Sarah Ritschel

Die Menschen um ihn herum sind weg. Der Eisbär ist wieder allein am Strand des Arktis-Archipels Svalbard. Doch er hat nichts mehr davon. Er ist tot. Erschossen, nachdem er ein Crew-Mitglied des Kreuzfahrtschiffs MS Bremen angegriffen hatte. Der 42-Jährige ist inzwischen aus dem Krankenhaus im norwegischen Tromsø entlassen. Doch die Wut im Netz hält an. „Klimawandel reicht ja nicht, um den Eisbären zu töten. Tourismus erledigt den Rest“, schreibt eine Nutzerin auf Twitter. Eine andere fordert aggressiv: „Verpisst euch aus den Lebensräumen bedrohter Arten!“ Der englische Kabarettist Ricky Gervais kommentiert: „Lassen Sie uns einem Eisbären in seiner natürlichen Umgebung zu nahe kommen und ihn dann töten, wenn er uns zu nahe kommt. Idioten.“

Mitarbeiter eines Kreuzfahrtschiffs erschossen diesen Bären, nachdem er einen Kollegen angegriffen hatte. Bild: Gustav Busch Arntsen/dpa
Mitarbeiter eines Kreuzfahrtschiffs erschossen diesen Bären, nachdem er einen Kollegen angegriffen hatte. Bild: Gustav Busch Arntsen/dpa | Bild: Gustav Busch Arntsen

Die Schutzorganisation Pro Wildlife will den Fall nutzen, um Urlauber zu sensibilisieren. Sandra Altherr, Biologin und Mitbegründerin von Pro Wildlife, erklärt: „Es wird immer dann problematisch, wenn der Tourismus in letzte Rückzugsgebiete bedrohter Arten eindringt, wenn die Tiere kaum Ausweichmöglichkeiten haben und wenn der Tourismus nicht reguliert ist.“ Bei der Kreuzfahrt des Veranstalters Hapag Lloyd Cruises sollten die Touristen Polarbären nur vom Schiff aus beobachten. Hier gingen nur Mitarbeiter des Kreuzfahrtschiffs an Land.

Dass Touristen und wilde Tierarten sich ins Gehege kommen, passiert immer wieder. Erst im April war ein Mann aus Konstanz bei einer Safari in Namibia von einem Leoparden in den Kopf gebissen worden. Weshalb genau sich das Tier gestört fühlte, ist nicht klar.

Erwartungen der Touristen steigen

Erwiesen jedoch ist, dass Urlauber häufiger denn je in bisher unberührte Lebensräume vordringen. Jürgen Schmude, Professor für Tourismusforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, erklärt das mit zwei Prozessen: „Erstens verzeichnen wir viel mehr Urlauber – und die müssen ja irgendwohin.“ Bis 2030 wächst ihm zufolge die Zahl der Reisen über die eigenen Landesgrenzen noch einmal um 50 Prozent.

Zweitens stiegen mit der technischen Entwicklung auch die Möglichkeiten und die Erwartungen der Touristen. „Wir sind heute in der Lage, in Regionen vorzustoßen, die früher nicht erreichbar waren.“ Erst seit der Entwicklung von Polarschiffen können Kreuzfahrer eben auch den Lebensraum der Eisbären erkunden. Das Phänomen zeigt sich auch in den Alpen: „Dort ist kein Gipfel mehr unerreichbar. Paraglider haben durch die technische Verbesserung viel mehr Möglichkeiten in der Luft.“ Auf Tiere in den Bergen aber wirke ein Gleitschirmflieger am Himmel genauso wie ein Raubvogel.

Besserer Schutz für Reservate

Pro Wildlife bewertet es zwiegespalten, wenn Touristen in die Tiefen der Natur vordringen. Einerseits hätten viele Wildtiere ohnehin nur noch einen stark beschnittenen Lebensraum. Andererseits würden Tiere und Naturgebiete, mit denen Geld verdient wird, oft besser geschützt. „Bestes Beispiel ist Kenia, das mit seinen Nationalparks Urlauber aus aller Welt anzieht und entsprechend Geld in den Schutz der Parks investiert“, sagt Biologin Altherr. Tourismusforscher Schmude appelliert an den Verstand des Urlaubers. „Gäbe es keine Nachfrage, würden auch keine Fahrten etwa in die Arktis angeboten. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, was für ihn in Ordnung ist und was nicht.“ Er selbst würde nicht in ein Polarkreuzfahrtschiff steigen.

Umfrage wird geladen...

 

"Urlaub ist ein Statussymbol"

Werner Gamerith ist Professor für regionale Geografie an der Universität Passau. Er plädiert dafür, dass einige Regionen für Touristen nicht zugänglich sein sollten.

Werner Gamerith, Professor für regionale Geografie an der Universität Passau.
Werner Gamerith, Professor für regionale Geografie an der Universität Passau. | Bild: Franz Pfeiffer/ wikimedia CC BY-SA 3.0

Herr Gamerith, täuscht es oder dringt der Tourismus tatsächlich immer weiter in unberührte Gegenden der Welt vor?

Da viele Reise-Ziele aus politischen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen aus dem Markt genommen werden mussten, sieht sich die Tourismusbranche stärker denn je denn je mit dem Druck konfrontiert, neue Ziele zu erschließen.

Weshalb sind den Urlaubern die klassischen Ziele nicht mehr genug?

Urlaub als Statussymbol – genau dies ist der Trend in unserem Zeitalter, das die Individualisierung der touristischen Erfahrung in den Vordergrund stellt. Wer ist stolz darauf, Venedig im Sommer mit 40 000 anderen Touristen teilen zu können?

Sollte man besonders sensible Reservate besser einfach unberührt lassen?

Ja, man sollte sich zumindest dahingehend bemühen. Einige wenige Beispiele von Schutzgebieten mit totalem Betretungsverbot zeigen, dass sich solche Gebiete erfolgreich einrichten lassen.

Fragen: Sarah Ritschel