Holger Sabinsky-Wolf

Als Ruja Ignatova ins Allgäu kommt, strahlt sie Einsatzbereitschaft und Zuversicht aus. Mit ihrem Vater Plamen Ignatov hat sie das Gusswerk in Waltenhofen gekauft, das kurz zuvor Insolvenz angemeldet hatte.

Tochter und Vater spendieren Leberkäs und Hähnchen. Die Mitarbeiter sind recht angetan. Das war 2010. Heute ist Ruja Ignatova, 42, die meistgesuchte Frau der Welt.

Die Bulgarin mit deutschem Pass ist der Kopf eines gigantischen Schneeballsystems mit einer vorgetäuschten Kryptowährung namens „OneCoin“. Sie soll hunderttausende Menschen weltweit um mehrere Milliarden Euro betrogen haben.

Seit 2017 untergetaucht

Das amerikanische FBI hat sie als einzige Frau in die Top Ten der meistgesuchten Menschen aufgenommen und 100.000 Dollar Belohnung ausgesetzt. Das deutsche Bundeskriminalamt fahndet ebenfalls seit Jahren nach ihr. Bislang vergeblich. Am 25. Oktober 2017 ist Ignatova untergetaucht.

Sie flog von der bulgarischen Hauptstadt Sofia nach Athen. Dann verliert sich ihre Spur.

Möglicherweise ist sie gewarnt worden, dass in den USA Ermittlungen gegen sie gestartet wurden. Es gibt viele Gerüchte, wo sich Ignatova aufhalten könnte: in Dubai, in Osteuropa – oder auf einer Jacht im Mittelmeer.

Die Fahnder weisen darauf hin, dass die „Krypto-Queen“ ihr Aussehen mittels Operationen verändert haben könnte. Sie glauben, dass sie immer noch über gewaltige finanzielle Ressourcen verfügt.

Und sie warnen davor, dass sie bewaffnete Begleiter dabei haben könnte.

Ruja Ignatova mit ihrem Vater Plamen Ignatov nach dem Kauf des Gusswerks Waltenhofen.
Ruja Ignatova mit ihrem Vater Plamen Ignatov nach dem Kauf des Gusswerks Waltenhofen. | Bild: Laurin Schmid

Was ist zwischen der Firmenübernahme in Waltenhofen und der „Most Wanted“-Liste geschehen? Im Nachhinein betrachtet war die Allgäuer Episode wohl der Beginn von Ignatovas krimineller Karriere.

Dabei hat das Migrantenkind zuvor einen sehr beachtlichen Werdegang hingelegt. Im Alter von zehn Jahren kommt die kleine Ruja aus Bulgarien nach Deutschland. Sie wächst in Schramberg im Schwarzwald auf.

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Zwar berichten ehemalige Mitschüler, sie habe schon früh einen Hang zur Extravaganz gehabt und erzählen von egomanischen Zügen der jungen Frau.

Doch eines eint die Schilderungen: Die Bulgarin soll hochintelligent sein. Bevor Ruja Ignatova 2014 die vermeintliche Super-Währung in die Welt setzt, macht sie mehrere Abschlüsse. 1999 zuerst ein sehr gutes Abitur im Schwarzwald.

Jura-Studium in Konstanz

Was danach alles im Lebenslauf steht, bekommt man nirgends bestätigt, es liest sich aber beeindruckend. Jura-Studium in Konstanz am Bodensee mit einem Doktortitel in Rechtswissenschaften. Außerdem soll sie einen Abschluss in Rechtswissenschaften an der renommierten englischen Universität von Oxford und einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Fern-Uni Hagen haben.

Zudem will sie nach eigener Darstellung Geschäftspartnerin der bekannten Unternehmensberatung McKinsey gewesen sein und einen der größten Vermögensverwaltungsfonds in Bulgarien geleitet haben. Das klingt nach sehr viel Kompetenz in Finanzdingen.

Zwei Bitcoin-Münzen liegen auf einem Tisch.
Zwei Bitcoin-Münzen liegen auf einem Tisch. | Bild: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa

Die promovierte Juristin hat offenbar sehr genau den Hype um den legendären „Bitcoin“ analysiert – diese erste virtuelle Währung, die mehr Spekulationsobjekt denn Zahlungsmittel ist.

2009 gestartet, schoss der Bitcoin-Kurs hoch. Zwischenzeitlich lag der Kurs bei über 20.000 Dollar. Es gibt trotz der aktuellen Flaute viele Menschen, die durch Bitcoins reich geworden sind. Ignatova will diesen Erfolg kopieren und erfindet den „OneCoin“ mit Sitz in Dubai.

Das alte Schneeball-Prinzip

Doch ihre Geschichte wird zum Musterbeispiel für einen Monsterbetrug nach dem altbewährten Schneeball-Prinzip: Menschen blenden, das ganz große neue Ding versprechen, haufenweise Geld einsammeln und sich dann vom Acker machen.

In diesem Fall ist das Ende erreicht, als Ruja Ignatovas Bruder Konstantin 2019 in den USA verhaftet wird. Er gesteht Betrug und Geldwäsche.

Im Gusswerk in Waltenhofen läuft es anfangs ganz gut, die Firma erholt sich. Doch Anfang 2012 verkaufen die Ignatovs das Unternehmen klammheimlich – offensichtlich an einen Strohmann, der vier Tage später erneut Insolvenz anmeldet. Insolvenzverwalter Michael Jaffé wirft den Ignatovs vor, Geld aus dem Unternehmen gezogen und Produktionsanlagen wegtransportiert zu haben.

160 Menschen verlieren ihre Arbeit

Die IG Metall und die Sparkasse erstatten Anzeige. 160 Menschen verlieren ihre Jobs. Währenddessen lächelt Ruja Ignatova auf ihrem Facebook-Profil stark geschminkt und in teurer Abendgarderobe in Kameras und zeigt sich vor Bildern von Marilyn Monroe und Jackie Kennedy.

Im April 2016 wird Ruja Ignatova für das Desaster in Waltenhofen vom Amtsgericht Augsburg zu einer Bewährungsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Wegen Insolvenzverschleppung, Betrugs und Verletzung der Buchhaltungspflicht. Der Schaden für Lieferanten geht in die Hunderttausende.

Denn die Geschäftsführerin und ihr Vater hatten weiter Aufträge vergeben, obwohl sie wussten, dass die Firma nicht mehr zahlen kann. Nur für sich selbst und weitere von ihnen im Ausland geführte Firmen zahlten sie bis zum Schluss die Rechnungen, sagte ein Kriminalbeamter damals aus.

Sie jettet rund um die Welt

Zu jenem Zeitpunkt jettet Ruja Ignatova schon in einem „Coin Rush“ sechs Monate lang um die Welt, um Geld von Anlegern für ihre angebliche Kryptowährung einzusammeln. Die fortan stets eine Spur zu elegant auftretende Geschäftsfrau verspricht, „One-Coin“ werde der „Bitcoin-Killer“ werden, schneller wachsen und besser sein.

Sie reist nach Amerika und Asien. Sogar in China und Indien geben ihr Anleger zig Millionen. Selbst in Afrika wird massiv geworben. 2016 tritt die Bulgarin mit großem Brimborium vor Tausenden in der Wembley Arena in London auf, um für ihre Internet-Währung zu werben. Die Menschen jubeln ihr zu.

Tom Jones singt bei der Party

Das Ganze hat etwas Sektenartiges. Und es gibt diese Videos von ihrer Geburtstagsparty in London. Schampus wird massenhaft ausgeschenkt, zum Essen werden Sushi, Roastbeef und andere Leckereien gereicht.

Elegant gekleidete Menschen lächeln in die Kameras, der berühmte Sänger Tom Jones tritt auf. Und mittendrin steigt Ruja Ignatova aus einem Rolls-Royce. Erst heute ist klar, dass hinter dieser Showfassade wohl ein Mega-Betrug steckt.