Kerstin Steinert und epd

Haben Sie es gewusst? Die bargeldlose Zukunft steht vor der Tür. Und zwar sehr viel näher als manch einem bewusst ist. Ein Stück dieser Zukunft ist in Amsterdam schon Realität. Dort, rund um den Hauptbahnhof, kann man nicht mal mehr ein belegtes Brötchen für drei Euro mit Münzen oder Scheinen bezahlen. Aus Sicherheitsgründen, so heißt es. Denn um den Bahnhof in Amsterdam gibt es besonders viele Drogenabhängige und Kleinkriminelle. Von daher hat die Stadtverwaltung beschlossen, dass in den Geschäften nur noch mit Plastikgeld oder digital bezahlt werden darf. Diebe sitzen auf dem Trockenen.

Ist das auch in Deutschland vorstellbar? Nein, zumindest nicht in naher Zukunft. Denn die Deutschen lieben ihr Bargeld. Laut einer Studie der Deutschen Bundesbank führt jeder Deutsche im Schnitt 107 Euro bar mit sich. Mehr als jeder andere Bürger der Europäischen Union. 2017 wurden 74 Prozent aller Einkäufe in bar bezahlt, wie die Bundesbank errechnet hat. Erst bei Beträgen zwischen 50 und 100 Euro wird die EC-Karte gezückt. Damit ist klar: Das Bargeld wird in nächster Zeit in Deutschland wohl nicht abgeschafft.

Und dennoch: Trotz aller Liebe zum Bargeld zeichnet sich ein Trend ab. Es gibt immer weniger Geldautomaten. Nach Angaben der Deutschen Kreditwirtschaft – des Dachverbands der deutschen Banken – standen Ende 2017 noch knapp 58 400 Geldautomaten in Deutschland. Der Höhepunkt wurde mit 61 100 Maschinen im Jahr 2015 überschritten. Ursachen sind Digitalisierung und Kostendruck. Denn ein Geldautomat verursacht Kosten von 20 000 bis 25 000 Euro pro Jahr.

Für viele Banken ein zu hoher Kostenfaktor. Die Plastikkarten haben für einen weiteren Schub des bargeldlosen Zahlens gesorgt. Außerdem gibt es sichere Handy-Apps, mit denen man zahlen kann. Erst Ende Juni hat Google seine Bezahl-App Google Pay in Deutschland veröffentlicht. Von Apple hört man Gerüchte, dass die App Apple Pay nach Deutschland kommen soll. Ist also der Geldautomat hierzulande vom Aussterben bedroht? Möglich ist das.

Automaten in Konstanz entwickelt

Dass das Ende der gepanzerten Geldschränke bevorstehen könnte, stimmt den Konstanzer Rentner Werner Pataki traurig. Er war einer der Ingenieure, die die Technik der ersten Geldautomaten im damaligen Werk von AEG-Telefunken in Konstanz entwickelt haben. „Das war ein hartes Stück Arbeit“, erinnert er sich. Aber es habe sich gelohnt. „Das war wohl eines meiner größten Projekte und auch eine meiner größten Herausforderungen. Ich war damals ja noch nicht allzu lange mit dem Studium fertig“, sagt Werner Pataki.

Werner Pataki, damals Ingenieur bei AEG-Telefunken in Konstanz, hat in den 60er-Jahren die Magnetbandtechnik entwickelt, die in die ...
Werner Pataki, damals Ingenieur bei AEG-Telefunken in Konstanz, hat in den 60er-Jahren die Magnetbandtechnik entwickelt, die in die Automaten eingebaut wurde. | Bild: Steinert, Kerstin

Das Schwierigste an der Aufgabe: Den Tresorschrank des Anbieters Ostertag gab es schon. Dort hinein musste ein Magnetkopf mit Schreibkopf und Spulwerk für ein etwa 1,50 Meter langes Magnetband eingebaut werden. „Das gab es damals noch nicht. Wir mussten ein komplett neues System entwickeln“, erklärt Pataki. Im Prinzip sei das der Übergang vom analogen zum digitalen Geldtransfer gewesen, meint der Ingenieur.

Nach eineinhalb Jahren der Entwicklung war es dann so weit: 1968 wurde der erste deutsche Apparat in der Sparkasse in Tübingen aufgestellt, nur knapp ein Jahr nachdem der weltweit erste Automat in Enfield nahe London bei der Barclay Bank in Betrieb genommen worden war. Damals ein Großereignis. Hunderte Menschen kamen, um zu sehen, wie ein Automat vollkommen selbstständig Geld auszahlte. Um die skeptischen Kunden zu überzeugen, dass die neumodischen Apparate wirklich den richtigen Betrag auszahlten, engagierte die Barclay Bank den damals sehr bekannten britischen Schauspieler Reg Varney (bekannt aus der Comedy-Serie „On the Buses“). Ein Jahr später war es dann in Konstanz so weit. Gleich zwei Apparate wurden aufgestellt.

Enfield bei London 1967: Der Andrang bei der Vorstellung des ersten Geldautomaten in Großbritannien war groß.
Enfield bei London 1967: Der Andrang bei der Vorstellung des ersten Geldautomaten in Großbritannien war groß. | Bild: dpa

„Mit Schlüssel, Ausweis und Beleg können Sie in unserer Hauptanstalt am Bodanplatz Tag und Nacht von der Straße aus Geld von Ihrem Konto abheben.“ So warb die Sparkasse Konstanz 1969 ihren neuen eisernen Kassierer. So nannte man den mit Geld gefüllten 100 Kilogramm schweren Panzerschrank. Jetzt an Geld zu kommen, sei ganz einfach – suggerierte die Bank. Aber die Bedienung war aufwendig: Der Kunde brauchte einen Doppelbartschlüssel, mit dem der Wandtresor aufgeschlossen wurde. Zur Identifizierung wurde ein von der Bank ausgestellter Plastik­ausweis benötigt. In einen weiteren Schacht steckte man eine Lochkarte, die ebenfalls von der Bank ausgehändigt wurde. Erst nach diesen vielen Sicherheitshürden erhielt der Kunde sein Geld. Nur den exakten Betrag von 100 D-Mark gab es für jede Lochkarte. 400 DM ließen sich täglich abheben. „Das glich damals einer Revolution in der Technikwelt“, sagt Pataki. Ein solcher Panzerschrank kostete etwa so viel wie ein VW-Käfer, meint Werner Pataki. Also um die 7000 D-Mark.

Nur wer diese Lochkarte besaß, konnte in den 60er-Jahren am Sparkassen-Automaten in Tübingen Geld abheben.
Nur wer diese Lochkarte besaß, konnte in den 60er-Jahren am Sparkassen-Automaten in Tübingen Geld abheben. | Bild: Lena Müssigmann

Aber wie das mit technischen Revolutionen so ist, waren die Menschen erstmal skeptisch. Bares aus der Maschine? Auch zu Uhrzeiten, wo kein Bankangestellter mehr verfügbar ist? Kann das mit rechten Dingen zugehen? Wird beim Abheben auch die richtige Summe ausgezahlt? Menschen waren skeptisch. Das bestätigt auch Klaus Rein, Pressesprecher der Kreissparkasse Tübingen: „Nicht alle haben sich viel vom Geldautomaten versprochen.“

Der Automat hat sich in Deutschland nur schleppend verbreitet: 1982 gab es bundesweit nur 134 Geldautomaten. Erst als die EC-Karten, die ursprünglich lediglich als Berechtigungsausweise zur Scheckausstellung dienten, mit Magnetstreifen versehen wurden, stieg die Zahl der Automaten rasant, bevor 2016 ihren Zenit erreichten.

Kommt also das Ende dieser technischen Revolution? Der Geldautomat sei die einzige nützliche Innovation, die die Finanzbranche über Jahrzehnte zustande gebracht habe, urteilte der Ex-Chef der US-Notenbank Fed, Paul Volcker, 2009 auf dem Höhepunkt der Bankenkrise. Zumindest der Finanzexperte hielt den alten Geräten die Treue.