Klack, klack, klack. Jede Sekunde dreht sich auf dem großen Bildschirm im Eingangsbereich der Aspire Academy in Doha eine kleine Tafel um. Hier, wo Katar seine Sportler von morgen formt, wird die Zeit heruntergezählt, die noch bleibt bis zum Start der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Winter. Der ersten in einem arabischen Land.
Bis kurz vor dem Start wird noch gebaut
Vieles ist fertig, einiges noch nicht. Gut drei Wochen vor dem Start des Großereignisses gibt es noch zahlreiche Baustellen, auf denen Arbeiter aus Bangladesch, Nepal, Indien, Pakistan oder von den Philippinen Tag und Nacht hämmern und bohren. Sie sollen den Sportstätten, Hotels und Straßen des WM-Gastgebers den letzten Schliff verleihen.
Hier sieht man letzte Vorbereitungen für die WM, die am 20. November startet:
Und was nicht rechtzeitig fertig wird? Da will es der Katari machen wie der Deutsche mit der Bügelwäsche, wenn überraschend Besuch kommt – was nicht hübsch ist, wird abgedeckt.

Doch wie schnell sie Dinge hier im Emirat hochziehen können, hat Katar in den vergangenen 30 Jahren eindrucksvoll belegt. Finanziert mit Milliarden aus dem Handel mit Öl und Gas. Die imposante Skyline, der moderne Stadtteil „The Pearl“ – benannt nach dem Nationalsymbol des Landes, den Perlen, von dessen Handel die Großelterngeneration der heutigen Kataris noch überwiegend gelebt hat – all das ist in wenigen Jahren entstanden und hat dem einst kargen, staubigen Land am Golf ein glanzvolles Antlitz verliehen.
In diesem Winter soll es – geht es nach dem Emirat und dem Fußball-Weltverband – in die ganze Welt strahlen. „Das wird definitiv die beste WM aller Zeiten“, verkündet FIFA-Präsident Gianni Infantino seit Monaten. „Die Stadien sind schön, schön, schön – alles ist vorbereitet“, betonte der Schweizer kürzlich und strahlte zufrieden.

Vermutlich hofft auch er auf eine Gesetzmäßigkeit, die viele umstrittene Sportveranstaltungen der Vergangenheit kennzeichnete. Gehen die Scheinwerfer erst einmal an, leuchten sie meist vor allem auf den Sport. Das Drumherum versinkt dann im Schatten, irgendwann gerät es ganz in Vergessenheit. Das war bei den Winterspielen in Peking und Sotschi nicht anders als bei der Fußball-WM in Russland, um die prominentesten Beispiele der jüngeren Geschichte für dieses Phänomen anzuführen.
Gerüchte um Vergabe selbst für Fifa-Verhältnisse ungeheuerlich
Doch gilt dies auch für diese WM? Nie wurde die Vergabe eines Turniers in ein Land kontroverser diskutiert. Die Gerüchte um Summen, die für den Stimmenkauf geflossen sein sollen, um Deals, die in Hotelzimmern und sogar Regierungsgebäuden geschlossen worden sein sollen, waren selbst für Fifa-Verhältnisse ungeheuerlich und stürzten den Weltverband in eine seiner größten Krisen. Auch wenn bis heute undurchsichtig bleibt, was bei der Doppelvergabe der Turniere 2018 nach Russland und 2022 nach Katar wirklich hinter den Kulissen lief – der Beigeschmack bleibt bitter.
Nie war eine WM umstrittener. Nie wurde mehr über schlechte Arbeitsbedingungen, Verstöße gegen Menschenrechte und staatliche Diskriminierung von Schwulen, Lesben und Transpersonen in einem Gastgeberland gesprochen. Außerhalb Katars und der Fifa. Im Land und bei den Organisatoren des Turniers scheint alles in bester Ordnung. Da wird es gerne gemacht wie bei den Baustellen, die nicht fertig werden. Decke drüber, sieht schon keiner. Und wenn doch, dann zeigt man mit dem Finger auf andere.
Wie geht man um mit der Regenbogenfahne?
Funktioniert das nicht, ist Unverfänglichkeit ein Ausweg. So wie bei der Frage, wie man denn nun umgeht mit Menschen, die zur WM ins Land kommen und die Regenbogenfahne tragen. In den Stadien könnte man sie herausfiltern. Im Aspire Controll & Command Center haben sie alles im Blick. Auf jeden einzelnen Sitz der Stadien können sie hier ranzoomen. Wird man es tun?
So sieht es im Aspire Controll & Command Center aus:
Hamad Ahmed Al-Mohannadi, Direktor des Zentrums, zögert erst etwas bei der Antwort. Am Ende verweist er wie viele andere auch auf einen Satz des Emirs. „Alle sind willkommen“, hatte Katars Staatsoberhaupt Tamim bin Hamad Al Thani vor einigen Wochen eine Antworthilfe vorgegeben, die nun brav alle wiederholen, die auf das Thema angesprochen werden.

Ein Land in der Sandwichposition
Gute PR ist eine der wichtigsten katarischen Kernkompetenzen neben der Diplomatie – und oft gehen beide Hand in Hand. Entwickelt hat es sich aus der Geschichte des Landes, das von jeher eine Sandwichposition einnimmt. Oder das, wie es der Islamwissenschaftler Sebastian Sons nennt, „stets im Auge des Sturms“ lag. Immer bedacht, sich gegen die starken Nachbarn Iran und Saudi-Arabien zu behaupten, die argwöhnisch beobachten, wie rasant sich der Emporkömmling entwickelt.
Dromedare, Yachten, Luxusviertel – Impressionen von Katar:
Im Nationalmuseum sieht man, was Katar schon immer tat, um sich abzusichern. Fein säuberlich sind dort die wichtigsten Bündnis-Verträge aufgelistet, die das Emirat in seiner Geschichte schloss. Jassim Al-Kuwari führt seit eineinhalb Jahren Gruppen durch das moderne Bauwerk. Stolz zeigt der gebürtige Katari die Verträge – vor allem den Bund mit den Engländern von 1916. „Das Interesse an Katar und auch an seiner Geschichte ist in den letzten Monaten vor der WM enorm gestiegen“, sagt er. Der 30-Jährige hofft, dass sich noch mehr Menschen damit befassen. Auch, um sein Volk und was es antreibt, besser zu verstehen.
Mit „Sportswashing“ für ein besseres Image sorgen
Heute macht Katar mit dem Sport Politik. Ein Tennis-Turnier der ATP war 1993 der Anfang. Es folgten massenweise Wettbewerbe und Rennen. Die vorläufigen Höhepunkte: die Weltmeisterschaften im Handball 2015 und in der Leichtathletik 2019. Nun die Fußball-WM. Und dann gibt es da ja noch den großen Traum von Olympia. Zweimal schon hat Katar sich beworben. 2036 soll es klappen. So will Katar sein Image schönen. Eine gängige Praxis vieler Autokratien, für die extra ein Wort entwickelt wurde: „Sportswashing“.
Ein Blick in das Lusail-Stadion, 15 Kilometer nördlich des Zentrums der Hauptstadt Doha. Es bietet 80.000 Plätze:
Strom und Wasser, Gesundheit – alles kostenlos
Dafür werden dann schon einmal acht Stadien gebaut auf einer Fläche, die kleiner ist als Schleswig-Holstein. Drei Millionen Menschen leben in dem Emirat, das zu großen Teilen aus einer steinigen, staubigen Wüste besteht. Nur 300 000 von ihnen sind Kataris. Fast alle von ihnen sind reich, dank der Vergünstigungen des Staates. Jedes Paar versorgt er mit Grund und Geld. Kataris zahlen keine Steuern. Medizinische Versorgung, Strom und Wasser – das alles ist kostenlos.
Der Rest der im Emirat lebenden Menschen kommt aus dem Ausland. Gastarbeiter – vom hoch bezahlten Experten bis zum Bauarbeiter mit einem Mindestlohn von nicht einmal 300 Euro im Monat. Sie haben nicht nur die WM-Stadien gebaut. Sie haben in den letzten Jahrzehnten dieses Land errichtet, das sich von seiner besten Seite zeigen will.

Doch so glänzend die Fassaden der Hochhäuser auch sind – die Kritik wird bleiben. Denn im Gegensatz zum rasanten Wachstum der Gebäude hinkt die Entwicklung hin zu einer modernen Gesellschaft in diesem Land hinterher. Nach wenigen Tagen in Katar beschleicht einen das Gefühl, diese WM kommt zu früh.
Nicht alle Fehler lassen sich kaschieren
Und nun sogar einen Tag früher. Um das ursprünglich nicht als Eröffnungsspiel angesetzte Duell zwischen Katar und Ecuador doch noch an den Beginn zu stellen, startet das Turnier jetzt eben am 20. November. Wer in der Aspire Academy genau hinschaut, sieht noch das alte Startdatum am Tag darauf. „Nicht filmen“, ruft der Sicherheitsmann am Eingang des Sportzentrums. Zu spät. So perfekt man in Katar und bei der Fifa auch glaubt, auf diese WM vorbereitet zu sein – nicht alle Fehler lassen sich kaschieren.