Wenn nur das Wort fällt, gehen die Emotionen zuverlässig hoch. Radfahrer! Bei den einen donnern vor dem geistigen Auge Rowdys zu nächtlicher Stunde ohne Licht schwarz gekleidet über die rote Ampel falsch herum in eine Einbahnstraße rein. Die anderen freuen sich verklärt über zehntausende Menschen, die allein in Konstanz Tag für Tag helfen, das Klima zu retten und dabei sogar den Autofahrern noch Platz freimachen auf den Straßen.
Freilich – die ganz große Mehrheit der Radfahrer verhält sich meistens regelkonform und nimmt auch keine besondere moralische Überlegenheit für sich in Anspruch. Trotzdem zeigen die beiden Extreme der Debatte, woran eine Stadtgesellschaft im Umgang mit und unter Radfahrern arbeiten kann und sollte.
Tatsache ist: Ohne einen massiven Ausbau des Radverkehrs können gerade beengte mittelgroße Städte die Mobilitätswende vergessen. Einerseits sind die Entfernungen zu groß, um vorzugsweise zu Fuß zu gehen. Andererseits ist die Bevölkerung viel zu klein, um einen jederzeit flächendeckenden öffentlichen Nahverkehr auf Großstadtniveau zu tragen. Wenn gute Bedingungen dazukommen – im Fall von Konstanz eine flache Topografie, ein gutes Radwegenetz und passable Abstellmöglichkeiten – sind das prima Voraussetzungen.
Vier von fünf Wegen werden nicht mit dem Auto zurückgelegt
Das zahlt sich aus. Auch wenn es viele nicht glauben wollen, ist das Fahrrad längst das meistgenutzte Verkehrsmittel innerhalb von Konstanz. Eine Analyse der Technischen Universität Dresden von 2023 zeigt für Konstanz: 37,1 Prozent der Wege werden mit Rad zurückgelegt, 29,8 Prozent zu Fuß und nur noch 22,5 Prozent mit dem Auto, der ÖPNV-Anteil stagniert bei etwas über zehn Prozent.
Noch 2018 lag das Auto knapp vorn, inzwischen sind die Radler klar in der Mehrheit. Gegenüber 2007 hat sich ihr Anteil der Radler sogar fast verdoppelt. Und 2024 wurden allein an der Fahrradbrücke im Herosé-Park fast 3,5 Millionen Radler gezählt, das sind fast 10.000 am Tag. Regen, Eis und Schnee mit eingerechnet.
Doch bilden die Verkehrswirklichkeit und die Ausgabenpolitik in der Stadt diese massive Verschiebung ab? Und wie könnte es gelingen, dass die Anzahl der Radfahrer weiter steigt? Hier kommen einige Beispiele, wo Konstanz handeln könnte.
- Sichere Parkplätze: Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Nicht immer an den richtigen Stellen, aber mit etwas Geduld findet man zumeist einen Fahrrad-Parkplatz, wo sich das Rad auch anschließen lässt. Nun soll noch ein Parkhaus am Bahnhof dazukommen. Viele regen sich darüber auf, obwohl Fahrradparkhäuser in Holland super funktionieren. Gegen das ebenfalls mit öffentlichem Geld gebaute Autosilo an der Schänzlebrücke sagt kaum jemand etwas.

- Zähringerplatz umbauen: Fast alle Wege führen über den Zähringerplatz. Während für Autos opulent viel Platz ist, stauen sich die Radler. Oft behindern sie sich gegenseitig und auch die Fußgänger. Für viele häufige Fahrtrichtungen muss man mehrfach an Ampeln anhalten, statt in einem Zug über die Kreuzung fahren zu können. Hier geht es darum, öffentlichen Raum umzuverteilen, Radlern mehr Fläche und schnellere Verbindungen zu geben.

- Bessere Kreuzungen: Ob die Unterbrechung der Fahrradstraße im Paradies oder viele Ampelschaltungen: Wenn das Fahrrad nicht nur in Sonntagsreden Vorfahrt haben soll, muss das an ganz vielen Kreuzungen praktisch umgesetzt werden. Und ja, das wird bedeuten, dass Autos und vielleicht sogar Busse mal warten müssen. Zur Erinnerung: Täglich steigen fast viermal mehr Menschen aufs Rad als in einen Bus.

- Mut auf der Konzilstraße: Bushaltestelle, Theater-Eingang, querende Fußgänger und dann auch noch die Ampeln – die Konzilstraße mit ihrem Zwei-Richtungs-Radweg ist ein Albtraum. Wie wäre es, wenn Radler einfach die Straße mitbenutzen und dann auf der Alten Rheinbrücke endlich die seit Jahren geplante eigene Spur bekommen? Wenn jetzt fast überall Tempo 30 ist, fahren eh fast alle etwa gleich schnell.

- Teilorte: In Zeiten des E-Bikes ist auch ein täglicher Weg von Dettingen oder Dingelsdorf in die Stadt per Rad gut zu bewältigen. Da wären sichere und flotte Verbindungen ein großer Gewinn, gerade auch zwischen den Bodanrück-Orten untereinander. Nur für Autos wurden ja auch für viele Millionen Euro die West- und Nordtangente errichtet. Warum also nicht auch ganz neue Radwege bauen?
- Gratis-Radmitnahme auf der Fähre: Mit dem BW-Tarif darf man fast immer und fast im ganzen Land das Fahrrad ohne Mehrkosten im Zug mitnehmen. Auf der Fähre nach Meersburg kostet die Überfahrt mit Fahrrad 6,70 Euro – mehr als die Hälfte eines kleinen Autos. Eine kostenlose Radmitnahme wäre ein echtes politisches Signal und würde nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische freuen. Dafür aufkommen müssten wohl die Autofahrer. In diesem Fall würde eben nicht Platz oder Vorrang, sondern Geld umverteilt.

Sind das alles Utopien? Nein, wenn es Politik und Verwaltung wirklich ernst meinen mit der Verkehrswende. Die Zahl der Radfahrer in Konstanz hat sich seit 2007 in etwa verdoppelt, doch doppelt so viele Ressourcen werden ihnen nicht zur Verfügung gestellt. Möglich wäre es. Von Kopenhagen bis Barcelona gibt es massenhaft Beispiele, wie das funktionieren kann.
Was sie alle, und das gehört auch zur Wahrheit, gemein haben: Wo die Rad-Wende funktioniert, ist das Autofahren teurer, komplizierter und unbequemer geworden. Das hat nichts mit Polarisierung zu tun. So wie eine Stadt jeden Euro nur einmal ausgeben kann, so kann sie auch jeden Quadratmeter nur einmal nutzen und jede Vorfahrt nur einmal vergeben. Die Konstanzer leisten in großer Mehrheit längst ihren Beitrag zur Verkehrswende. Sie sollten dafür mehr zurückbekommen, als das bisher der Fall ist.