Frau Oeming, Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin mit Pornografie. Wie viele Ihrer E-Mails landen im
Spam-Ordner?
Das passiert tatsächlich immer wieder. Es wird vor allem dann zum Problem, wenn das Wort in der Betreffzeile auftaucht – und das passiert oft. Da habe ich leider noch keine Lösung gefunden, wie ich das meinem E-Mail-Programm erklären kann. (lacht)
Sie forschen auch zu feministischen Pornos. Können Sie das kurz erklären?
Die meisten Pornos werden von Männern für Männer gemacht. Aus feministischer Sicht geht es dabei hauptsächlich um männliche Lust. Der männliche Orgasmus, der sogenannte „Money Shot“, ist der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Ein feministischer Porno versucht das umzudrehen und mehr weibliche Selbstermächtigung zu zeigen.

Warum sind pornografische Filme so
beliebt?
Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Wenn wir alle unsere sexuellen Fantasien ausleben würden, hätte Pornografie keine Wirkungsmacht mehr.“ Auch Hollywood-Filme agieren nach diesem Ansatz: Sie bringen uns in eine Welt, die anders ist als unsere Lebensrealität. Pornos machen das Gleiche. Aber man kann die Frage natürlich auch pragmatischer beantworten: Wir schauen sie, um uns schnell zu erregen und zu masturbieren. Oder um etwas über Sexualität zu lernen.
Dafür braucht es Pornos? Ist Sex in unserer heutigen Gesellschaft nicht präsenter denn je?
Das denkt man schnell, aber je spezifischer es wird, desto weniger verbreitet sind fundierte Informationen. Wenn ich wissen möchte, wie ich mit einem „Strap-on“ [Dildo zum Umschnallen, Anm. d. Red.] richtig penetriere, ist es gar nicht so leicht, etwas Hilfreiches zu finden. Das geht im Porno wesentlich schneller – auch wenn ein Porno natürlich nie dafür gemacht wurde, Aufklärungsarbeit zu leisten. Und das wiederum ist ein großes Problem.
Warum?
Weil es selbst heutzutage und selbst hierzulande keine ausreichende Sexualkunde gibt, die junge Menschen nicht nur über die Gefahren, sondern auch die Lust beim Sex aufklärt. So werden Pornos in diese Rolle gedrängt, sind dafür aber überhaupt nicht geeignet. Pornos sind Unterhaltung, Fantasie, Fiktion. Sie sollten keinen Bildungsauftrag haben.
Haben sich Pornos im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Ja und nein. Das Grund-Thema ist natürlich gleich geblieben. Ansonsten hat sich vieles sehr stark diversifiziert, insbesondere, wenn man sich anschaut, wer Pornos produziert. Es gibt heute viel mehr nicht-männliche Personen hinter der Kamera und am Set. In den Filmen werden deutlich mehr sexuelle Identitäten sichtbar. Auch die Digitalisierung hat zu Veränderungen geführt. Heute werden oft nur kurze Clips und Ausschnitte geschaut, meist auf dem Handy. Mit dem Feature-Film der 70er-Jahre, der im Kino gezeigt wurde, hat das nichts mehr zu tun.
Heute muss niemand mehr in die Schmuddel-Ecke der Videothek gehen, um an Pornos zu gelangen. Hat diese bessere Verfügbarkeit auch etwas verändert?
Ja, aber nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch von Seiten der Produktion. Es wird schneller Nachschub verlangt, daher wird viel mehr produziert, und das geht natürlich auf die Qualität. Außerdem kann heute jeder, der ein Smartphone besitzt, einen Porno drehen. Die Amateurbranche boomt.
Was bedeutet das in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Darsteller?
Es gibt heute nicht mehr zwingend das klassische Porno-Star-Modell, also eine Person, die unter Vertrag ist und damit endlos viel Geld verdient. Viele Performende bedienen nebenbei ihre privaten Snapchat-Kanäle und laden Videos auf Plattformen hoch. Dadurch gibt es mehr Einnahme-Möglichkeiten und auch mehr Kontrolle, was die Inhalte angeht. Die Digitalisierung ist also nicht unbedingt etwas Schlechtes.
Ist Porno-Darsteller denn ein Job, von dem man gut leben kann?
Das ist extrem unterschiedlich. Die Zahl derjenigen, die nur diesen Job haben und davon leben können, ist verschwindend gering. Außerdem macht es einen Unterschied, ob man bei einer amerikanischen Mainstream-Firma unter Vertrag ist oder ob man sich hin und wieder als Amateur etwas hinzuverdient. Das ist eine riesige Branche mit allen Facetten.
Pornos können heute auf jedem Smartphone angeschaut werden. Die Gesellschaft ist übersexualisiert. Und doch haben die Deutschen, wenn man Umfragen glaubt, immer weniger Sex. Wie passt das zusammen?
Die Frage wäre zunächst einmal, ob da überhaupt ein Zusammenhang besteht. Gucken wir lieber Pornos, statt echten Sex zu haben? Das lässt sich momentan überhaupt nicht nachweisen. Und selbst wenn es so wäre: Wäre das ein Problem? Wie bewerten wir das? Und wo kommen überhaupt diese Zahlen her? Man muss immer extrem vorsichtig sein, wenn man sich Statistiken zu menschlicher Sexualität ansieht. Ich weigere mich zu glauben, dass der Zusammenhang so simpel ist.
Sie beschäftigen sich mit Pornosucht. Was untersuchen Sie da?
Ich versuche darzustellen, dass sie ein kulturelles Konstrukt ist, ein Mythos. Da geht es mir um den Diskurs: Wie wir über Pornos sprechen, welche Ängste damit verbunden sind.
Das heißt, es gibt gar keine Porno-Sucht?
Das ist natürlich eine steile These, die ich so nicht aufstellen kann. Als Kulturwissenschaftlerin kann ich sagen, dass wir es mit Panikmache zu tun haben, mit einem pseudo-medizinischen Ansatz, mit konservativen Moralvorstellungen, wie Sex zu sein hat. Das merkt man allein daran, wie stark sich die Kirche und rechtslehnende Gruppen in die Debatte einmischen, vor allem in den USA, wo das Thema schon allgegenwärtig ist.
Was meinen Sie?
Wenn ich Berichte von Menschen lese, die sich als pornosüchtig beschreiben, ist das eigentliche Problem fast immer Scham und fehlende Kommunikation. Sie berichten, heimlich Pornos zu schauen. Oder online Sehnsüchten nachzugehen, die sie sich nicht trauen auszusprechen. Das tut natürlich keiner Beziehung gut, aber daran sind nicht die Pornos schuld. Das Thema ist wahnsinnig komplex, aber die öffentliche Unterhaltung darüber geht in die falsche Richtung.
Ist Pornografie noch ein Tabu?
Sie ist definitiv noch tabuisiert. Es wird oft von der Pornofizierung des Alltags gesprochen, aber alleine an den Reaktionen auf mein Forschungsgebiet sehe ich, dass das nicht stimmt. Wenn es wirklich normal wäre, über Pornos zu sprechen, würden die Menschen nicht auf die Weise reagieren, wie sie es tun: Von amüsiert bis schockiert.
Lustvolle Griechen
Den Begriff „Pornografie„ verdanken wir den alten Griechen, genauer: den männlichen alten Griechen. Das Wort ist zusammengesetzt aus „pórné“ für „Dirne“ und „gráphein“ für „schreiben“. Merkwürdigerweise kommt das Wort in der altgriechischen Literatur nur ein einziges Mal vor und zwar im „Gelehrtengastmal“ des Dichters Athenaios, der Ende des 2. Jahrhunderts in Rom lebte. Als „pornográphos“ wird dort jemand bezeichnet, der das Leben einer berühmten Hetäre (Prostituierte für Reiche und Gebildete) geschildert hat oder der erregende Wandbilder von Liebespaaren beim Sex gemalt hat. Solche Kunstwerke kann man heute noch in den Ruinen von Pompeji in einem früheren Schlafzimmer sehen. Sie wurden auch auf antike Vasen gemalt. (mic)