Von seinem Küchenfenster aus blickt Joe Bausch auf mehr als sechs Meter hohe Mauern. Dahinter die Gebäude der Justizvollzugsanstalt Werl bei Dortmund – Bauschs Arbeitsplatz. „Mein Knast“, sagt er. Ende des Monats geht Deutschlands bekanntester Gefängnisarzt nach 32 Jahren in Pension.
Wobei: Bekannt ist Hermann Joseph Bausch-Hölterhoff nicht so sehr als Gefängnisarzt, schon gar nicht als der Leitende Regierungsmedizinaldirektor, der er qua Amt ist. Bausch ist für die meisten dieser Rechtsmediziner aus dem Kölner Tatort. Seit der 1997 gedrehten Folge „Manila“ gehört er zum Ensemble des Kult-Krimis. Als Dr. Joseph Roth. Wenn sonntags mal wieder eine Folge im Fernsehen läuft, sprechen ihn selbst Insassen in Werl montags darauf an.
Geliebt und beschimpft
Bausch kennt jeden Winkel der Justizvollzugsanstalt; sie ist eine der größten Deutschlands. Er führt gerne durch seinen Knast, alle paar Meter muss er eine Türe auf- und hinter sich absperren. 14 Türen sind es vom Gefängniseingang bis zu seinem Büro im „Gesundheitszentrum“. Sein täglicher Weg zur Arbeit. Seine Patienten sind Kinderschänder, Vergewaltiger, Mörder. Kommt er an Insassen vorbei, grüßen sie ihn. Es ist auch schon vorgekommen, dass sie ihn um Autogramme für ihre Mütter gebeten haben. Zugleich wurde er beschimpft, angezeigt, bedroht. Einmal klingelte es an seiner Haustür: Ein Beerdigungsinstitut wollte seine sterblichen Überreste abholen. Vermutlich der Racheakt eines Insassen. „Ich hasse es, wenn man versucht, mir Angst zu machen“, sagt Bausch. Aber er lasse sich nicht einschüchtern. Und er sagt: Das Böse sei banal, ganz anders als im Tatort. „Menschen werden wegen 30 Euro umgebracht oder weil einer schlechte Laune hatte.“
Er wird weiter vor der Kamera stehen
In seinem Büro steckt er sich eine „American Spirit“ nach der anderen an und erklärt durch den Rauch hindurch, wie ein Gefängnis sein müsse – keine Verwahranstalt, sondern ein Ort, der Resozialisierung ermögliche. Es ist ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Ende der 80er Jahre stieß er einen Wandel in der Anstaltsmedizin mit an: Von einer autoritären Knastmedizin hin zu einer ordentlichen Medizin im humanen Strafvollzug, sagt er. „Ich bin zwar der Anstaltsarzt, aber ich habe das immer so gehalten, als wäre das meine Praxis.“ Fragen zum Tatort beantwortet der 65-Jährige, Vater einer Tochter, dagegen eher routiniert.

Was er jetzt machen wolle, ohne seinen Knast? Zumindest wird er kein typischer Pensionär sein. Bausch hat erst kürzlich wieder ein Buch veröffentlicht, „Gangsterblues: Harte Geschichten“. Wenn er zu Lesungen eingeladen ist, fährt er dafür auch stundenlang quer durch Deutschland. Kein Problem. Bausch wird weiter vor der Kamera stehen, auf Ärztekongressen sprechen. Die Pensionierung sei eine Art schleichende Entwöhnung für ihn: „Ich muss nicht mehr drei Dinge nebeneinander her machen, sondern nur noch zwei“, sagt er.
Vom Theater fasziniert
Jou Bausch, 1953 in Ellar im Westerwald geboren, wollte ursprünglich zum Theater. Anfang der 80er-Jahre, er studierte bereits Medizin, war er Teil des „Theaterpathologischen Instituts“, einer Gruppe, die mit freizügigen Stücken für Furore sorgte. Sein Engagement dort hätte ihn dabei fast die Anstellung im Strafvollzug gekostet: Der Chef des Justizkrankenhauses habe damals davon abgeraten, ihn einzustellen. Die Begründung: „Zu nah am Klientel.“ Die Faszination, die schwierige Patienten auf ihn ausüben, überwog dann den Wunsch, Filmrollen zu spielen.