Es gibt einen Moment im Jahr, da zeigt sich unsere Bundeskanzlerin als Kulturliebhaberin: Dann nimmt sie in ihrer Loge im Bayreuther Festspielhaus Platz und folgt der Premiere einer Wagner-Oper. Oder lässt sie sie nur über sich ergehen? Immerhin kehrt sie Jahr für Jahr zurück. Doch so, wie die englische Queen niemals politische Ereignisse kommentiert, hält sich auch Merkel bedeckt mit ästhetischen Urteilen.
Über ihren Kunstgeschmack weiß man also so wenig wie über den Menschen, der hinter den zur Raute geformten Händen steckt. Es gibt nur Indizien. So hängen zwei Gemälde von Emil Nolde in ihrem Arbeitszimmer: „Blumengarten“ (1915) und das Meeresbild „Brecher“ (1936). Es sind Leihgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Ein problematisches Erbe
Wagner und Nolde – eine spezielle Kombination. Im Nachkriegsdeutschland war der Antisemit Richard Wagner mehr als umstritten. Er konnte zwar persönlich nichts dafür, dass Hitler ihn zu seinem Lieblingskomponisten erkoren hatte, aber auch seine Nachkommen unternahmen nichts dagegen. Im Gegenteil war die Familie Wagner eng mit dem Naziregime verbandelt. Auf den deutschen Bühnen hat man sich dem problematischen Erbe aber längst gestellt – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, jedenfalls aber so, dass selbst ein Regisseur wie Barrie Kosky, Enkel jüdischer Einwanderer, nicht davor zurückschreckte, in Bayreuth zu inszenieren.
Bei Emil Nolde ist es gerade umgekehrt: Lange galt er als Maler der inneren Emigration. Seine Bilder hingen in der Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937, und er war mit Berufsverbot belegt. Damit schien klar: Nolde war ein Opfer des Nationalsozialismus. Wohl deswegen konnte er zu einer Art Lieblingsmaler bundesdeutscher Politiker werden: Schon der frühere Kanzler Helmut Schmidt war ein bekennender Nolde-Verehrer, ebenso Altbundespräsident Richard von Weizsäcker. Merkel hat die Vorliebe übernommen – ob aus ästhetischer Überzeugung oder nicht.
Raus aus dem Kanzleramt
In jüngster Zeit musste man allerdings erkennen, dass es so einfach nicht ist mit Nolde und dem Nationalsozialismus. Denn er war eben auch NS-Parteimitglied, Antisemit und Anhänger der Nazi-Ideologie. Damit ist das Kanzleramt nicht mehr der richtige Ort für seine Bilder. Die beiden Nolde-Bilder werden jetzt abgehängt. Warum Merkel sich dafür hinter der Bitte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz um Rückgabe verstecken muss, bleibt allerdings rätselhaft. Damit drückt sie sich nicht nur um eine ästhetische, sondern auch um eine politische Stellungnahme.
Noldes Nachmieter im Kanzleramt werden zwei Bilder des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff sein. Auch er galt den Nazis als entartet. Auch er durfte nicht arbeiten. Ein politisch korrekter Ersatz für Nolde also. Hoffen wir mal, dass das auch so bleibt.
Adenauer hängt noch
Es gibt übrigens noch ein weiteres Bild in Merkels Arbeitszimmer: ein Porträt von Konrad Adenauer – gemalt von Oskar Kokoschka. Auch er sorgte in jungen Jahren zwar für einige Skandale, allerdings eher wegen obsessiver Erotik. Die Porträts wie das von Adenauer hingegen gelten als eher biederes Spätwerk. Das Wiener Museum hätte das Adenauer-Porträt gerne für eine Ausstellung ausgeliehen. Dieser Bitte sei die Kanzlerin allerdings nicht nachgekommen, hieß es. Begründung? „Wegen Eigenbedarf.“ Ob wenigstens darin ein ästhetisches Bekenntnis steckt?