Matratze, Kissen, Decke, ganz kuschelig hier drin, findet Luis Bauer. Für ein kurzes Schläfchen im Sarg fehlt ihm dann aber doch die Zeit. Denn der 17-Jährige arbeitet nicht nur als Bestatter. Er ist auch ein ziemlich beschäftigter Influencer.
1,2 Millionen Menschen folgen ihm auf der Videoplattform TikTok, hinzukommen knapp 120.000 Follower auf Instagram. Mit kleinen, sehr unterhaltsamen Videos aus seinem Alltag wirbt er dort für seinen Job.
Denn wie in allen anderen Handwerksberufen fehlt es an Nachwuchs. Die jungen Leute der Generation Z, so jammern die Betriebe, wollen nur noch studieren statt teils hart und mit ungemütlichen Arbeitszeiten als Bäcker, Fliesenleger oder eben Bestatter zu schuften.
Und denen, die sich bewerben, so die weiteren Klagen aus der Branche, fehlt es an Kenntnissen in Mathe, der deutschen Sprache oder dem richtigen Auftreten. Wenn die Entwicklung so weitergehe, dann müssten all die Akademiker künftig in ihrer Freizeit selbst eine neue Heizung einbauen, ihre eigenen Brötchen backen – und, mhm, sich selbst bestatten.
Schon heute gibt jeder zweite Betrieb an, keine passenden Azubis mehr zu finden. Das Problem an dieser Jammerei: Man löst damit das Problem nicht. Zumal nicht einmal klar ist: Was genau ist das Problem? Ja, allein an der Uni Konstanz studieren rund 11.000 junge Menschen.
Und nur rund 1000 Jugendliche machen im ganzen Bodenseekreis eine Ausbildung im Handwerk. Aber warum? Hat mal jemand mit den jungen Leuten geredet, die kurz vor dem Schulabschluss stehen und sie gefragt, wie sie zu ihrer Berufswahl kommen?
Berufsinformation ist oft unterirdisch
Felix Behm, Autor und Experte für die Generation Z aus Radolfzell, ist so einer, der das Gespräch sucht. Für ihn ist klar: Die Berufsinformation an vielen Schulen ist unterirdisch, ja, findet manchmal gar nicht statt. Und: Es ist auch gar nicht leistbar, mehr als 300 verschiedene Ausbildungsberufe sowie mehrere Tausend verschiedene Studiengänge vorzustellen.
Was also passiert, wenn es Berufsinformationstage an Schulen gibt, in denen einige wenige Berufsvertreter eingeladen werden? Es kommen meist nur die größeren Firmen, die gut aufgestellt sind mit Personal und oft nach Akademikern suchen, denn der Fachkräftemangel kommt ja überall.
Der kleine Handwerksbetrieb um die Ecke dagegen versinkt ohnehin in Arbeit. Jetzt auch noch einen Mitarbeiter abstellen, der sich einen Nachmittag mit Jugendlichen über seine Arbeit unterhält? Undenkbar.
„Chance vertan“, findet Felix Behm. Wenn die Jugendlichen nicht erfahren, wie vielfältig der Arbeitsalltag eines Anlagenmechanikers für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ist, dann wählen sie eben einen anderen Beruf. Im Zweifelsfall ein Studium, da kann man am wenigsten falsch machen. Das zumindest raten viele Eltern und auch Lehrer. Man legt sich meist noch nicht sofort auf einen speziellen Beruf fest, sondern bleibt noch eine Weile flexibel.
Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind fast überall hervorragend, und das Gehalt für Akademiker stimmt eh. Um in den Dschungel an Berufswahlmöglichkeiten ein wenig Licht zu bringen, werden so alle Ausbildungsberufe aussortiert, erzählt Felix Behm. Und das nicht, weil die Generation Z keine Lust darauf hätte. Sondern weil sie gar nie erfährt, welche Aufgaben, Chancen, Perspektiven und Gehaltsmöglichkeiten in Ausbildungsberufen stecken.
Wenn sich junge Leute heute über mögliche Berufe informieren, dann sind Eltern verschiedenen Umfragen zufolge ihre wichtigsten Berater. Es folgen Lehrer – und das Internet. Wer dort nach bestimmten Tätigkeitsbereichen googelt, landet schnell auf den professionell gestalteten Homepages von Unis und großen Unternehmen. In Videoclips erfährt man, wie toll es ist, dort zu lernen und zu arbeiten. Den Malermeister um die Ecke muss man dagegen bis heute oft in irgendeinem Branchenverzeichnis suchen. Webseite? YouTube? TikTok? Fehlanzeige.
Genau dort aber ist die Generation Z unterwegs. Und dort kann man sie durchaus auch für eine Ausbildung im Handwerk abholen. Bestattungs-Influencer Luis Bauer erzählt, dass er jeden Tag viele Kommentare von Jugendlichen in seinem Alter bekommt, die jetzt auch Bestatter werden wollen – wegen ihm und seinen Videos.
Für ihn ist dieser Erfolg schnell erklärt. Gäbe es seine Videoclips nicht, woher sollten junge Menschen denn wissen, was ein Bestatter so den ganzen Tag macht? Vielleicht haben sie mal einen – am besten alten, grauen Mann mit ernster Miene – bei der Beerdigung ihrer Oma gesehen. Werbung für den Beruf sieht anders aus.
Luis Bauer ist sich sicher: Das ist bei vielen anderen Handwerksberufen genauso. Die Zeiten, in denen die Bewerbungen einfach so auf den Tisch flattern, sind einfach vorbei. Um Azubis muss man sich heute bemühen, sich präsentieren statt sich zu verstecken. Notfalls, indem man sich in einen Sarg kuschelt.
Jetzt werden viele Betriebe einwenden, Werbung, Marketing, soziale Medien, gut und schön. Aber wer soll das bitte wann auch noch machen? Und überhaupt, TikTok? Keine Ahnung. Müsst ihr auch nicht haben, ist Felix Behms klare Antwort. Fragt einfach eure Azubis. Lasst sie das übernehmen.
Mag schon sein, dass es bei ihnen in manchen schulischen Bereichen hapert. Aber dafür kann die Generation Z eben andere Dinge, die in der Arbeitswelt von heute und morgen sehr gefragt sind. Statt immer nur über die oft fehlerhaften Anschreiben von Bewerbern zu schimpfen, könnte man sie vielleicht trotzdem mal einladen und kennen lernen.
Die Jungen wollen Freiheit, nicht Freizeit
Gemeinhin gilt die Generation Z als sehr freizeitorientiert. Felix Behm ist sich sicher, dahinter steckt auch so ein Missverständnis. „Diese Generation ist nicht freizeitorientiert, sie ist freiheitsorientiert. Und das ist etwas ganz anderes.“ Starre Arbeitszeiten, fixe Mittagspausen und immer nur Tätigkeiten, die nicht zu den eigenen Fähigkeiten passen, womöglich gar noch unnötig sind, und das bei fehlender Wertschätzung – ja, diese Zeiten sind vorbei, wenn man zwischen verschiedenen Stellen wählen kann.
Aber genau hier können gerade kleine Handwerksbetriebe punkten, in denen ein familiäres Arbeitsklima herrscht, die Mitarbeiter oft viele Jahre bleiben, weil sie sich wohlfühlen, weil man ihnen vertraut und ihnen etwas zutraut und weil man sich auch mal in der Freizeit trifft. Genau das ist das Arbeitsumfeld, das junge Menschen heute suchen. Plus, ja, auch Zeit für Familie und andere Dinge, die dafür sorgen, dass man ein langes Arbeitsleben motiviert und gesund durchsteht.
Dafür muss nicht jeder Betrieb gleich eine Viertagewoche einführen. Aber ein bisschen flexiblere Arbeitszeiten sind fast überall möglich. Ausbildung in Teilzeit, weil man seine Fußballkarriere nicht aufgeben möchte oder schon ein Kind da ist? Die Möglichkeiten gibt es längst. Aber wie viele Betriebe werben damit offensiv? Einen Versuch ist all das wert.