Blaulicht, schmetternde Fanfaren, roter Teppich, zahllose Ehrengäste aus aller Welt, an der Spitze das norwegische Königs- und Thronfolgerpaar, Feier in einem prachtvollen, mit Hunderten von rosafarbenen Amaryllis und Nelken geschmückten Festsaal, zwei Stunden lang die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit: Die Verleihungszeremonie des Friedensnobelpreises an die jesidische Menschenrechtskämpferin Nadia Murad und den kongolesischen Arzt Denis Mukwege im Rathaus von Oslo ist an äußerlichem Pomp und Glanz schwer zu überbieten.
Kaum zu überbieten in ihrem Schrecken, in ihrer Grausamkeit und Brutalität und zum Teil unaussprechlich sind auch die Geschehnisse, die dazu führten, dass die junge Jesidin und der Gynäkologe aus dem Kongo hier auf der Bühne stehen. Das Wissen darum – hier das glanzvolle Fest, dort das Grauen – prägt auch die Reden der beiden. Sie sind ganz unterschiedlich, doch beide emotional und kämpferisch, flehend und aufwühlend. Am Ende bewahren beide nur mühsam die Fassung über den Jubel und den minutenlangen Applaus, der ihnen entgegenbrandet.
Dieser Nobelpreis gilt noch vielen und vielem mehr
Murad und Mukwege sagen und wissen: Der Nobelpreis gilt nicht nur ihnen und ihrem Kampf, sondern auch dem Leid derer, das sie an diese Stelle gebracht hat. Und beide führen auch auf unterschiedliche Art eine scharfe, eine bittere Anklage: nicht nur gegen die Täter, sondern auch gegen eine Welt, die dem Grauen tatenlos zusieht.
Die 25-jährige Nadia Murad steht hier als Frau von großem Mut, die ihre Stimme erhebt und die Scham über ihre eigene Schändung überwindet. Erst durch sie hat die Welt von den Schändungen jesidischer Mädchen und Frauen und den Genozid an dem Volk durch die Terrormilizen des IS im Irak und in Syrien erfahren. „Was wäre, wenn diese Mädchen, die wie Ware gehandelt werden, eine Schiffsladung Waffen, ein Ölfeld oder ein Handelsdeal wären?“, fragt Nadia Murad. Und gibt die Antwort gleich selbst: „Höchstwahrscheinlich würde kein Mittel unversucht bleiben, um sie zu befreien.“ Dass die Führer von weltweit 195 Nationen kein Mittel fanden, um ihnen zu helfen, will Murad nicht in den Kopf. Murad bedankt sich für den Preis, „Das ist eine große Ehre“, sagt sie. „Aber der einzige Preis, der unsere Würde wiederherstellen kann, ist Gerechtigkeit, die Verfolgung der kriminellen Täter und Schutz für den Rest unserer Gemeinschaft.“
Ausbeutung, sexuelle Gewalt und Kriegsverbrechen entsetzen das Publikum
Mukwege steht hier als Arzt, der seit über 20 Jahren im kongolesischen Bürgerkrieg Tausende von entsetzlich verstümmelten und missbrauchten Babys, Kindern und Frauen behandelt und so oft einen aussichtslosen Kampf um deren physische Gesundheit kämpft – von einer psychischen Genesung gar nicht zu reden. „Ich erspare Ihnen Details“, sagt Mukwege, doch das wenige, was er erzählt, lässt das blanke Entsetzen einziehen in den festlich geschmückten Saal. Mukwege appelliert an die Welt um Hilfe, um diesen Bürgerkrieg zu beenden, seinem Land und den Menschen zu helfen, zur Ruhe zu kommen, um die tiefen Wunden des Bürgerkrieges zu heilen. Mukwege spricht aber auch an, welchen Beitrag jeder Einzelne leisten kann: Die Gewalt und der Bürgerkrieg im Kongo stehen für ihn im Zusammenhang mit der Rohstoff-Ausbeutung seines Landes, oft genug erbracht durch Ausbeutung und Kinderarbeit.

Murad und Mukwege werden für ihren Kampf und Einsatz für die Beendigung von sexueller Gewalt als Waffe in Kriegen und kriegerischen Konflikten ausgezeichnet. Als Kriegsverbrechen unter den Augen der Welt, die aus Scham verschwiegen und niemals geahndet würden, geißelte die Vorsitzende des Friedensnobelpreis-Komitees, Berit Reiss-Andersen, diese sexuelle Gewalt, „an den Frauen als unsichtbaren Opfern“ und fordert die Welt auf, die Täter zu verfolgen und zu bestrafen. „Beide haben Alfred Nobels Friedenspreis voll verdient“, sagt Reiss-Andersen. „Der Preis nimmt sie in die Pflicht, ihren Kampf fortzusetzen, aber er verpflichtet auch uns, ihnen zur Seite zu stehen in diesem Kampf und diese sexuelle Gewalt zu beenden.“
Kretschmann persönlich eingeladen
Nadia Murad, im hochgeschlossenen blauschwarzen Kleid, geht als Erste der beiden Preisträger ans Rednerpult. Sie wirkt noch kleiner und zierlicher als sonst, ihre Stimme klingt beherrscht, doch immer wieder bebt sie vor Emotion. Vor ihr, in der ersten Reihe, sitzen ihr Verlobter Abid Schamdeen und vier Jesidinnen, die aus Baden-Württemberg angereist sind und wie sie dem Kontingent der 1100 Frauen und Mädchen angehörten, die im Südwesten Aufnahme fanden. Eine Reihe dahinter hat der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann Platz genommen, mit dem Murad und die vier Jesidinnen vor der Zeremonie zusammentrafen. Kretschmann ist hier als Gast von Nadia Murad, auf ihre persönliche Einladung hin.
Bei Kretschmann wird sich Nadia Murad in ihrer Rede explizit bedanken. „Ohne ihn und die baden-württembergische Landesregierung wäre ich nicht in der Lage, heute meine Freiheit zu genießen und die Verbrechen des IS anzuklagen und die Wahrheit über das Leiden der Jesiden zu berichten“, sagt Murad in ihrer Rede. „Aber alle Opfer verdienen einen sicheren Hafen, bis ihnen Gerechtigkeit zuteil wird.“
Die Reden seien ihm „unter die Haut gegangen“, sagt Kretschmann anschließend mit belegter Stimme. „Nadia Murads Rede war bewegend, aber auch die von Denis Mukwede, die so ganz anders war.“ Kretschmann nimmt aus Oslo auch eine Botschaft mit: „Wir brauchen alle ein wenig von dem Mut, den diese Menschen in ihrem Kampf gezeigt haben. Wir brauchen mehr Mut, auch große Dinge anzugehen.“
Für die Preisträger ist der Tag nach der Zeremonie noch lange nicht zu Ende: Am Abend nehmen sie im winterlichen Oslo noch die Ehrenbezeigung eines Fackelzuges entgegen, mit dem die Bürger der Stadt die Preisträger feiern – dann steht ein Festdinner mit den Mitgliedern des Nobelpreiskomitees an. Winfried Kretschmann ist derweil schon auf dem Weg zurück nach Baden-Württemberg. Auch Nadia Murad wird, wie sie vor der Preisverleihung im Gespräch verraten hat, künftig zumindest einen Teil ihres Lebens mit ihrem künftigen Mann in Baden-Württemberg verbringen, wo sie unweit von Stuttgart einen sicheren Wohnort hat. Doch ihren Kampf will sie erst beenden, wenn alle Mädchen und Frauen aus den Händen des IS befreit sind, das Volk der Jesiden in Schutz und Frieden leben kann – und die Täter vor Gericht stehen.
Wie Frauenarzt Mukwege im Kongo arbeitet, lesen Sie in unserer Reportage.
Die tapfere Jesidin
Nadia Murad (25) überlebte den von der Terrormiliz IS verübten Völkermord an den Jesiden im August 2014. Bei einem Überfall auf ihr Heimatdorf im irakischen Sindschar verlor sie ihre Mutter und sechs Brüder. Murad wurde entführt, versklavt, vergewaltigt und gefoltert, bevor ihr von Mossul aus die Flucht gelang. Sie ist UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel. (mim)
Der mutige Arzt
Denis Mukwege (63) ist Gynäkologe in der Demokratischen Republik Kongo und leitender Chirurg in der Panzi-Klinik in Bukawu, wo vergewaltigte Frauen aus der krisengebeutelten Grenzregion zu Ruanda behandelt. Mukwege engagiert sich aber auch politisch, in dem er die Gräueltaten dokumentiert und nicht davor zurückschreckt, die dort nach eigenem Recht handelnden Milizen dafür zu verurteilen. (mim)