehepaar. Durch die heutige Massenproduktion gebe es eine Kluft zwischen Konsument und Produzent, kritisieren sie. Dem wollen die Preissens entgegenwirken.

Das Vertrauen ihrer Kunden in die Produkte des Ehepaars sei hoch, „die zahlen auch gern 90 Rappen pro Ei“, sagen sie. Das klingt nach sehr viel, ist aber noch im üblichen Schweizer Rahmen. Der Preis für konventionelle Eier liegt laut Schweizer Bauernverband bei 60 bis 80 Rappen, beim Bio-Ei bei 85 bis 95 Rappen, also umgerechnet 91 Cent bis 1,02 Euro.

Ins Demeter-Label passten sie nicht rein

Einst war ihr Hof Demeter-zertifiziert. Das Label haben sie wieder abgelegt, für die Demeter-zertifizierte Verarbeitung des Obstes hätten sie zu weite Wege zurücklegen müssen, sagt das Ehepaar. Das wollten sie nicht mehr: Wichtiger war es, stark mit der Region verwurzelt zu sein.

Der Hof ist mit Pachtland rund sieben Hektar groß. Als Selbstversorger hat die Familie wenig Ausgaben. Dazu sei der Hof nahezu autark. Wasser kommt aus der eigenen Quelle, Strom wird durch Solaranlagen in den Elektrospeicher eingelagert, in der Küche stehen alte Kachelöfen, das Holz dafür wird selbst gehackt, zur Not gibt es eine Schnitzelheizung.

Für das Ehepaar allein würde der finanzielle Ertrag des Hofladens und die eigenen Erzeugnisse zum Leben reichen, zur Unterstützung der zwei noch studierenden Söhne aber nicht ganz. Dafür gibt es Mieteinnahmen eigener Immobilien.

Einen Teich hat der Träumlihof auch. Er ist künstlich angelegt, das Ehepaar Preiss hat ihn selbst gebaut.
Einen Teich hat der Träumlihof auch. Er ist künstlich angelegt, das Ehepaar Preiss hat ihn selbst gebaut. | Bild: Marina Schölzel

Vor dem Träumlihof gehörte Marcel Preiss ein Zimmerei-Betrieb mit einigen Angestellten, seine Frau arbeitete in der Buchhaltung. Die Erfüllung im Beruf fanden sie aber beide nicht. Dann beschloss Marcel Preiss seinen Betrieb an zwei junge Mitarbeiter zu übergeben.

Bei einem Spaziergang mit dem Hund stieß Priska auf den Hof, das war 2014. Damals gehörte er einem älteren Geschwisterpaar, diese wollten in den Hof nicht mehr investieren. Das Ehepaar Preiss machte Nägel mit Köpfen und den Geschwistern ein Angebot: Man investiere in den Hof, übernehme diesen, die Geschwister können aber dort wohnen bleiben. Aus einem Bauernhaus wurden zwei separate Häuser, rund eine Million Franken investierte das Ehepaar.

In der Küche des Bauernhauses wirkt es, als sei die Zeit stehen geblieben.
In der Küche des Bauernhauses wirkt es, als sei die Zeit stehen geblieben. | Bild: Marina Schölzel

2018 zogen sie auf den Hof: Die Erfüllung eines Traums. Priskas Vater war bereits Bauer, hat den Hof vor ihrer Geburt aufgegeben. Sie selbst wollte immer Landwirtin werden, ihr Vater sagte aber „Ohne Hof geht das nicht und schon gar nicht als Frau.“

Priska bewies das Gegenteil, absolvierte eine dreijährige Ausbildung zur Landwirtin. Jetzt sind sie glücklich, zu einem Preis: Es geht seltener in den Urlaub. Dazu seien sie aber eh nicht der Typ. Glücksselig schaut Priska aus dem Küchenfenster: „Dort steht eine Linde, auf der anderen Seite eine Eiche und ich wohne direkt auf den Wurzeln. Etwas Geborgeneres gibt es doch nicht, oder?“