Jan Ullrich stand als Tour-de-France-Sieger auf den Champs Élysées. Heute steht er im Haus des Gastes in Bad Dürrheim. Als gefallener Star? Als wieder auferstandener Rückkehrer? Beste Laune hat er jedenfalls, wirkt regelrecht gelöst. Wie man halt so drauf ist, wenn man gerade sein eigenes Museum eröffnet, kommentiert sein Manager Mike Baldinger schmunzelnd.

Denn dafür ist „Ulle“ hier, in der Kurstadt steht jetzt das „Jan Ullrich Cycling Museum“. Streng genommen ist es ein Nebenraum der Touristinfo. Danach fühlt es sich an diesem Tag nicht an. Proppenvoll ist das Foyer. Gerade läuft Fußballlegende Günter Netzer vorbei und da hinten steht Didi Senft, der Tourteufel, natürlich im Kostüm. Dort unterhalten sich Simon Geschke, gerade 14. beim Giro d‘Italia geworden, und Tony Martin, vierfacher Zeitfahrweltmeister. Und dazwischen tigert Ullrich herum.

Jan Ullrich mit Didi Senft.
Jan Ullrich mit Didi Senft. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Man sieht ihn im Museum auf Plakaten, auf Bildschirmen, auf Zeitungsausschnitten. Welcher „Ulle“ ist größer? Der in Großformat an den Wänden oder der in Nahaufnahme, von Angesicht zu Angesicht? Gar nicht so leicht, mit ihm zu sprechen, trotz Termin. Aber er will offenbar niemanden enttäuschen. Hier noch ein kleines Gespräch, da hat eine Frau noch einen Autogrammwunsch. „Nicole mit C oder mit K?“ C. Okay, hier, bitte, erledigt. So, jetzt aber.

Herr Ullrich, warum eröffnen Sie Ihr Museum gerade in Bad Dürrheim?

Das fing wirklich letztes Jahr hier bei der Deutschen Meisterschaft an, nachdem ich fast schon Jahrzehnte lang keine Radrennen mehr besucht hatte. Rik Sauer, der Organisator, hatte mich eingeladen. Und neben vielen alten Bekannten habe ich vor Ort dann Bürgermeister Jonathan Berggötz kennengelernt und es war sofort eine gute Energie da. Er hatte schon erfahren, dass ich in Merdingen sowas vorhatte.

Da hat sich das aber zerschlagen. Dann haben wir uns mit dem Bürgermeister zusammengesetzt und wir haben gemerkt, das passt: Bad Dürrheim will Radsport-Mekka werden, hat die Deutsche Meisterschaft. Und ich selbst habe die Verbindung, weil ich 2001 hier Deutscher Meister wurde, hier viele Trainingslager absolviert habe und der Schwarzwald in der Nähe meines Wohnorts ist. Und so ist es gekommen.

Hier ist viel Publikum. Wie reagieren die Menschen auf die Ausstellung?

Sehr gut. Heute sind ja nur geladene Gäste, aber ich habe schon von vielen gehört, dass sie auch noch hier herkommen wollen. Es ist gut gelegen hier in Bad Dürrheim, der Tourismus wird großgeschrieben. Das ist hier sehr gut aufgehoben.

Sie sind durch viele Täler gegangen, wie fühlt es sich jetzt an, diese Anerkennung zu spüren?

Es fühlt sich wie ein Ritterschlag an. Das ist mein Leben gewesen – mit allen Höhen und Tiefen. Ich habe letztes Jahr aufgeräumt mit meinem Leben. Die Leute haben das gut aufgenommen. Ich habe danach gemerkt, wie sich die Stimmung positiv verändert hat.

Auch in Deutschland?

Ja. In Deutschland war das bei den Fans schon immer so, aber auch was die Medien angeht. Weil man das einfach verstanden hat, weil man den Menschen Jan Ullrich dahinter verstanden hat. Und es war ohnehin immer ein Traum, meine Sachen, die irgendwo in der Garage verstauben, dass ich die mal ausstelle, weil ich auch selbst gerne in Museen gehe. Da erkennt man, dass auch eine Geschichte dahinter ist. Man kann sich an Dinge von früher erinnern und gerade in unserer schnelllebigen Welt ist das ja wichtig.

Vor dem Tour-de-France-Rad 1997 (von links): Markus Spettel (Geschäftsführer Kur und Bäder Bad Dürrheim), Jan Ullrich, sein Manager Mike ...
Vor dem Tour-de-France-Rad 1997 (von links): Markus Spettel (Geschäftsführer Kur und Bäder Bad Dürrheim), Jan Ullrich, sein Manager Mike Baldinger und Bürgermeister Jonathan Berggötz. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Was ist denn Ihr liebstes Stück in der Ausstellung?

Das Originalrad von der Tour 1997. Der Gesamtsieg dort war mein größter Erfolg, in Andorra bin ich damit das erste Mal ins Gelbe Trikot gefahren. Mit diesem Rad bin ich auch nie gestürzt. Es war wirklich eine enge Verbindung, deswegen ist das schon mein Lieblingsstück.

Wie blicken Sie auf den Radsport der Gegenwart? Sind die Fahrer sauber?

Ich hoffe es. Ich bin ja nur noch Fan, ich bin weit weg. Aber die Erklärungen, warum man heute so schnell fährt, leuchten mir schon ein. Vor allem bei der Ernährung, da kann man schon viel machen. Und diese ganzen Trainingspläne... ich weiß ja, wie ich trainiert habe: völlig falsch. Mit dem, was man heute weiß, kann man viel mehr rausholen. Ich vertraue der Sache.

Sein größter Triumph: Jan Ullrich im Jahr 1997 mit der Tour-de-France-Siegertrophäe.
Sein größter Triumph: Jan Ullrich im Jahr 1997 mit der Tour-de-France-Siegertrophäe. | Bild: Gero Breloer

Aber mit all diesen strengen Plänen – wäre das ein Sport gewesen, an dem Sie Spaß gehabt hätten?

Ne. Jetzt eh nicht mehr. Aber die junge Generation ist da reingewachsen. Wenn man nichts anderes kennt, wird es dann ja eigentlich eher leichter. Du machst halt, was gesagt wird. Du isst, was auf den Teller kommt und mehr nicht. Man sieht ja den Unterschied: Die Fahrer sind noch leichter geworden, das Material noch besser. Und ich hoffe, dass man aus unseren Fehlern gelernt hat.

Wo Sie Fehler erwähnen: Was ist die wichtigste Lektion, die Sie in Ihrem Leben gelernt haben?

Das kann ich so schnell gar nicht sagen. Ende des Monats erscheint mein Buch, da schreibe ich 20 Lehren auf, die ich gezogen habe. Das würde jetzt den Rahmen sprengen – ich hätte vieles besser machen können.

Radsport wird auch als Hobby immer populärer. Was raten Sie ambitionierten Freizeitfahrern?

Ich kann es nicht anders sagen: Der heutige Amateur hat ja die Möglichkeiten, die wir früher als Profis hatten. Sie können sich einen Trainer nehmen, Leistungsdiagnostik, sich überall ins Thema Ernährung einlesen. Es gibt immer schwerere Rennen für Jedermänner, die Leute wollen das ja so. Aber ich finde, man sollte immer den Spaß dran haben. Die Leute haben den Radsport-Virus und wollen immer weitermachen, das finde ich schön, wie sich das entwickelt hat.

Die SÜDKURIER-Redakteure Jann-Luca Künßberg (Mitte) und Dominik Dose beim Interview mit Jan Ullrich.
Die SÜDKURIER-Redakteure Jann-Luca Künßberg (Mitte) und Dominik Dose beim Interview mit Jan Ullrich. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Sie wohnen ja selbst in Schwarzwaldnähe. Wo kann man hier denn am besten fahren?

Überall. Wenn ich vom Rheintal komme und in den Schwarzwald fahre, fällt mir immer auf, dass da eine besser Luft ist. Ich fahr‘ da total gerne und man kann da ist es auch noch ziemlich verkehrsberuhigt. Der Schwarzwald ist einfach toll, wir haben hier mit die schönste Ecke zum Radfahren in Deutschland.

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Georg Steinhauser, mit dessen Tante Sie zehn Jahre verheiratet waren und dessen Vater Ihr Teamkollege war, machte zuletzt beim Giro d‘Italia auf sich aufmerksam. Ist mit ihm oder jemand anderem ein neuer Jan Ullrich, ein neuer Toursieger in Sicht?

Georg Steinhauser hat Talent. Ich stehe mit seinem Vater in Kontakt, der hatte auch viel Talent. Georg ist ein aufstrebender Radfahrer. Ob er mal die Tour gewinnen kann, das will ich gar nicht bewerten. Lassen wir den Jungen sich erstmal entwickeln, nehmen den Druck weg. Jetzt hat er tolle Leistungen gezeigt, nächstes Jahr wird es wieder besser und danach das Jahr wieder besser.

Den nächsten Toursieger sehe ich in Deutschland gerade nicht. Aber ich finde auch, das sollte junge Menschen wieder motivieren, an den Radsport ranzugehen. Weil ich finde, dass ein Sportberuf einfach ein toller Beruf ist. Da bist du mit Leidenschaft dabei – und diese Quälerei kann man ja nur mit Leidenschaft machen.

Sonst ist es nur Leiden.

Ja... aber auch das kann man lernen.