Eine rote Ampel auf der Laube. Egal. Heute dürfen Radfahrer ganz legal darüberfahren. Fahrverbot im Kreuzlinger Seeburgpark. Egal. Heute ist es für Radfahrer erlaubt, sich auf den Wegen dort aufzuhalten. Beim zweiten grenzüberschreitenden Velopicknick haben knapp 400 Radfahrer bei bestem Radwetter freie Bahn. Für wenige Stunden haben sie Vorfahrt auf dem etwa zwölf Kilometer langen Rundkurs durch Konstanz und Kreuzlingen. Autos müssen warten. Die Polizei in Konstanz und Ordner in Kreuzlingen sorgen dafür.
Beim Velopicknick strampeln kleine Kinder, Sportfahrer, Tandem-Fahrer oder Frauen wie die 63-jährige Anna, eine Gelegenheitsfahrerin. Als sie zum Startpunkt auf Klein Venedig kommt, möchte sie am liebsten wieder kehrt machen. Sie kommt im leichten Wollpulli, hat ein Rad ohne Elektroantrieb und sieht, dass viele ein Elektro-Fahrrad haben und im Raddress auf dem Sattel sitzen. Sie sei aus Neugierde gekommen. Schüchtern sagt Anna: „Ich versuche, die halbe Strecke zu machen.“
Erlebnis in der Gruppe: „Schöner kann es ja nicht sein“
Linda Schäppi ist mit ihrer zehn Jahre alten Tochter auf Klein Venedig. Diese steht am pinkfarbenen Rad. Die Satteltaschen zeigen Pferdemotive. Die Kleine müsse lernen, in der Gruppe zu fahren und Rücksicht auf andere zu nehmen, das Velopicknick passe da bestens, sagt die Mama.
Die 79 Jahre alte Renate Madeja sagt, wegen des Muttertags seien alle Freunde und Bekannte weg. Sie habe sich entschlossen, nicht über das Alleinsein zu jammern, sondern etwas zu unternehmen. Weil sie ohnehin fast alles in Konstanz mit dem Rad erledige und das Wetter traumhaft sei, habe sie sich entschieden, am Velopicknick teilzunehmen: „Schöner kann es ja nicht sein.“ Dies bestätigt auch Susanne Köhler: „Bei Regen wäre ich nicht gekommen.“

Es sind auch Menschen dabei, die auf dem Rad zuhause sind, wie Florian Hörsting-Walkhoff, der frühere Radmechaniker und Rennradsportler. Mit Blick auf den Bodensee sagt er: „Es ist ein Privileg, hier Radfahren zu dürfen.“ In Konstanz gebe es kein Verkehrsmittel, mit dem man so schnell unterwegs sei wie mit dem Rad.
Fahrradbegeistert ist auch der 26 Jahre alte Isam Bendaya. Er ist mit seinem Rennrad von St. Gallen an die Kunstgrenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen geflitzt. Er unterstützt gern Veranstaltungen, die das Radfahren befördern, außerdem repariert er Räder und beobachtet in seiner Heimatstadt Zürich eine „gute Radkultur“.
Ruth und Markus Würth sind bestens ausgestattet mit Radhelmen, tollen Rädern und Radkluft. Sie sind von Märstetten gekommen, spontan, weil das Wetter so schön ist. Beide machen auf den Rädern auch Urlaub und unterstützen in der Schweiz eine Organisation, die das Radfahren voranbringen will.
Schweizer kommen mit dem Velo, die Deutschen mit dem Rad
Der Kreuzlinger Stadtpräsident Thomas Niederberger und der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt stehen hinter dem Velopicknick. Sie führen den Zug der Radelnden an. Niederberger wirbt: Die Veranstaltung habe mindestens drei positive Effekte. Sie sorge für Bewegung, mache Lust aufs Velofahren und zeige die Verbundenheit der Nachbarstädte.
OB Burdhardt sagt, in einer engen Stadt wie Konstanz sei das Radfahren die richtige Antwort. Viele Bürger wüssten das. Nach der Statistik aus dem Jahr 2023 bewegten sich 37 Prozent der Einwohner mit dem Rad, nur 20 Prozent mit dem Auto. Der Rest gehe zu Fuß oder nutze öffentliche Verkehrsmittel. Er stellt fest, nur bei der Wortwahl gebe es eine harte Grenze. Was in der Schweiz selbstverständlich Velo heißt, nennt der Deutsche Rad.
„Wir waren alle im Tunnel“, sagt der 13-jährige alte Aaron nach der Tour. Er freut sich, dass für Radfahrer üblicherweise gesperrte Strecken einmal offen waren. Es habe Spaß gemacht, einmal nicht auf Autos achten zu müssen. Mutter Michaela Radler bekräftigt: „Das ist eine richtig gute Idee. Es war super.“ Als sie ihren Nachnamen nennt, lacht sie. „Wir heißen wirklich so.“
Inzwischen hat der Tross an der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen Stopp gemacht. Die Bodensee Philharmonie mit dem Solotrompeter Maxime Faix geben ein Platzkonzert. Auf Klein Venedig sind viele Stände aufgebaut, man kann sein Rad überprüfen lassen oder auf der Velobörse ein gebrauchtes Rad kaufen.

Die Angebote werden stark genutzt. Flaurim Sulejmani entdeckt für die vier Jahre alte Tochter Liyah ein Kinderrad. Noch kann die Kleine nicht Radfahren, aber es sollte bald klappen. Jens und Leander Schröder aus Konstanz wollen nichts wegwerfen. Das Vater-Sohn-Duo gibt Rädern eine zweite Chance. Mit ihrem Unternehmen Upriders gestalten sie zum Beispiel aus alten Rahmen, die sie neu abstrahlen und pulverisieren lassen, und aus Lenkern neue Räder.
Philipp Pfeifer stellt gleichsam eine Frontscheibe fürs Rad vor. Sie soll vor Regen und Kälte schützen und ist aus Materialien gefertigt, die aus dem Wassersport kommen. Das Wip genannte System wird am Lenker verankert, soll aber keinen Einfluss auf die Lenkfähigkeit haben.