Man ertappt sich dann doch dabei, wie das Wort „Wahnsinn!“ über die Lippen rutscht. Da ist dieses zarte Männlein, 49, sonnengegerbtes Gesicht. Freundlich in die Kameras lächelnd, nicht weil er überhaupt den Mount Everest bezwungen hat, sondern dies – Achtung! – zum 24. Mal. Weltrekord. Wobei er natürlich nicht auf null Meter startete, das Basislager liegt ja schon auf 5200 Metern. Aber verrückt ist es trotzdem. Nur für ihn vielleicht nicht. Es ist ja sein Job. Als Bergführer lotst Kami Rita andere Alpinisten auf das Dach der Welt.

Das 24. Mal war am 21. Mai. Drei Tage später meldeten Nachrichtenagenturen: „Stau am Mount Everest – fünf Todesfälle in drei Tagen.“ Und wiederum einen Tag später: „Zahl der toten Bergsteiger am Mount Everest steigt auf elf.“
Eine Todesnachricht nach der anderen auf dem Dach der Welt
Hunderte Teilnehmer kommerzieller Expeditionen wollten ein Schönwetterfenster in den letzten Mai-Tagen nutzen, um den Gipfel zu erreichen. Als dann eine Todesnachricht nach der anderen eintraf, meldeten sich Experten zu Wort, dass das doch ein „Wahnsinn!“ sei mit dem Drang, einmal im Leben den Mount Everest zu packen, und viele dafür viel zu schlecht vorbereitet seien. Ist das wirklich so? Nimmt der Alpinismus immer extremere Formen an?

Kritiker bemängeln schon lange, dass Nepal zu viele Genehmigungen für die Besteigung des Mount Everest ausgibt. Der Bergtourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des armen Landes. Mehrere Hundert Berechtigungen sollen es im Jahr allein für den Everest sein. Chinas Behörden erlauben viel seltener den Aufstieg von der tibetischen Seite.
80 Prozent der Besteiger ungeeignet
Beide Aufstiege werden von Einheimischen jeden Frühling quasi wie Pisten präpariert. Mit Leitern und Seilen werde eine Art Klettersteig gebaut, erzählt der Südtiroler Bergsteiger Hans Kammerlander, 62, der selbst auf 13 Achttausendern stand, als Erster mit Ski vom Everest abgefahren ist und als einer der besten Expeditionsbergsteiger weltweit gilt. Mit Alpinismus habe das alles nichts mehr zu tun, beklagt er.
50.000 bis 60.000 Euro für eine Everest Besteigung
Er schätzt, dass 80 Prozent der Teilnehmer von kommerziellen Expeditionen eigentlich nicht geeignet sind für eine solche Tour. Aber: Sie haben Geld. Wer teilnehmen will, muss gut und gerne 50.000 bis 60.000 Euro auf den Tisch legen.
Erfahrungen auf 6000 Metern Höhe sollten vorhanden sein
Doch wer eignet sich eigentlich für einen Achttausender und wer nicht? Um diese Frage zu beantworten, greifen wir zum Telefon und rufen bei Amical in Oberstdorf an. Das ist derzeit der einzige Veranstalter in Deutschland, der Touren auf den Everest anbietet.

Firmenchef Dominik Müller wählt die Teilnehmer der Everest-Expeditionen genau aus. Die sollen mindestens schon einmal Erfahrung auf 6000 oder 7000 Metern gemacht haben und wissen, worauf sie sich einlassen. Veranstalter, denen es nur ums Geschäft geht, nehmen sogar Leute mit, die noch nie Steigeisen an den Füßen hatten.
Warum aber will man so hoch hinaus? Jürgen Beckmann, Professor für Sportpsychologie an der Technischen Universität München und selbst Alpinist, sieht mehrere Gründe. „Einer der wichtigsten ist wohl das Leistungsmotiv. Man setzt sich ein Ziel und will es erreichen. Schafft man das, sucht man sich größere Ziele.“
Alpengipfel sind irgendwann keine Herausforderung mehr
Für professionelle Bergsteiger sind die Alpengipfel irgendwann nicht mehr die Herausforderung, an der man sich messen will. „Dann geht‘s eben in den Himalaja.“ Doch im Himalaja sind oft auch Menschen unterwegs, die sich nicht monate- oder gar jahrelang vorbereitet haben. Beckmann spricht gar von Massentourismus: „Viele wollen etwas erreichen, was da, wo sie herkommen, eben noch keiner so gemacht hat.“ Sie wollen also ein Alleinstellungsmerkmal schaffen und suchen deshalb das Extreme. „Die Gefahren werden dabei oft ausgeblendet oder kleingeredet. Sie spielen kaum eine Rolle“, erklärt der Professor.
Der Bergsport boomt ohnegleichen
Die Höfats im Allgäu ist nicht der Mount Everest. Sauerstoff benötigt man dort erst recht nicht. Und doch stellt sich auch im Alpenraum die Frage nach dem Wandel und den Extremen. Das Bergwandern, die einfachste Form des Bergsports, boomt ohnegleichen.
Aber auch in den Alpen gibt es die Publikumsmagneten, die die Bergsteiger in Massen anziehen: Matterhorn, Montblanc, Zugspitze, um nur einige wenige zu nennen. Während die Zahl der Freizeitbergsteiger immer größer wird, giert eine kleine Zahl von extremen Profi-Alpinisten nach immer neuen Rekorden.

Doch der unaufhaltbare Drang nach oben bleibt nicht ohne Opfer. Vergangenen Freitag teilt die Tourismusbehörde in Nepal mit, dass gerade eine Bergführergruppe von einer Säuberungsaktion im Himalaja zurückgekehrt ist. Im Gepäck: elf Tonnen Müll. Die Gruppe war auch am Mount Everest. Dort entdeckte sie vier neue Leichen.
Ein Berg der Rekorde
Am 29. Mai 1953 schrieben Edmund Hillary und Tenzing Norgay Geschichte: Sie erklommen den Mount Everest zum ersten Mal. Als erste Frau schaffte das die Japanerin Junko Tabei 1975. Mit dem Österreicher Peter Habeler gelang Reinhold Messner 1978 der erste Aufstieg ohne Sauerstoffgerät. (dpa)