Schuld am rechten Zeitgeist sind womöglich weder Globalisierung noch Digitalisierung, geschweige denn die Migrationsfrage. Nein, vielleicht liegt die Verantwortung für das Erstarken von Weidel, Meloni, Trump und Co ganz woanders. Nämlich, man lese im Programmheft und staune: bei Helmut Kohl.
So sieht es anscheinend Theaterautorin Gerhild Steinbuch, deren Stück „Glaube Liebe Hoffnung oder Leistung muss sich leider lohnen“ als Uraufführung die Spielzeit am Theater Konstanz eröffnet. Vor gut und gerne vier Jahrzehnten habe der CDU-Kanzler schließlich ein „Versprechen der Leistungsgesellschaft“ formuliert: Wer hart arbeitet, dem winke der soziale Aufstieg. Das habe damals so wunderbar geklungen, dass jeder Widerstand überflüssig erschienen sei. Weshalb „eine ganze Generation“ nie gelernt habe, „Nein zu sagen“.
Nun fällt dem aufmerksamen Zeitungsleser gleich eine ganze Reihe von Gelegenheiten ein, zu denen deutsche Wutbürger seither ihr „Nein“ gebrüllt haben. Das hindert Regisseurin Nina Mattenklotz aber nicht daran, Steinbuchs steile These auf Bühnentauglichkeit zu überprüfen.

So sehen wir auf der Bühne des Stadttheaters die in den 80er-Jahren geborene Elisabeth (Maria Lehberg) gegen ein Kindheitstrauma ankämpfen: Helmut Kohl. Ihre Eltern, erzählt sie uns, seien derart besessen gewesen von dessen Leistungsidee, dass sie tagein, tagaus nur noch arbeiteten. Um die Tochter kümmerte sich der Babysitter, sofern sie nicht bei Mama unterm Schreibtisch lümmelte: Scheinbar war Kohl auch derjenige, der Mütter lieber im Büro sah als am Herd.
Glaube Liebe Hoffnung
Auf einer purpurroten Wandkonstruktion prangt das Versprechen „Leistung muss sich wieder lohnen“, warum manche Buchstaben fehlen, erschließt sich nicht. Links liegt ein Kohlehaufen, rechts steht ein Kühlschrank, oben rotiert der Deckenventilator (Bühne: Eva Lilian Wagner). Hier arbeitet, wohnt, lebt Elisabeth.
nd mag man draußen auch von Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche reden: Sie selbst kriegt gar nicht genug davon, den Chef mit Extra-Schichten am Wochenende zu beglücken oder über faule Kollegen Buch zu führen. Eine bizarre Wahnvorstellung treibt sie dazu an, es ist Helmut Kohls Stimme in ihrem Ohr. Immer wieder pfälzert‘s aus dem Off: „Leistung muss sich wieder lohnen!“

Irgendwie ist das alles auch der Grund, weshalb ein Faschist zum Kanzler gewählt wird. Für Elisabeths Freundinnen aus Wissenschaft (Zoubeida Ben Salah) und Journalismus (Sylvana Schneider) wird es nun ernst. Die Journalistin Maria kommt nicht mehr in ihre öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die Forscherin Schupo muss erklären, wie sie das politische Neutralitätsgebot der Hochschulen zu befolgen gedenkt. Antwort: Der Fragesteller sei halt ein „dummes Arschloch“.
Bald schwant Elisabeth, dass sie statt der ewigen Plackerei wohl doch besser auf die Freundinnen gehört und Anti-Rechts-Demos besucht hätte. „Du Bruno“, jammert sie vor ihrem Ex-Kollegen (Ulrich Hoppe): „Ich habe manchmal das Gefühl, das ist gar nicht mein Leben!“ Doch da ist es schon zu spät, die Faschisten haben gesiegt. „Helmut Kohl“, bilanziert die Wissenschaftlerin und trägt einen Ballon mit dem Konterfei des Alt-Kanzlers herein, erweise sich jetzt als „der erste Albtraum meines Lebens“. Man will an Satire glauben, aber nein.

Alles, was ideologisch nicht vollends eingerostete Gemüter am Theater nervt, kommt hier zur vollen Blüte: Menschen, die das Gute vom Bösen ganz genau zu unterscheiden wissen, die sich des lästigen Suchens, Zweifelns, Forschens längst enthoben wähnen. Die nur noch zu appellieren brauchen und sich darüber zu empören, dass nicht jeder ihre Gewissheit teilt. Da wird das Spiel zur Predigt, die Bühne zur Kanzel, die Kunst kapituliert.
Gehört denn zwingend auf jeden groben Klotz ein ebenso grober Keil? Gibt es auf die Herausforderung des Rechtspopulismus wirklich keine bessere Antwort als Populismus von links? Den Schauspielerinnen und Schauspielern will man die Unterkomplexität ihrer Rollen nicht anlasten, man schlägt sich halbwegs wacker. Am Ende dieses Abends bleibt nur eine Frage interessant: Welche Bücher man gelesen haben, welchen Vordenkern gefolgt sein muss, um in dem hier gezeigten Geschichtsbild zu landen.
Kommende Vorstellungen: 1., 2. und 4. Oktober. Weitere Informationen: www.theaterkonstanz.de