Sehr geehrte Frau Wulff,
darf ich Sie etwas fragen? Was denken Sie über Menschen, die aus irgendeinem Grund irgendwann einmal in der Öffentlichkeit standen, das Rampenlicht dann verlassen mussten, aber einfach nicht den Absprung schaffen? Die weiter auf dem roten Teppich fotografiert werden möchten und weiter gehört werden wollen?
So langsam keimt in mir der Verdacht auf, dass auch Sie zu dieser Sorte Mensch gehören. Es ist im Grunde nicht weiter verwunderlich, schließlich sind Sie als Fachfrau für PR, Public Relations oder anders gesagt: Öffentlichkeitsarbeit, ja Expertin dafür, Menschen oder Dinge in der öffentlichen Wahrnehmung gut dastehen zu lassen. Warum dann nicht auch sich selbst?

Es ist nicht so, dass in den Buchhandlungen ein Mangel an Ratgeber-Literatur zu verzeichnen wäre. Trotzdem fügen Sie dem Angebot nun ein weiteres Buch hinzu – über Lebenserfahrungen, die Sie vermutlich mit vielen anderen Menschen teilen. „Anders als gedacht. Wie ich lerne, was wirklich zählt“ heißt es und verbreitet auf 192 Seiten Botschaften wie: „Heute würde ich vieles anders machen.“ Wer, der sich in der Mitte seines Lebens befindet, hat einen solchen Satz noch nie gesagt oder wenigstens gedacht?
Es sei an der Zeit, „das Leben aufzuräumen und mutige Entscheidungen zu treffen“, schreiben Sie. Denn Sie hätten erfahren, wie vielschichtig und krisenhaft die Zeit in der Lebensmitte sein könne. „Und wie beglückend es ist, irgendwann zu spüren, wohin die eigene Reise wirklich gehen kann.“
Ein bisschen Skandal darf sein
Das klingt, ganz ehrlich gesagt, nach einem eher überschaubaren Erkenntnisgewinn für Leserinnen und Leser, die Sie nach eigenen Angaben auf eine innere Reise mitnehmen wollen. Das klingt irgendwie nach Erbauungsliteratur – und immerhin haben Sie das Buch ja gemeinsam mit einem evangelischen Pastor geschrieben, Ihrem langjährigen Seelsorger.
Ihr Verlag lässt wissen, in dem Buch spreche eine „nachdenkliche, geerdete Bettina Wulff, die sich rückblickend vieles ganz anders vorgestellt hatte“, über „Irrtümer, Krisen und neue Perspektiven“. Dazu gehört auch Ihr Unfall unter Alkoholeinfluss im September 2018, kurz vor der zweiten Trennung von Altbundespräsident Christian Wulff – mit einem Skandälchen verkauft sich schließlich jedes Buch besser.

Seit diesem einschneidenden Ereignis hinterfragen Sie sich täglich, sagen Sie. Schön, dass Sie Zeit haben, sich so viel mit sich selbst zu beschäftigen. Und vielleicht beneidenswert.
Ja, es ist Ihr gutes Recht, als ehemalige First Lady, als Mutter zweier Kinder, als Frau in der Mitte des Lebens, auch selbst zu Wort zu kommen nach allem, was über sie geschrieben wurde und wird. Andere Prominente machen das in den sozialen Medien, Ihnen zahlt ein Verlag sogar Geld dafür.
Eine Biografie hätte auch gereicht
Und Sie haben ja Erfahrung damit: 2012 schilderten Sie in Ihrer Autobiografie „Jenseits des Protokolls“, die sowohl inhaltlich als auch stilistisch heftig kritisiert wurde, Ihre Sicht der Dinge. Mal ehrlich, hätte das nicht gereicht? Aber diese Frage kommt wohl jetzt zu spät.