Der Wunsch nach Selbstständigkeit und seine Selbstüberschätzung führten einen 54-Jährigen am Donnerstag, 8. Mai, vor das Stockacher Amtsgericht. Als er 2021 einen Handwerksbetrieb übernahm, soll er in 22 Fällen die Sozialversicherungsbeiträge seiner Beschäftigten entweder gar nicht oder nicht fristgerecht abgeführt haben. Doch obwohl der Angeklagte schon einmal wegen eines ähnlichen Falls im Gefängnis war, erhielt er eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Und damit seine allerletzte Chance.
Mit vollem Vorstrafenregister zum Termin
Neun Einträge zählt das Vorstrafenregister des 54-Jährigen. Betrug, Trunkenheit im Verkehr, mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis und Urkundenfälschung. Er stand auch schon einmal wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelt vor Gericht und wurde 2017 deshalb zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Auch aktuell ist der Mann noch auf Bewährung.
Doch der Wunsch, einen eigenen Betrieb zu führen, war größer als die Furcht, noch einmal zu scheitern und noch einmal vor Gericht zu landen. Nachdem der 54-Jährige 2021 freigekommen war, unternahm er einen erneuten Versuch, sich selbstständig zu machen. Nun muss er sich wieder wegen Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt verantworten.
Dabei fragte Richterin Melina Michalski, wie es erneut dazu kommen konnte. „Das war Blödsinn. Alles“, erwiderte der Angeklagte. Die Richterin hielt dagegen: „Warum soll ich heute davon ausgehen, dass es anders wird?“
Eigener Betrieb ist nur ein Wunschtraum
„Ich arbeite wirklich gern, aber um ein Geschäft zu führen, gehört mehr dazu“, sagte der 54-Jährige. Aktuell sei er als Angestellter so glücklich mit seinem Job wie noch nie. Dass er das erkannt habe, sei ihm zugutezuhalten, sagte die Staatsanwaltschaft.
Die Verteidigerin Yvonne Knaus sprach offen von Selbstüberschätzung. Der Wunsch und das Denken, einen Betrieb übernehmen zu können, habe schließlich zu den Straftaten geführt. Zudem kämpfe er noch mit einem Schuldenberg. „Schon noch 150.000 Euro“ seien es, sagt der Angeklagte. Darunter fallen nicht nur Zahlungen an das Finanzamt, sondern auch an Geschädigte.
48-Jährige sitzt mit ihm auf der Anklagebank
Neben dem Mann saß auch eine 48-Jährige auf der Anklagebank. Sie hatte im Jahr 2021 in seinem Betrieb buchhalterische Aufgaben übernommen und ist daher mitangeklagt. In ihrem Fall regte Rechtsanwalt Sylvester Kraemer aber eine Einstellung des Verfahrens an. „Ich würde mich nicht verwehren, wenn die Staatsanwaltschaft dem näher tritt“, erklärte Richterin Melina Michalski. Nach Aktenlage sei die Rolle der Angeklagten eher untergeordnet gewesen. „Sie sind zwar auf der Anklagebank, aber auch geschädigt“, sprach sie die 48-Jährige an.
Sie erhielt eine Geldauflage von 1200 Euro, die die Angeklagte an das Frauenhaus in Singen zahlt. „Es wird jetzt noch einmal hart, aber dann haben Sie das Verfahren hinter sich“, so die Richterin. Damit war das Verfahren für die 48-Jährige beendet.
Staatsanwaltschaft sieht keine positive Prognose
Für den Angeklagten hingegen sah die Staatsanwaltschaft keine positive Prognose. Bisher habe er sich nicht bei der Mitangeklagten entschuldigt und die bisherigen Strafen sowie der Aufenthalt im Gefängnis hätten keine Wirkung gezeigt. „Er hat nicht nur sich selbst, sondern auch Einzelpersonen oder Solidargemeinschaften geschädigt“, so der Staatsanwalt. Er beantragte daher eine Freiheitsstrafe von neun Monaten ohne Bewährung.
Auch Verteidigerin Yvonne Knaus sagte, man komme leicht zu dem Schluss: „Rein muss er. Das kann ja nicht sein.“ Aber auf der Anklagebank sitze ein sehr sympathischer Mann, der geständig sei und zugegeben habe, sich selbst überschätzt zu haben.
Dennoch betonte die Verteidigerin die Zukunftsperspektive des Angeklagten. Er sei sehr glücklich in seinem jetzigen Job, weshalb sie eine positive Entwicklung sehe. „Ich bitte darum, die Strafe noch einmal zur Bewährung auszusetzen“, plädierte Yvonne Knaus. Dem schloss sich auch der 54-jährige Angeklagte an.
Noch eine Freiheitsstrafe auf Bewährung
Am Ende sprach Richterin Melina Michalski den Mann schuldig. Die neunmonatige Freiheitsstrafe setzte sie allerdings zur Bewährung aus. Zudem solle der Angeklagte die Kosten des Verfahrens tragen. Sein Geständnis merkte sie als deutlich positiv an, da es das Verfahren verkürzt habe: Ursprünglich waren zwei Verhandlungstage angesetzt, bei denen zehn Zeugen aussagen sollten. Doch unter den Umständen verzichtete das Gericht darauf, diese zu hören.
„Ich weiß wirklich nicht, was passieren wird, wenn man Sie hier herauslässt“, sagte die Richterin abschließend. Sie gebe ihm „die letzte der letzten der letzten Chancen“ und sei überzeugt, dass er sein Leben in den Griff bekommen werde.