Kurz vor der Landung am Flughafen Altenrhein in der Nähe von St. Gallen verschwindet ein zweimotoriges Flugzeug vom Radar. Es ist Donnerstag, 11.30 Uhr. Kurz darauf rücken 100 Einsatzkräfte aus, um den 70-jährigen deutschen Piloten zu suchen. Schnell wird klar: Das Flugzeug muss in den Bodensee gestürzt sein.

Gegen 13 Uhr finden zwei Boote der Schweizer Feuerwehr den verunglückten Mann im Wasser, knapp 800 Meter vom Ufer entfernt – unterkühlt, aber wohlauf. Ein Fischerboot zieht ihn mit einem Fangnetz aus dem See. Der Mann kommt ins Krankenhaus.

Das könnte Sie auch interessieren

In der Pressemitteilung der Polizei wird am Nachmittag stehen, dass der 70-jährige deutsche Pilot trotz dichtem Nebel zur Landung ansetzte. Ob tatsächlich die widrigen Wetterverhältnisse für den Sturz in den See verantwortlich sind, gilt als naheliegend. Abschließend belegen müssen das die gemeinsamen Ermittlungen der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) und der Bundesanwaltschaft.

Dass es aber auch ganz anders gewesen sein könnte, ergeben jetzt Recherchen des SÜDKURIER. Denn es ist nicht das erste Mal, dass sich die Sust mit dem im Tessin lebenden Deutschen beschäftigt. Schon vor 15 Jahren sorgte der damals 55-Jährige für einen Einsatz der größeren Sorte. Damals war sogar die Schweizer Luftwaffe involviert.

Laut dem Schlussbericht der Sust, der dem SÜDKURIER vorliegt, war der Deutsche von Egelsbach bei Frankfurt am Main nach Lugano unterwegs, als plötzlich der Strom im Flugzeug ausfiel. Sein Funk und sämtliche Instrumente waren defekt. Der Tower erreichte den Piloten nicht mehr.

Tiger-F5-Kampfjets eskortierten Deutschen

Kurz nachdem er die Schweizer Grenze im Luftraum überquerte und auf die Hinweise der Fluglotsen am Boden nicht antwortete, machte die Flugsicherung Meldung über den Geisterflug. Die Luftwaffe wurde informiert und zwei Tiger-F5-Kampfjets rückten aus, um den Deutschen zum nächstgelegenen Flughafen zu begleiten.

Zwei Tiger-F5 Jets der Kunstflugstaffel „Patrouille de Swisse“. Mit diesen Modellen wurde der Deutsche damals begleitet.
Zwei Tiger-F5 Jets der Kunstflugstaffel „Patrouille de Swisse“. Mit diesen Modellen wurde der Deutsche damals begleitet. | Bild: Laurent Gillieron/dpa

Wie der Schlussbericht der Sust offenlegt, bekam der Pilot von den hinter ihm fliegenden Jets lange nichts mit. Denn zwischenzeitlich vereisten die Seitenscheiben des Flugzeugs. Der Rückspiegel war nicht erkennbar. Die Luftwaffe im Rücken blieb dran.

Erst über dem Lago Maggiore, so der Bericht, „sichtete der Pilot die Kampfflugzeuge zum ersten Mal.“ Weil er sich das Manöver nicht erklären konnte, landete der Deutsche „ohne diese weiter zu beachten, in Locarno.“

Technischer Zustand des Flugzeugs: „mangelhaft“

Damals kam niemand zu Schaden. Trotzdem war der Deutsche an der Misere wohl mit beteiligt. Denn die Technik des Flugzeugs ließ zu Wünschen übrig: „Das elektrische System wies erhebliche Korrosionsschäden auf.“ Der technische Zustand des Flugzeugs sei „mangelhaft“ gewesen. Im Flugzeug sammelten sich „beträchtliche Mengen„ Wasser. „Mehrere Bestätigungen für Wartungsarbeiten fehlten in den technischen Unterlagen. Die anwendbaren Zeittoleranzen für auszuführende Wartungsarbeiten sowie für die minimalen jährlichen Unterhaltsarbeiten wurden überschritten“, heißt es im Schlussbericht der Sust.

Ob es sich bei dem am Donnerstag in den Bodensee gestürzten Flugzeug um das selbe handelt, mit dem der 70-Jährige damals das Militär zum Einsatz zwang, ist wahrscheinlich, aber nicht bewiesen. Die Polizei spricht beim Bruchflug in den Bodensee von einem Modell des US-Flugzeugbauers Piper. Auch damals war der Deutsche mit einer Piper unterwegs. In welchem technischen Zustand sich das Flugzeug heute befand, werden Ermittlungen des Sust ergeben. Dafür muss das Wrack zunächst aus 80 Metern Tiefe geborgen werden. Die Polizei geht davon aus, dass sich die Arbeiten noch einige Tage hinziehen werden.

„Das Wrack im Ganzen zu bergen, ist eine große Herausforderung“

„So eine Aktion ist nicht ungefährlich“, sagt Florian Schneider, Pressesprecher der Kantonspolizei St. Gallen im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Eine große Menge Treibstoff sei bereits im See gelandet. Die Helfer versuchen die Flüssigkeit einzufangen. „Der Großteil ist bereits geschafft. Aber im Flugzeug könnte sich noch mehr befinden. Das Wrack im Ganzen zu bergen, ist eine große Herausforderung. Da wollen wir nichts überstürzen“, sagt Schneider.

Robert Leitner kennt sich mit Landemanövern bei Nebel aus. Er ist der Chef des Towers am Konstanzer Flugplatz – seit 21 Jahren. Leitner weiß: „Eine Landung bei Nebel ist höchst gefährlich.“ Deshalb dürfen in Konstanz im sogenannten unkontrollierten Luftraum Maschinen bei diesen Verhältnissen weder Starten noch Landen.

Robert Leitner am Konstanzer Flugplatz.
Robert Leitner am Konstanzer Flugplatz. | Bild: Feiertag, Ingo

Anders ist das im kontrollierten Luftraum, in dem sich die Maschine des 70-jährigen Deutschen befand. „Diese Maschinen haben ein Instrumentenlandesystem und ganz andere technische Voraussetzungen. Sie werden in solchen Fällen auch vom Lotsen geführt. Sie dürfen deshalb bei Nebel landen“, sagt der Landesbeauftragte für Luftaufsicht.

Falls der Funk kurz vor der Landung ausfallen, oder die Verbindung abbrechen sollte, hätte der Pilot die Möglichkeit mittels eines Transponders eine Art Code an den Flughafen zu senden. „Die 7700 bedeutet zum Beispiel Notlage. Dann können Vorbereitungen getroffen und andere Flugzeuge in der Nähe gewarnt werden“, sagt Leitner.

Robert Leitner, Flugleiter, am Konstanzer Flugplatz.
Robert Leitner, Flugleiter, am Konstanzer Flugplatz. | Bild: Feiertag, Ingo

Klar ist aber auch: Wer sich gewissenhaft auf einen Flug vorbereitet, minimiert das Risiko eines technischen Defekts deutlich. Der Pilot muss zum Beispiel wissen, wo der nächste Ausweichflugplatz liegt, sich darüber informieren, wie die Wetterlage ist und sichergehen, dass genügend Reservetreibstoff an Bord ist. „Es ist nicht so einfach, wie Autofahren. Nur wer alles beachtet, ist auch wirklich sicher in der Luft. Meiner Meinung nach bleibt das menschliche Versagen die Hauptursache für Unfälle“, sagt Leitner.