WLAN, Dusche, Zweibettzimmer auf der Hütte – und dazu eine garantierte Gipfelbesteigung. Besucher in den Bergen reisen mit ganz bestimmten Vorstellungen an – und haben dabei oft weniger Bezug zu Natur, zu den Schwierigkeiten und Gefahren in den unwirtlichen Bergregionen. Wandern und Bergsport boomen. Damit strömen immer mehr Menschen in die Berge – darunter viele, die nie zuvor einen Fuß in höhere Regionen gesetzt haben.
Gestiegene Ansprüche der Berg-Touristen
Zudem rücken Handy, Internet und soziale Medien abgelegene Regionen näher an die Menschen heran. Im Wohnzimmer lässt sich der Gipfelsturm auf den Mount Everest verfolgen. YouTube-Filme von Freeridern, die bei Sonnenschein Extremhänge bewältigen, lassen die Gefahr von Lawinen unwirklich erscheinen. Hüttenwirte, Bergführer und Bergretter berichten von gestiegenen Ansprüchen und einer neuen Sorglosigkeit der Besucher. 8516 Mal mussten die Helfer der Bergwacht Bayern 2018 ausrücken, rund 400 Mal mehr als 2015. „Der Nutzungsdruck steigt.“
Mit dem E-Bike den Berg hoch
Auch Elektrofahrräder verstärkten den Zustrom. „Damit kommen mehr Menschen in entlegene Gegenden, die bisher für sie nicht erreichbar waren.“ Wolfgang Wabel vom Deutschen Alpenverein (DAV) berichtet von ersten Einsätzen, weil E-Bikefahrer mit den schweren Rädern nicht weiterkamen. Auch Mountainbiken boomt weiter. Der DAV testet daher in Modellregionen Lenkungsmaßnahmen.
Immer öfter werden Bergretter wegen Erschöpfung gerufen
Für Extra-Einsätze sorgt der Klimawandel. Wenn Hangrutsche Wege verschütten, Lawinen auf Straßen abgehen oder der Bergwald brennt, rücken neben anderen Einsatzkräften auch Bergwachtler aus. Immer öfter rufen zudem Menschen die Retter nicht wegen eines tatsächlichen Unfalls, sondern weil sie erschöpft sind oder nicht weiterkommen. Das Handy gibt scheinbar Sicherheit. Dass Einsätze Aufwand bedeuten und auch Retter in Gefahr bringen, bedenken viele offenbar nicht.

„Es gibt eine entrückte Wahrnehmung, was sinnvoll und machbar ist“, sagt Chris Semmel, Leiter der Geschäftsstelle des Verbandes Deutscher Berg- und Skiführer (VDBS). Früher seien Menschen in den Bergen gewesen, die sich über lange Zeit Erfahrung angeeignet hätten.
Das sei nun anders. Ein Faktor seien die sozialen Medien. Bergsportler sehen Internet-Posts attraktiver Spots oft mit Skepsis. Wer solche Touren veröffentliche und damit noch mehr Menschen an einsame Orte locke, bekomme schon manchmal Ärger, sagt Bergführer Semmel. Mehr Menschen bedeute teilweise mehr Gefahr – weil sie Steine, Eis oder Lawinen lostreten.
Manche kommen mit klaren Vorstellungen. Schlechtes Wetter kommt darin meistens nicht vor
Dabei kommen manche mit festgefügten Plänen. Ein Gipfel mit 3000 Metern, ein weiterer mit 4000 Metern – und dann gleich Mont Blanc: Mit dieser Vorstellung sei ein Kunde zu ihm gekommen, berichtet Bergführer Hajo Netzer. „Die Leute kommen mit einer klaren Erfüllungsvorstellung. Man hat ja gebucht. Dass schlechtes Wetter sein kann, dass man scheitern kann, dass warum auch immer etwas nicht funktioniert – das kommt in deren Vorstellungswelt nicht vor.“
Duschen war früher auf den Hütten undenkbar
Manche gingen trotz widriger Bedingungen los und beklagten sich, wenn Bergretter, vielfach Ehrenamtliche, dann schlecht gelaunt seien. Auch Hüttenwirte spüren eine Veränderung. „Die Leute kommen mit Vorstellungen vom Hotel im Tal – und wissen gar nicht, dass das am Berg nicht realisierbar ist“, sagt Thomas Gesell, Hüttenreferent der DAV-Sektion München. Duschen, früher undenkbar, gibt es vielfach.
Experiment mit WLAN auf der Hütte
Immer öfter werde nach WLAN gefragt, um die eigenen Erfolge gleich in die Welt zu posten. Auf der Höllentalangerhütte im Zugspitzgebiet machten die Betreiber einen Versuch und beobachteten die Gäste mit WLAN und ohne. An Abenden mit Netz hätten 60 Prozent der Gäste nur ins Handy geschaut, sagt Gesell. Damit war klar: Kein WLAN. „Die Leute sollen miteinander reden und nicht in die Blechkiste schauen.“
Es geht auch vernünftig
Chris Semmel, Leiter der Geschäftsstelle des Verbandes Deutscher Berg- und Skiführersieht, erkennt einen neuen Trend. Der Bergführer werde für manche zum Freizeitmanager. Die Anfrage: „Ich habe eine Woche Urlaub – überleg du dir, wo es hingehen soll und organisiere das.“ Semmel sieht diese Entwicklung positiv. So seien Kunden nicht auf einen bestimmten Gipfel fixiert, sondern offen für Touren, die zu Andrang und Wetter passten. „Das ist sicherer und sinnvoller, als sich mit Massen zu tummeln und in die damit verbundenen Gefahren zu begeben.“ (dpa)