Tilmann P. Gangloff

Ähnlich wie die Olympischen Spiele sind Fußballweltmeisterschaften so etwas wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Weil sie aber nur alle vier Jahre stattfinden, hat der Präsident des Weltfußballverbands (WFA) eine Idee, wie sich noch einige Milliarden mehr verdienen ließen, und das zudem jedes Jahr: mit einer „World League“.

Eine erste vermeintlich geheime Probeabstimmung im WFA-Rat führt zu einer knappen Niederlage, aber selbstredend kennt der mächtige Strippenzieher Mittel und Wege, um die Wankelmütigen von seiner Linie zu überzeugen.

Parallelen zur Wirklichkeit nicht zu übersehen

Das Szenario ist fiktiv. Trotzdem sind die Parallelen zur Wirklichkeit nicht zu übersehen; die Weltligapläne erinnern nicht zufällig an die gescheiterte „Super League“. Die Frage ist nur: Wie lässt sich rund um diesen Handlungskern eine Serie konzipieren, die acht Folgen und somit 360 Minuten auf höchstem Niveau fesselt? Die Antwort ist: Liebe.

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Zentrale Figur von „Spiel am Abgrund“ ist die Berliner Anwältin Lea Brandstätter (Birgit Minichmayr). Ihr Freund David (Itay Tiran) ist Talentscout und leitet gemeinsam mit seinem Partner (Tom Wlaschiha) einen Nachwuchscampus in Meersburg am Bodensee: Er hält auf den staubigen Bolzplätzen Schwarzafrikas Ausschau nach begabten jungen Kickern, holt sie nach Deutschland und vermittelt sie im besten Fall für viel Geld an große Clubs.

Als David beim Treffen mit einem Sportjournalisten vor Leas Augen in seinem Auto verbrennt, geht die Polizei von einem Unfall aus, aber Hooligan Marcel (Max von der Groeben) hat mitbekommen, dass David zuvor von russischen Schlägern überfallen worden ist; Marcels bester Kumpel ist dabei getötet worden.

Auf der Figurenebene bezieht die Serie ihren Reiz fortan aus dieser ungewöhnlichen Konstellation: Lea will rausfinden, warum David sterben musste. Marcel, gerade erst aus der Haft entlassen und mehr Muskeln als Hirn, will Rache; also tun sich die beiden zusammen. Lea stößt auf Davids Verbindung zum Weltfußballverband, Marcel entdeckt eine Spur, die ins Milieu der russischen Mafia führt. Die Anwältin kommt derweil der Europäischen Antikorruptionsbehörde in die Quere, die den Betrügereien des WFA-Bosses Jean Leco (Raymond Thiry) endlich ein Ende setzen will.

Preiswürdige Bildgestaltung

Gerade in den letzten Folgen verblüffen die Drehbücher (Chefautor: Bernd Lange) durch unvorhersehbare Wendungen. Die Geschichte ist ohnehin von imposanter Komplexität. Handwerklich bewegt sich die Serie auf höchstem Niveau, schon allein die Bildgestaltung (Juan Sarmiento G.) ist preiswürdig (Regie: Rick Ostermann), doch die eigentliche Faszination resultiert aus der Ambivalenz vieler Figuren. Leco zum Beispiel ist dank Thirys subtilem Spiel gar nicht mal unsympathisch. Das Ensemble ist zudem auch in den Nebenrollen sehr interessant besetzt. Unter der Dachmarke „Das Netz“ ist auch die Serie „Prometheus“ entstanden; in der österreichischen Produktion geht es unter anderem um eine sehr spezielle Form der Ausbeutung junger Afrikaner.

„Das Netz: Spiel am Abgrund“ läuft in der ARD ab 3.11., „Prometheus“ folgt am 28.10.