Herr Kiefer, Sie sind Leiter der Suchtberatung in Singen. Welche Geschichte eines Spielsüchtigen werden Sie nie wieder vergessen?

Es gab einmal eine Mutter, die ihren gesamten Hausstand verkauft hat, um ihr Geld im Automaten zu verprassen. Auch das Sparbuch ihrer Tochter war leer und jeden Tag stellt sich die Frage von was soll man das Essen kaufen.

Wie kann es so weit kommen?

Automaten sind überall verfügbar. In neun von zehn Fällen haben Spielsüchtige bei ihrem ersten Einsatz am Automaten gewonnen. Diese Erfahrung verankert sich im Gedächtnis. Gerade junge Menschen können diesen Mechanismus nur schwer reflektieren und denken, dass sie dadurch das schnelle Geld machen. Studien haben ergeben, dass jeder zweite Jugendliche schon Erfahrung mit Spielautomaten hatte.

ARCHIV – Eine freundlich laechelnde Sonne, das Logo des Spielstaettenbetreibers „Merkur Spielothek“, aufgenommen am ...
ARCHIV – Eine freundlich laechelnde Sonne, das Logo des Spielstaettenbetreibers „Merkur Spielothek“, aufgenommen am 24.09.2014 in Hallstadt bei Bamberg (Bayern). Am 07.03.2017 wird in Bielefeld die Unterlassungsklage des Fachverbandes Glücksspielsucht gegen Spielothekenbetreiber Gauselmann verhandelt. Der Kläger will erreichen, dass Spielsüchtige zum Eigenschutz ein Hausverbot bei der Gauselmann-Tochter “Casino Merkur-Spielothek„ einfordern können. Foto: David Ebener/dpa +++(c) dpa – Bildfunk+++ | Verwendung weltweit | Bild: David-Wolfgang Ebener

Wenn wirklich so viele Jugendliche spielen – was macht der Gesetzgeber falsch?

Automaten in Gaststätten werden nicht überprüft. Und die Wirte haben nicht die Zeit oder den Anreiz nach dem Ausweis und dem Alter zu fragen. In Spielhallen ist das schon anders. Wenn dort Jugendliche spielen, riskieren die Betreiber ihre Lizenz. Es ist ein Problem, dass Kneipen und Spielhallen dabei gesetzlich unterschiedlich behandelt werden. Ein weiteres großes Problem ist die Sperrung von Spielern. Wenn Betreiber von Spielhallen Süchtige sperren, können sie das nur für ihre eigene Spielhalle tun. Für Süchtige reicht es, zur nächsten Spielhalle zu fahren und weiter zu spielen. Ursprünglich war der Grundgedanke des Landes-Glücksspielgesetzes im Jahr 2017 eine landesweite Sperre einzuführen.

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Warum wurde das nicht umgesetzt?

Angeblich lag das am Datenschutz. Man dürfe die Namen der Spielsüchtigen nicht landesweit speichern. Eigentlich ist aber die Glücksspiel-Lobby zu stark. Die hat natürlich etwas dagegen, wenn viele Kunden wegfallen.

Will der Gesetzgeber überhaupt, dass es weniger Süchtige gibt?

In der Konstanzer Spielbank wird Alkohol ausgeschenkt (Anm. der Red.: Spielbanken sind staatlich organisiert) Jeder weiß: Alkohol enthemmt. Man bewertet Situationen im nüchternen Zustand ganz anders.

Soll das also heißen, dass der Staat mehr an ihren Kunden verdienen will?

Das ist Ihre Hypothese. Das kann ich nicht bejahen oder verneinen. Aber der Rückschluss liegt auf der Hand. Was in Spielbanken hingegen besser funktioniert, ist die Sperrung von Spielern. Wenn man sich in einem Casino sperren lässt, ist man in allen Spielbanken deutschlandweit gesperrt.

Was halten Sie davon, dass Bastian Schweinsteiger Werbung für die Branche macht?

Ich halte das für eine völlige Farce. Ich weiß nicht, ob sich Schweinsteiger darüber ernsthaft Gedanken gemacht hat, was er damit anrichtet. Die Dinge, die er bewirbt – Spielerschutz, Alkoholverzicht etwa – sind alle gesetzlich geregelt. Ohne diese Auflagen dürfte sowieso keine Spielhalle öffnen. Schweinsteiger ist ein Vorbild für viele junge Menschen und macht Werbung für eine höchst fragwürdige Industrie. Ein weiteres Beispiel ist Oliver Kahn. Er wirbt dafür: „Ihre Wette in sicheren Händen“. Bei einem Sportwetten-Anbieter von einer sicheren Geldanlage zu sprechen, ist lächerlich.

Fußballspieler Bastian Schweinsteiger macht Werbung für die Deutsche Automatenwirtschaft.
Fußballspieler Bastian Schweinsteiger macht Werbung für die Deutsche Automatenwirtschaft. | Bild: dpa

Was lernen Spielhallen-Betreiber bei verpflichtenden Schulungen?

Es werden Grundlagen vermittelt. Das Personal muss wissen, worauf es achten muss, woran sie Süchtige erkennen. Wenn der Verdacht da ist, müssen sie die Spieler ansprechen. Das ist auch der Grundgedanke des Gesetzgebers: Spieler sollen bei auffälligem Verhalten angesprochen werden, damit es gar nicht erst zur Sucht kommt. Das wird aber meistens nicht so umgesetzt, wie gewünscht.

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Wer kontrolliert, ob die Regeln eingehalten werden?

Eigentlich die Ordnungsämter. Die haben allerdings oft nicht die personellen Mittel jede Spielhalle im Blick zu behalten. Nur durch Kontrollen wird das Problem sowieso nicht eingedämmt. Die Gesetze reichen – so wie sie jetzt sind – nicht aus. Ein Problem sehe ich im Internet. Man kann dort überall, rund um die Uhr spielen. Da wird der Jugendschutz mit Füßen getreten. Die Betreiber dieser Online-Plattformen haben den Firmensitz oft auf irgendwelchen Inseln in der Karibik. Da gelten unsere Gesetze nicht.

Was hat sich mit dem Landesglücksspielgesetz geändert?

Für die Spielhallen, die es bereits gab, hat sich wenig geändert. Die haben einen Bestandsschutz. Anders ist es, wenn Spielhallen neu öffnen. Die müssen 500 Meter Luftlinie von anderen Spielhallen, Schulen oder anderen sozialen Einrichtungen entfernt sein. Bis 2021 dürfen alle Betreiber so weiter machen, wie bisher. Danach dürfen Kommunen Spielhallen ausdünnen. Davor scheuen sie sich aber. Wenn Betreiber dagegen vorgehen würden und sich die Rechtsprechung für die Spielhallen ausspräche, müssten Kommunen einen hohen Schadensersatz zahlen, den Haushalte sprengen würde.

Was müsste sich ändern, damit Spieler besser geschützt werden?

Ein Werbeverbot ist wichtig. „Glücksspiel kann süchtig machen“ reicht nicht.