Nachdem bekannt geworden ist, dass der Vertrag des Chefdirigenten der Südwestdeutschen Philharmonie, Ari Rasilainen, über die Saison 2020/21 hinaus nicht verlängert wird, machte der Finne gegenüber dem SÜDKURIER deutlich, dass der Vorgang hinter den Kulissen keineswegs konfliktfrei abgelaufen sei. Letztlich fühle er sich in dem Prozess der Entscheidungsfindung nicht genügend in Gespräche eingebunden.
Er selbst hatte bereits im Sommer des vergangenen Jahres bekannt gegeben, dass er an einer Verlängerung interessiert sei. Dass das Orchester dazu befragt werden sollte, fand er richtig. Von dem Ergebnis des Orchester-Votums wurde er dann Ende November durch den Orchester-Vorstand informiert. Daraus ergab sich für ihn Diskussionsbedarf: Da sich die Hälfte der Musiker für und die andere Hälfte gegen eine Verlängerung ausgesprochen hatte, lag kein eindeutiges Votum für oder gegen eine Verlängerung vor.
In einem Termin mit dem Konstanzer Sozial- und Kulturbürgermeister Andreas Osner Anfang Dezember 2019 habe er unter anderem dies zur Sprache gebracht. Dieser habe daraufhin einen Termin mit allen Beteiligten machen wollen, in dem es zu einer Aussprache zwischen Rasilainen, Südwestdeutsche-Philharmonie-Intendantin Insa Pijanka und dem Orchester-Vorstand kommen sollte.
Den ganzen Dezember habe er auf eine Nachricht gewartet, so Rasilainen, sei jedoch von niemandem mehr kontaktiert worden. Dass der Gemeinderat am 17. Dezember in einer nicht-öffentlichen Sitzung die Nicht-Verlängerung des Vertrages fix machte, erfuhr er schließlich durch einen Anruf von Insa Pijanka Ende Dezember.
Wieso gab es kein klärendes Gespräch?
Wieso es vor der Gemeinderatssitzung nicht mehr zu einem klärenden Gespräch kam, dazu äußern sich die Beteiligten unterschiedlich. Insa Pijanka beteuert, von dem Ansinnen, noch mal einen Termin einzuberufen, gar nichts gewusst zu haben. „Das hätte Herr Osner ja organisieren oder mir den entsprechenden Auftrag geben müssen, ein solches Gespräch stattfinden zu lassen. Das hätten wir natürlich auch gemacht.“
Andreas Osner wiederum spricht von einem Missverständnis. In dem Gespräch Anfang Dezember habe er Rasilainen geraten, sich noch mal mit Orchester-Leitung und -Vorstand zusammenzusetzen, um offene Fragen zu klären. Er habe es aber nicht als seine Aufgabe betrachtet, diesen Gesprächstermin selbst einzuberufen.
Tatsächlich war das Orchester mit Rasilainen und Pijanka am 10. und 11. Dezember noch mal gemeinsam auf Konzertreise in Mailand. „In dieser Zeit hätte Herr Rasilainen ja auf mich zukommen können“, so Pijanka. „Das hat er aber nicht getan“ – ein Vorwurf, den Rasilainen umgekehrt auch ihr macht. Von außen betrachtet entsteht da der Eindruck von Konfliktparteien, die die Aufgabe, einen ersten Schritt zu tun, nicht bei sich sehen.
Uneindeutiges Orchester-Votum
Die Frage, die Rasilainen ebenfalls umtreibt, ist die, warum ein Votum, das mit 50 zu 50 Prozent uneindeutig ausfiel, als Votum gegen ihn ausgelegt worden ist. Insa Pijanka bestätigt, dass es bei der Abstimmung im Orchester eine Pattsituation gegeben habe – jedenfalls sofern man die Stimmen für eine zweijährige und für eine fünfjährige Verlängerung zusammenrechnet.
„Wir waren uns aber immer einig, dass ein Chefdirigent für eine Verlängerung eine Mehrheit im Orchester braucht, und die lag nicht vor“, erläutert Pijanka. „Eine Mehrheit ist immer noch 50 plus 1. An einem solchen Punkt kommt natürlich auch meine Einschätzung ins Spiel. Ich habe ja auch eine Stimme. Und ich bin der Meinung, dass man gerade in einer Verlängerungssituation ein sehr deutliches positives Votum braucht, sonst wird die Zusammenarbeit über längere Zeit sehr problematisch im Alltag. Wenn Sie so wollen, war ich also das Zünglein an der Waage.“
Musiker können sich „freikaufen“
Einiges deutet daraufhin, dass es bereits seit längerer Zeit zwischen dem Chefdirigenten, der Intendantin und dem Orchester hakte. So beklagt Rasilainen, er habe bei den Abo-Konzerten zu häufig mit Aushilfen arbeiten müssen. Irgendwann habe er feststellen müssen, dass sich Musiker von einzelnen Abo-Konzerten freikaufen könnten, um private „Muggen“ (Ausdruck unter Musikern für einzelne Konzertverpflichtungen) spielen zu können. „Ich war geschockt“, sagte Rasilainen.
Insa Pijanka bestätigt, dass es für die Musiker tatsächlich die Möglichkeit gibt, sich auf Antrag in Einzelfällen vom Dienst „freizukaufen“. Das sieht dann so aus, dass sie aus ihrem Gehalt jenen Betrag zurückzahlen, der dafür benötigt wird, an ihrer Stelle eine Aushilfe zu engagieren. Pijanka betont, dass dieses Verfahren in allen deutschen Orchestern völlig üblich sei – was wiederum Ari Rasilainen aus seiner Erfahrung als Dirigent nicht bestätigen möchte.

Letztlich geht es in dieser Frage um die Beurteilung, wie häufig und aus welchen Gründen solchen Anträgen stattgegeben wird. Während Ari Rasilainen von Musikern erwartet, bei den Abo-Konzerten die Priorität zu setzen und entsprechend Teamgeist zu zeigen, gibt Insa Pijanka zu bedenken, wie komplex die Organisationsstruktur eines Orchesters ist, die Musikern dennoch die Möglichkeit geben soll, sich aus dringenden privaten Gründen oder aber auch für prominente musikalische Projekte auszuklinken. Wenn etwa jemand die Möglichkeit habe, auf Tournee mit Simon Rattle zu gehen, werde man ihm das gewiss nicht verweigern.
Noch komplizierter wird es bei Musikern, die eine 50- oder 75-Prozent-Stelle haben. Diese seien ohnehin darauf angewiesen, ab und zu woanders zu spielen oder zu unterrichten. „Auch in dem Fall ermöglichen wir solche Dinge, weil wir wissen, dass es für den Kollegen wirtschaftlich relevant ist“, so Pijanka.
Gründe für die Ablehnung
Bleibt die Frage, warum sich das Orchester letztlich gegen eine Vertragsverlängerung ausgesprochen hat. Immerhin betont Insa Pijanka, dass das nicht als Kritik an Rasilainens künstlerischer Leistung zu werten sei, man sich nur neue künstlerische Impulse wünsche. Auch der Orchester-Vorstand teilt mit, „dass die Zusammenarbeit mit Herrn Rasilainen uns in vielerlei Hinsicht weitergebracht hat und auch noch bringt“. Da die Abstimmung anonym erfolgte, könne man aber „nichts zu den Beweggründen des Einzelnen sagen“.
Es bleibt also lediglich die Vermutung, dass einer der Gründe im Atmosphärischen zu suchen ist. Möglicherweise spielte aber auch die Tatsache eine Rolle, dass Rasilainen keinen Wohnsitz in Konstanz hat, lediglich für die einzelnen Konzertprojekte vor Ort und damit als Ansprechpartner über diese Projekte hinaus nicht präsent ist.