An ihr scheiden sich die Geister. Die einen halten sie für übertrieben gefühlig und naiv, für links-frömmlerisch. Für die anderen ist sie eine charismatische Gestalt, die gute Bücher schreibt und konsequent ihren Weg geht. Letzteres wird ihr niemand abstreiten: Margot Käßmann hat immer folgerichtig gehandelt; bevor andere für sie handelten und sie drängten, zog sie die Reißleine.

Bis 2010 durchlief die evangelische Theologin mit hessischen Wurzeln eine beispiellose kirchliche Karriere. Nach dem Studium zog Käßmann früh in den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf ein. Später erlangte sie das prestigeträchtige Amt einer Generalsekretärin des Kirchentags – und besetzte damit eine politische Schaltstelle ihrer Kirche. Ihrem ausgeprägten Drang, sich auch in die Politik einzumischen und das Christentum aus dem Sonntag in den Werktag zu holen, kam das entgegen.
Steile Karriere
Sie hatte auch Glück. Als sie mit dem Studium fertig war, erlebten die liberalen lutheranischen Kirchen einen weiblichen Frühling. Frauen konnten zur Bischöfin gewählt werden. Das neue Rollenbild, damals fast noch revolutionär, nützte Käßmann. 2009 beerbte sie den EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber. Damit trat sie in große Schuhe – und stieß spürbar an ihre Grenzen.
Tiefer fallen kann man nicht
Grenzen erreichte sie auch 2010, als sie nach einer Alkoholfahrt sofort zurücktrat. Damals sagte sie: „Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Das saß und schuf maximale Freiheit. Die Schadenfreude vieler Zeitgenossen konnte ihr wenig anhaben, sie klebte nicht am Amt. Die Grenze war ausgelotet.

Und heute? Mit 60 Jahren ließ sie sich pensionieren. Sie hat ein Händchen dafür, wann man etwas anfängt und mit etwas aufhört. „Es geht mir sehr gut,“ sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Ruhige Stimme. Sie arbeitet gerade in ihrer Wohnung in Hannover. Dort erwischt man sie mit viel Glück. Wenn nicht dort, dann sitzt sie in ihrem Häuschen auf Usedom, wo sie auch gut nachdenken kann. Oder bei den vier Töchtern. „Sechs Enkelkinder habe ich, das siebte ist unterwegs,“ sagt sie.
Ein Gebetbuch für die Enkel
Natürlich sollen ihre Enkel im christlichen Glauben aufwachsen. Die Großmutter und Ex-Bischöfin liest vor. Inzwischen hat sie ein Kindergebetbuch verfasst. „Kinder sollten die biblischen Geschichten kennen,“ sagt sie. Im Freiburger Herderverlag schreibt sie für eine neue Zeitschrift „Mitten im Leben.“ Während man ihr zuhört, wird deutlich: Diese Frau hat noch immer viel zu tun. Predigt und Gottesdienste erwähnt sie wie nebenbei; laufend wird sie angefragt. Neuruppin, Hannover, Eisenach. Ein Talar auf Reisen.
Margot Käßmann wird nie aufhören. Das Schreiben und Trösten ist Teil von ihr. Was sie nicht vermisst, sind die Sitzungen in Gremien. Die sind definitiv Geschichte. Man kann ergänzen: Die große Plattform braucht die zierliche Frau nicht mehr. Die erste Reihe in Gesellschaft von Ministerin oder weltkirchlichen Größen ist vorbei. „Das Rampenlicht hatte ich lange genug,“ sagt sie trocken. Wenn der Lichtkreis hell genug war, war sie mittendrin. Sie hat es genossen und das öffentliche Wirken ausgekostet.
Jetzt ist es vorbei. Am Telefon schwärmt sie vom Loslassen. Dann bekommen die Männer ihr Fett ab: „Für Männer wird das Lebensglück stark über den Beruf definiert“, sagt sie. Deshalb kämen sie so schwer raus aus dem beruflichen Umfeld.
Für sie war dagegen klar, dass das Maß voll ist. 2012 nahm sie nochmals ein repräsentatives Amt wahr und warb für Martin Luther und das Reformationsjubiläum. Der Posten war wie maßgeschneidert für sie. Über Luther sprach sie wie andere Menschen über einen Musiker der Rolling Stones: Er wird im Alter immer besser. Auch das ist jetzt Geschichte. Mit 60 Jahren räumte sie ihr Büro auf.
Alles in allem: Sie hat reinen Tisch gemacht
In Summe ist sie glücklich. Sie hat mit ihren zahlreichen Gegnern reinen Tisch gemacht. „Ich hatte ein privilegiertes Leben“ sagt sie am Ende unseres Gesprächs. Dann zieht es sie zurück an den Schreibtisch. Ihr nächstes Buch geht über die Freundschaft, sagte sie noch am Rande. Sie legt auf und ist weg.