Sonja Dürr

Zuerst die Bestellung. „Ein Stück Himbeerkuchen, eines mit Heidelbeeren und zwei Mal Cappuccino.“ Nachdem die junge Frau ihre Wünsche losgeworden ist, bleibt sie vor der Bäckereitheke stehen und raunt ihrer männlichen Begleitung zu: „Hast Du‘s gehört? Dass sie jetzt auch gegen einen dritten Großbetrieb ermitteln. Auch bei uns.“ Namen von Großbauern fallen, die hier in Bad Grönenbach jeder kennt. „Wer soll‘s denn auch sonst sein?“, meint der Mann.

Tier­skandal zieht immer weitere Kreise

Dabei ist es ein Nachmittag wie jeder andere in Bad Grönenbach. Kurgäste schlendern durch die beschauliche Marktgemeinde, Urlauber studieren an der Schautafel Radrouten durchs Unterallgäu. Im Dorflädele gibt es T-Shirts mit Kuhaufdruck zu kaufen, am Marktplatz serviert Charly Fleisch von glücklichen Kühen aus dem Allgäu.

Ein paar Meter weiter, in der Bäckerei Wieser, löffelt die junge Frau Milchschaum von ihrem Cappuccino und sagt: „Man darf nicht alle Bauern über einen Kamm scheren.“ Auch nicht nach all den Schlagzeilen über Bad Grönenbach.

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Seit Anfang Juli die Bilder von kranken und gequälten Kühen öffentlich wurden, die die Soko Tierschutz in einem Großbetrieb aufgenommen hat, steht Bad Grönenbach für einen Tier­skandal, der immer weitere Kreise zieht. Die Staatsanwaltschaft Memmingen ermittelt gegen drei Großbauern aus dem Ort. Da drängt sich die Frage auf: Ist das ein spezielles Problem von Bad Grönenbach – jener Gemeinde mit ihren 5682 Einwohnern und etwa 8000 Milchkühen? Und wenn ja, warum?

Strukturen anders als im Rest von Bayern

Ein Blick in die bayerische Statistik jedenfalls verrät, dass die Strukturen hier anders sind als im Rest des Freistaats: Ein durchschnittlicher Milchviehbetrieb in Bayern hat 40 Kühe, im Unterallgäu sind es fast 60.

Zuletzt gab es im Freistaat fünf Betriebe mit mehr als 500 Milchkühen, drei davon im Unterallgäu, davon wiederum zwei in Bad Grönenbach. Von einem der Großbetriebe mit 1700 Kühen stammen die Aufnahmen der Soko Tierschutz, auch gegen den zweiten wird ermittelt.

Für Hans Foldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter ist es kein Zufall, dass die aktuellen Fälle im selben Ort spielen. Das Rennen, wer den größeren Hof hat, wer mehr Kühe im Stall halten oder noch mehr Land bewirtschaften kann, das beobachtet er in vielen Dörfern.

Andere, die man fragt, sagen, in Bad Grönenbach hätten sich zwei gefunden, die Landwirtschaft unternehmerisch denken, die voneinander gelernt haben, wie man wächst. Foldenauer, der selbst einen Hof mit 95 Kühen bewirtschaftet, glaubt nicht daran. „Das ist die Gier, der Beste zu sein. Da schaltet dann das Hirn aus.“

Die Nöte der Landwirte

Aus seiner Sicht kommen da viele Dinge zusammen: die Agrarpolitik der EU, nach der die Förderung umso höher ausfällt, je größer ein Betrieb ist; die Betriebsberater, die auch bei Stallneubauten ins Spiel kommen und die den Bauern predigten, dass sie dank der Automatisierung immer mehr Milchkühe versorgen können – mit der Folge, dass die Ställe immer größer würden und die Zahl der Kühe zunehme.

„Wir haben alle miteinander das Problem, dass für die in den Betrieben steigenden Tierzahlen zu wenig Arbeitskräfte da sind.“ Foldenauer spricht von einer Spirale aus Selbstüberschätzung und Überforderung, die sich auf vielen Höfen auftut und die viele Folgen haben kann: Depressionen, die in Bauernfamilien überdurchschnittlich häufig zutage treten. Oder aber, dass es mancher nicht mehr so genau nimmt mit dem Wohl der Tiere. Wobei Tierquälerei per se nichts mit der Betriebsgröße zu tun habe und Verstöße gegen das Tierwohl auch in kleineren Betrieben vorkommen können.

Landwirte unter Generalverdacht

Gerhard Trunzer steht im Laufstall für seine 80 Kühe. Zusammen mit Siegfried Villing, dem Bad Grönenbacher Ortsobmann des Bauernverbands, will er reden: Darüber, dass es schon mal einfacher war, Landwirt zu sein – zumal zu dieser Zeit, zumal an diesem Ort. Darüber, dass Bad Grönenbach mehr ist als dieser Skandal. Mehr als diese Großbetriebe. Dass es auch die normalen, durchschnittlichen Bauern hier gibt.

Siegfried Villing und Gerhard Trunzer sehen die Viehwirtschaft in Bad Grönenbach unter Generalverdacht.
Siegfried Villing und Gerhard Trunzer sehen die Viehwirtschaft in Bad Grönenbach unter Generalverdacht. | Bild: Ralf Lienert

Eines aber, das muss Trunzer gleich loswerden: Was da im ersten Großbetrieb passiert und auf den Videos der Soko Tierschutz zu sehen ist, „das ist illegal. Und das gehört bestraft, allerdings von den zuständigen Behörden und nicht in einem Akt von Selbstjustiz.“

Mit welcher Vehemenz die landwirtschaftlichen Betriebe im Ort zuletzt kontrolliert wurden, macht den Bauern Angst. Villing erzählt von Höfen, wo ein Großaufgebot an Veterinären und Staatsanwälten aufmarschierte, wo Landwirte unter Generalverdacht gestellt wurden.

Stimmung in der Branche so schlecht wie noch nie

Trunzer sagt: „Man will der Öffentlichkeit zeigen, dass die Staatsregierung etwas tut. Aber da werden Landwirte, die sich nichts zuschulden kommen lassen, kriminalisiert.“ Plötzlich würden Dinge angemahnt, die bei vorherigen Kontrollen kein Problem waren. Ein Verstoß, sagt Trunzer, gelte als Mangel. Im schlimmsten Fall sperren die Behörden den Betrieb für die Milchlieferung. „Und ich stehe in der Zeitung wie der, der seine Tiere gequält hat.“

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Ein paar Kilometer weiter steht Ortsobmann Villing am Zaun. Vor ihm seine 70 Milchkühe, dahinter der neu gebaute Stall. Vor zwei Jahren hat der 51-Jährige auf Bio umgestellt, Pessimismus ist da verboten, sagt er.

Auch wenn die Stimmung in der Branche so schlecht sei wie noch nie. Erst recht in diesem Jahr, wo zu all den Problemen, von der Düngeverordnung bis zum Preisdruck, von der Bürokratie bis zum fehlenden Verständnis für die Bauern, noch das Bienen-Volksbegehren kam, sagt Villing.

Die Folgen sehe man jetzt schon. 15 junge Leute machen derzeit im Unterallgäu die landwirtschaftliche Ausbildung. 60 bis 70 bräuchte es, damit die Nachfolge auf den Höfen geregelt ist. Trunzer sagt: „Der Zug für die bäuerlichen Betriebe ist abgefahren.“

„Das sind doch Wildwestmethoden“

„Es ist nie gut für einen Ort, wenn so etwas passiert“, sagt in Bad Grönenbach Gastwirt Sandro Guiducci. Erst recht nicht für einen Ort, der als Kneippheilbad Besucher anziehen will. Gut 28.000 Gäste und knapp 165.000 Übernachtungen zählte man 2017 – den Großteil davon machen die Patienten der Kurkliniken aus. In den Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen ist jetzt, im August, Hochsaison.

Aufregung findet man in Bad Grönenbach in diesen Tagen nicht. Eher Trotz. Mancher, mit dem man spricht, sagt, dass es doch nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis solche Schlagzeilen auftauchen. „Es ist eine Todsünde, dass man so viele Tiere zusammenpfercht“, meint einer. Und umgekehrt ein Glücksfall, dass sich einer von hier getraut habe, die Missstände öffentlich zu machen.

Ortsobmann Villing erklärt, dass sich die Bauern zusammensetzen wollen und überlegen, was man tun kann: „Das Leben in Bad Grönenbach geht ja weiter.“ Für die Bürger, für die Bauern, aber auch für die Betriebsinhaber, gegen die ermittelt wird, und deren Familien. „Das sind ja nach wie vor Menschen“, sagt Villing. Und dass es zu weit gehe, sie mit Hetzkampagnen zu überziehen oder zu bedrohen. „Das sind doch Wildwestmethoden.“

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