Noch ist kein Impfstoff gegen Covid-19 in Europa zugelassen. Mehrere Studien laufen, doch bis zu einer Zulassung dürfte es noch dauern. Dennoch gibt es schon jetzt vermeintliche Experten im Internet, die über YouTube und Facebook ihre Zuhörerschaft aufklären wollen, wie gefährlich der neue Impfstoff sei.
Dass unterschiedliche Studien zu unterschiedlichen Impfstoffen laufen, fällt dabei meist unter den Tisch: Derzeit sind allein im EU-Register für klinische Studien zehn Studien zu einem Impfstoff gegen Covid-19 gemeldet.
Maschinenbauer gibt sich als Impfexperte
Auf YouTube spekulieren Menschen wie Horst Lüning über die Gefährlichkeit der neuen Impfstoffe, obwohl diese noch gar nicht zugelassen sind. Der Maschinenbauer spricht in seinem YouTube-Kanal über vermeintlich verheimlichte Wahrheiten aus Wissenschaft und Politik. Er glaubt, die Gefahr der Impfungen gegen Covid-19 einschätzen zu können. Und, dass eine Zwangsimpfung drohen könnte.
Der Impfstoff sei nicht gut für den Körper, sagt er und spricht von angeblich schädlichen Proteinen. Schließlich könnte die EU den Impfpass zu einer Art Reisepass machen – so dass Menschen, die nicht gegen Covid-19 geimpft wurden, keine Flugreisen mehr antreten dürften. Nachweise für seine Behauptungen führt er gar nicht erst an.
Andere sind überzeugt, der Impfstoff verändere gar die menschlichen Gene, also die DNA.
Doch haben solche Behauptungen überhaupt eine Grundlage? Professor Carsten Watzl ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). Der SÜDKURIER spricht mit ihm über die Gerüchteküche rund um die neuen Impfstoffe gegen Covid-19 und was wirklich stimmt.
Stimmt es, dass Impfungen normalerweise mehr als ein Jahrzehnt brauchen?
Es dauert sicherlich häufig viele Jahre, bis man einen erfolgreichen Impfkandidaten hat, also einen Stoff, der potenziell zu einer Immunisierung gegen eine Krankheit führen kann. Diesen Kandidaten zu finden, ist die schwierigste Phase, bevor klinische Studien am Menschen überhaupt beginnen können. Denn an dem Impfkandidaten darf nichts mehr verändert werden, sobald die klinische Studie beginnt.
Bei der klinischen Studie gibt es drei Phasen: In Phase Eins geht es einzig darum, ob der Impfstoff sicher ist, in Phase Zwei, ob er einen Effekt hat und sich auch bei einer weitaus größeren Bevölkerungsgruppe als sicher erweist. Bei Phase 3 geht es um die tatsächliche Wirksamkeit gegen den Krankheitserreger. Es kommt oft vor, dass Studien in Phase 2 enden.
Werden bei den Impfstudien zu Covid-19 die Vorschriften ignoriert, um schneller einen Impfstoff auf den Markt bringen zu können?
Bei Corona laufen mehr als 100 verschiedene Strategien parallel. Dadurch kann ein wirksamer Impfstoff schneller gefunden werden. Aber es kostet viel Geld, vor allem, weil nicht alles funktionieren wird. Es gibt Krankheiten, für die es bis heute keinen Impfstoff gibt, wie bei HIV. Aber bei Corona handelt es sich nicht um ein Virus, das sehr kompliziert ist.
Ich kann verstehen, dass manche Menschen den Eindruck gewinnen, dass die Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19 zu schnell geht, sicherlich, wenn die Politik Impfstudien fördert und der öffentliche Druck so hoch ist.
Aber gerade hier in Deutschland und in Europa sind unabhängige Zulassungsbehörden zuständig, um die Sicherheit der Impfstoffe zu garantieren. Sie steht an erster Stelle. Es werden keine kritischen Schritte ausgelassen. Ein Impfstoff, wie er in Russland zugelassen wurde, würde hierzulande nicht zugelassen werden.

Wird ein Impfstoff mit vielen Nebenwirkungen also nicht zugelassen?
Impfstoffe sind keine Medikamente, mit denen man Krankheiten behandelt. Bei einer Krankheit nehme ich ein Medikament und nehme dabei gewisse Nebenwirkungen in Kauf, weil sie weniger schlimm sind als die Krankheit selbst. Bei einer Impfung ist die Schwelle viel höher, da gesunde Menschen behandelt werden. Dementsprechend werden Impfstoffe ganz genau auf Nebenwirkungen geprüft. Und selbst wenn ein Impfstoff zugelassen ist, heißt das nicht, dass er auf dem Markt bleibt. Er wird weiter überwacht und sollte es Verdachtsfälle geben, wird er erneut überprüft. Ein Impfstoff könnte dann immer noch zurückgerufen werden.
Es heißt, die neuen Impfstoffe könnten die Erbinformation des menschlichen Körpers verändern. Stimmt das?
Nein, absolut nicht. Man kann darauf kommen, weil normalerweise traditionelle Impfungen darauf beruhen, den Erreger in abgeschwächter Form zu verabreichen. Damit ist die gesamte Information des Erregers da, ohne dass der Körper krank wird. Das funktioniert beispielsweise bei der Grippe. Der Erreger wird in Hühnereiern vermehrt und dann in abgetöteter und geschwächter Form verabreicht.
Bei Corona wird sogar nur ein Bruchteil der Erbinformation entnommen, die sogenannte RNA. Die ist sehr instabil, geht also leicht kaputt. Deshalb gibt es Methoden, diese Informationen so zu verpacken, dass sie stabiler sind. Die menschlichen Zellen produzieren dann aus dieser Erbinformation selber einen Teil des Virus, was die Immunreaktion in Gang bringt. Aber die RNA selbst wird nicht in die menschliche Zelle eingebaut. Technisch ist es auch gar nicht möglich, dass sie die menschliche DNA verändert.
Wenn diese Methode so sicher ist, warum wurde sie dann bisher nicht genutzt?
Es stimmt zwar, dass es bislang keinen zugelassenen Impfstoff gibt, der auf RNA basiert. Aber die Methode ist nicht ganz neu. Sie wird bereits seit Jahren erprobt und wurde genau für Fälle wie die Corona-Pandemie entwickelt, um schnell reagieren zu können. Denn mit der neuen Methode lassen sich große Mengen des Impfstoffs viel schneller herstellen als mit der traditionellen Methode, bei der Viren erst reproduziert, isoliert und dann abgeschwächt werden müssen.
Das heißt aber nicht, dass die traditionellen Methoden nicht mehr genutzt werden. Diese Methoden werden ebenfalls erprobt, brauchen aber etwas länger als die RNA-Methode.
Wie gefährlich sind die neuartigen Impfstoffe denn wirklich?
Die Technologie hat einen großen Vorteil: Bei einer herkömmlichen Impfung mit einem abgeschwächten Erreger kommt es trotzdem zu einer gewissen Infektion, die der Körper bekämpfen muss. Daher reagiert das Immunsystem.
Wenn ich nur ein Bruchstück des Erregers spritze, reagiert der Körper nicht. Deshalb werden Hilfsstoffe hinzugefügt, der dem Körper eine Infektion vorspielt. Diese Art von Hilfsstoffen wird immer sehr kritisch diskutiert, da diese auch Nebenwirkungen verursachen könnten.
Bei den neuen RNA-Impfstoffen kann man aber sogar darauf verzichten, weil die RNA allein schon ein Warnsignal für den Körper ist. Deshalb kann es sein, dass die Methode sogar Vorteile hat. Die derzeitigen Daten sprechen jedenfalls dafür: Die Probanden zeigen Antikörperantworten ohne große Nebenwirkungen.
Stimmt es, dass der Impfstoff dazu führen könnte, dass die weißen Blutkörperchen, die Teil der Immunabwehr sind, zurückgehen?
Nein. Bei der akuten Infektion mit dem Coronavirus wird das oft beobachtet. Bei der Impfung verändert sich aber die Anzahl der weißen Blutkörperchen nicht.
Welche Nebenwirkungen kann die neue Impfung hervorrufen?
Grundsätzlich erwartet man bei Impfungen natürlich gewisse Reaktionen des Körpers – eben weil eine Infektion simuliert wird und das Immunsystem reagieren soll. Dadurch kann es eben zu Rötungen an der Einstichstelle, zu Muskelschmerzen rund um die Einstichstelle, zu Fieber oder Abgeschlagenheit führen. Aber diese Nebenwirkungen sind weder außergewöhnlich noch besorgniserregend, sondern eher ein Anzeichen, dass die Impfung wirkt.
Droht uns wirklich eine Impfpflicht?
Das glaube ich nicht. Ein Zwang geht meist nach hinten los. In Deutschland bekämen wir sofort Diskussionen um die Grundrechte, das Recht auf körperliche Unversehrtheit etwa. Hier ist Aufklärung wichtig.
Die Impfung ist das beste Medikament: Das sehen wir am Beispiel der Pocken, die weltweit ausgerottet sind. Auch Polio ist kaum noch ein Thema in Deutschland, bei Masern sind wir gerade dran. Solche Krankheiten sind gefährlich, auch wenn sie seltener werden. Einer von 1000 Masern-Infizierten kann daran sterben. Das realisieren die meisten Menschen gar nicht mehr. Und selbst bei einer überstandenen Infektion drohen Langzeitschäden. Bei einer Impfung hält der Schutz dagegen oft ein Leben lang. Das hat bislang keine andere Medizin geschafft. Der Nachteil bei erfolgreichen Impfungen: Die Menschen vergessen, wie es war, mit der Krankheit zu leben.
Geht es den Gesundheitsbehörden nur darum, so schnell wie möglich einen Impfstoff auf den Markt zu bringen – ganz egal, welche Folgen er haben könnte?
Das ist Unsinn. Vorschnell einen Impfkandidaten auf den Weg zu bringen, der womöglich Nebenwirkungen zeigen würde, würde dazu führen, dass sich niemand mehr mit einem noch so sicheren anderen Impfstoff gegen die Krankheit impfen lassen würde. Die Gesundheitsbehörden hätten also das Gegenteil erreicht von dem, was sie wollen: Schutz vor einer gefährlichen Krankheit zu bieten.
Will sich die Pharmaindustrie mit den Impfstoffen nicht einfach nur bereichern?
Sicher nicht. Denn ein Impfstoff ist für die Gesundheitssysteme die billigste Lösung – die meisten Impfungen werden einem Menschen ein bis zwei Mal verabreicht. Derzeit geht man davon aus, dass eine Dosis etwa zehn Euro kosten wird.
Die Pharmaindustrie verdient an chronischen Krankheiten viel mehr. Dieses Argument kann also nicht gelten. Ein plastisches Beispiel: Bei einer Krebstherapie, bei der spezielle Zellen für eine Patienten hergestellt werden müssen, reden wir von einer knappen halben Million Euro für die Behandlung. Das ist eine ganz andere Größenordnung.
Seriöse und aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums sowie auf der Informationsseite der Bundeszentrale für medizinische Aufklärung zum Infektionsschutz.