Herr Goldammer, Sie beschäftigen sich seit den 70er-Jahren mit dem Feuer. Was fasziniert Sie daran?
Die Doppelrolle, die das Feuer spielt. Die Menschheit hätte sich ohne Feuer nicht entwickeln können, andererseits hat das Feuer große zerstörerische Kraft. Für mich interessant ist vor allem die Herausforderung, damit umzugehen – das Feuer zu nutzen und Wildfeuer auch bekämpfen zu können. Das bedeutet Feuermanagement.

Im Moment ist Ihr Fachgebiet so aktuell wie selten. Feuer wüten im Amazonas, in Sibirien, auf den Kanaren. . . Und die Weltöffentlichkeit schaut gebannt und erschrocken zu.
Das ist richtig. In diesem Jahr ist das Thema in der Öffentlichkeit – vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Welt in Sachen Klima endlich aufwacht. Plastik, CO2 – es jagt ein Medienhype den anderen. Und jetzt sind wir gerade mal dran. Die Welt entdeckt, dass es überall brennt – aber wissen konnte man das schon lange. Gut ist, dass sich gerade die Erkenntnis durchsetzt, dass das Feuer nur Ausdruck der Landnutzungspolitik ist. Es wird gnadenlos Raubbau betrieben an unserer Erde. Dazu kommen Politiker wie Trump und Bolsonaro – und glauben Sie mir, auch die wissen ganz genau, dass das, was sie machen, gegen das Interesse der Weltgemeinschaft ist. Sie verschweigen auch beide, dass die ungehemmte Abholzung der eigenen Wälder primär ihren Ländern und ihren Menschen schadet.

Ihr Institut beobachtet von Freiburg aus Waldbrände weltweit. Wie funktioniert das ganz praktisch?
Wir haben uns dezentralisiert in den letzten Jahren, gerade haben wir eine weitere Außenstelle – ein Regionalzentrum des GFMC – in Sibirien eröffnet. Was wir machen, ist die Beobachtung der Situation vor Ort und die Beobachtung der Politik in den jeweiligen Ländern. Wir versuchen, Fähigkeiten im Feuermanagement länderübergreifend aufzubauen.
Also Sie sitzen nicht in Freiburg vor Bildschirmen und gucken Satellitenbilder an?
Naja, schon auch. Aber die kann jeder angucken – auf den Seiten der NASA. Außerdem verändern sich die Karten kaum. Was gerade in Amazonien passiert, ist nichts Neues. Das passiert jedes Jahr. Wir sprechen von 300 bis 600 Millionen Hektar verschiedener Landschaftstypen (Wälder, Savannen, trockengefallene Sumpfgebiete, Landwirtschaftsflächen), die jedes Jahr weltweit von Feuer betroffen werden.

Das heißt, wir regen uns gerade völlig umsonst auf.
Nein, es ist wirklich gut, dass an die Öffentlichkeit kommt, was wir schon lange versuchen zu vermitteln – und was die Politik bislang ignoriert hat. Greta Thunberg hat auch nur ein Pappschild hochgehalten, sie hat ja nichts Neues erzählt – aber sie hat Aufmerksamkeit aufs Thema gelenkt.
Was hat der Klimawandel mit den Bränden zu tun?
Der Klimawandel bringt vieles durcheinander. Was wir bisher wissen, muss auf der Grundlage des Klimawandels auf den Prüfstand gestellt werden. Zum Beispiel, was Feuerresilienz eines Waldes angeht. So hat man sich in Deutschland bisher wenig Gedanken um Feuermanagement gemacht, weil das Land nicht als gefährdet galt. Aber seit letztem Jahr zeigt sich, dass das nicht mehr zutrifft.

Waldbrände sind ja zu einem gewissen Grad ja auch etwas Normales. Zum Teil braucht die Natur das auch, um aufzuräumen und Platz zu schaffen für neue Pflanzen.
Zunächst mal: Wir nennen das Landschaftsbrände – Wald ist ja nur ein Teil davon. Auch was in Südamerika brennt, sind ja zum größten Teil keine Waldflächen. Was im Amazonas-Gebiet brennt, ist kein Waldbrand im eigentlichen Sinn, sondern da wird gezielt abgeholzt und die störende Biomasse verbrannt, um Raum zu schaffen für eine Zuckerrohr- oder eine Sojaplantage oder eine Rinderweide. Teilweise dringen dann auch Feuer in die angrenzenden und noch stehenden Wälder ein – das ist dann ein Waldbrand. Regenwaldbäume sind sehr feuerempfindlich. Der sekundäre Effekt von solchen Feuern ist, dass die Bäume im Nachhinein absterben, aber nicht während des Feuers.
Um nochmal auf die Frage zurückzukommen: Gibt es auch gute Brände? Und wie sehen sie aus?
Viele Pflanzenarten sind abhängig von Feuer. In einer Reihe von Ökosystemen, zu denen bei uns beispielsweise die Heidegebiete zählen, woanders sind es Savannen in Afrika, Eukalyptuswälder in Australien oder Kiefernwälder in Sibirien, räumt das Feuer regelmäßig diese Standorte auf, recycelt abgestorbene Pflanzenteile und zu dichte Vegetation – und dann setzen sich feuertolerante Arten durch.
Machen Sie sich jetzt Sorgen um den Amazonas-Dschungel?
Die Sorgen mache ich mir seit den 1970er-Jahren. Ich habe schon in den 80ern einen Vortrag vor Politikern in Manaus gehalten – und die meisten haben gesagt: „Komm schon, es wird hier schon nicht brennen.“ Das alles ist nichts Neues. Wir wissen alle seit Jahrzehnten, was mit dem tropischen Regenwald los ist. Die brasilianische Vorgänger-Regierung von Präsident Lula da Silva hat versucht, dem exzessiven Landverbrauch und der Waldverbrennung etwas entgegenzusetzen. Aber Bolsonaro steuert in die entgegengesetzte Richtung.

Das katholische Hilfswerk Adveniat sieht auch deutsche Verbraucher in der Verantwortung. Nach dem Motto: Wer Fleisch isst, ist mit schuld an den Bränden – insbesondere, wenn mit dem Mercosur-Abkommen noch mehr brasilianische Waren auf den europäischen Markt drängen. Stimmt das?
Die Waldumwandlung in Brasilien dient dazu, die internationalen Märkte zu füttern, weil damit das Geld gemacht wird – so will es Jair Bolsonaro. Was da auf den Sojaplantagen und den Zuckerrohrplantagen wächst, wird dann hier zur Bio-Sprit-Herstellung genutzt – bekommt also auch noch einen Bio-Anstrich. Und die Rinder landen auf unseren Tellern – und dann schauen Sie mal, was Fleisch kostet: viel zu wenig.
Ich habe gelesen, dass Sie Feuer mit Feuer bekämpfen. Wäre das auch eine Methode in Brasilien?
Nein, das können Sie nicht überall machen. In Sibirien aber ist das eine gute Methode. Da versuchen wir seit den 90er-Jahren, das System dahingehend zu reformieren, dass richtiges Feuermanagement betrieben wird – also dass natürliches oder kontrolliertes Feuer dazu verwendet wird, diese Waldökosysteme zu stabilisieren. Das wäre übrigens auch ein Thema für uns in Deutschland – aber die Köpfe in den Verwaltungen sind nicht offen dafür.

Wüten denn in Sibirien die Brände dieses Jahr schlimmer als sonst?
Nein. Wir sind in Sibirien im Moment bei neun Millionen Hektar Waldbrandfläche, im Jahr 2012 waren es elf. Aber das Jahr ist noch nicht zu Ende. Was sich unterscheidet zu den Vorjahren: Die Feuer verschieben sich Richtung Norden, Richtung Tundra. Das hat mit dem Klimawandel zu tun. Aber, wissen Sie, eigentlich ist es egal, ob wir in diesem Jahr ein paar Brände mehr oder weniger haben. Entscheidend ist doch die Frage: Ab welchem Zeitpunkt ist es destruktiv? Und was können wir dann dagegen tun? Ich komme gerade aus Krasnojarsk zurück, was sich in den letzten Jahren extrem verändert hat: Da sind Riesenvorstädte gewachsen – was im Umkehrschluss vor allem ein Ausdruck der Landflucht ist. Es will keiner mehr auf dem Land leben, Land- und Forstwirtschaft betreiben. In der Folge wird Land nicht mehr bestellt, der Wald nicht mehr richtig bewirtschaftet und unkontrollierte Feuer können sich besser ausbreiten.

Ab welchem Punkt wird es denn fürs Weltklima zum Problem, wenn die Landschaften weiter brennen?
Es wird dann zum Problem, wenn die Ökosysteme, die vom Feuer betroffen sind, sich danach nicht wieder regenerieren können. Ein Kernpunkt ist die Menge der pflanzlichen Biomasse, die Kohlenstoff bindet. Nehmen Sie eine Savanne, die jedes Jahr brennt, da liegen fünf bis zehn Tonnen Biomasse drauf, von denen die Hälfte Kohlenstoff ist. Wenn im nächsten Jahr die komplette Vegetation wieder aufwächst, ist der Nettoverbleib von CO2 in der Atmosphäre gleich null. Solch ein Brand ist also klimaneutral. Wenn aber ein Stück Regenwald verbrannt wird und danach entsteht an dieser Stelle eine Rinderweide mit viel weniger Biomasse, dann verbleibt rechnerisch diese Differenz an CO2 in der Atmosphäre, die sich leicht errechnen lässt: Es sind mehrere Hundert Tonnen Kohlenstoff, die der ehemalige Wald gespeichert hatte – aber nur eine Handvoll Tonnen Kohlenstoff im Weideland. Dann ist es klimarelevant.
Fragen: Angelika Wohlfrom
Zur Person
Johann Georg Goldammer, 70, leitet das Zentrum für globale Feuerüberwachung (Global Fire Monitoring Center), eine Außenstelle des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz an der Universität Freiburg. Gegründet wurde das Zentrum 1998 als deutscher Beitrag für die Vereinten Nationen. Der Forstwissenschaftler und Feuerökologe erforscht seit den 1970er-Jahren, wie sich Brände auf Natur- und Kulturlandschaften auswirken und wie dieses Wissen in Politik und Anwendung übertragen werden kann. (sk)