Im Schweizer Kanton St. Gallen waren sie vergangenen Sommer der Grund dafür, dass ein Fleischverkaufsverbot erlassen wurde – Rinder hatten auf belasteten Weiden gegrast. Im belgischen Städtchen Zwijndrecht, in dem der US-Chemiekonzern 3M eine Fabrik betreibt, wurde 2021 bekannt, dass der Boden weiträumig mit ihnen verseucht ist; bei hunderten Bewohnern fanden sie sich anschließend in gesundheitsgefährdender Dosis im Blut. Sie kennen keine Grenzen. Selbst in Eisbären und Pinguinen, die fern der Zivilisation leben, hat man sie schon gefunden.

PFAS nennen sich diese allgegenwärtigen Stoffe, das steht für „per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen“. Die Industrie hat in den vergangenen Jahrzehnten tausende Varianten davon entwickelt, die ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen. PFAS helfen der Outdoorjacke, bei Regen dichtzuhalten.

Sie werden Pestiziden beigegeben, um diese wirkungsvoller zu machen. Sie sorgen dafür, dass die Teflonpfanne nichts anbrennen lässt, und dafür, dass Löschschaum Brände beendet. Ohne PFAS-Beschichtung würde der Coffee to go seinem Namen alle Ehre machen und durch den Pappbecher dahingehen.

So gut wie nicht abbaubar

Flüssigkeits- und schmutzabweisende PFAS machen unseren Alltag bequemer. Doch wenn sie die ihnen zugedachte Funktion erfüllt haben, werden sie von der Lösung zum Problem. Denn PFAS sind künstliche Stoffe, die in der Natur nicht vorkommen – und auf natürlichem Weg so gut wie nicht abbaubar sind. Das hat ihnen den Spitznamen „Ewigkeitschemikalien“ eingebracht.

„PFAS reichern sich mehr und mehr in der Umwelt an – so lange, bis sie bestimmte Grenzwerte überschreiten und zur Gefahr werden“, sagt Zhanyun Wang, Wissenschaftler in der „Gruppe für Umweltrisikobewertung und -management“ an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) im schweizerischen St. Gallen. In vielen Fällen, so Wang, sei das bereits passiert. Und die Problemstoffe sind oft mobil. „In vielen Regionen der Welt ist Regenwasser schon so PFAS-haltig, dass man es nicht mehr bedenkenlos trinken kann.“

Auch in vielen Pfannen werden Ewigkeitschemikalien verarbeitet.
Auch in vielen Pfannen werden Ewigkeitschemikalien verarbeitet. | Bild: Isabella Finholdt

Selbst jenes Lebensmittel, das – gewonnen aus geschützten, tiefgelegenen Gesteinsschichten – wie kein zweites natürliche Reinheit verspricht, kann dieses Versprechen nicht länger halten: Eine Ende 2024 veröffentlichte Untersuchung des Pesticide Action Network Europe zeigte, dass zehn von 19 getesteten europäischen Mineralwässern Spuren von PFAS enthielten.

Impfungen verlieren ihre Wirkung

Da es so viele verschiedene Ewigkeitschemikalien gibt, lässt sich zu ihrer Giftigkeit nichts Generelles sagen. Von manchen PFAS weiß man, dass sie zu erhöhten Cholesterinwerten führen, andere beeinträchtigen das Immunsystem oder vermindern die Wirkung von Impfungen – auch bei Babys, die PFAS über die Muttermilch aufnehmen. „Nicht alle PFAS sind gleich toxisch“, so Wang. „Aber die bisher verfügbaren Studien legen nahe, dass alle PFAS einen gewissen Grad an Giftigkeit oder Potenzial zur Schädigung der Umwelt aufweisen.“

In einem schweinchenfarbenen Gebäude im Gewerbegebiet von Schlieren, zwei Tramstationen vor den Toren Zürichs, wächst seit kurzem ein Start-up namens Oxyle heran, das für die Lösung, die zum Problem geworden ist, wieder eine Lösung gefunden hat.

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Ein Laborraum. Ein paar schwarze Pellets, die in einen wassergefüllten Plastikkolben purzeln. „Die Pellets sind unsere Technologie“, sagt Oxyle-Verfahrenstechnikingenieur Antoine Brison. Dann aktiviert er das System. Luftbläschen lassen die Hightech-Pellets im Wasser auf und ab tanzen, es blubbert und klackert ein bisschen, ansonsten passiert: nichts. So unscheinbar können Innovationssprünge daherkommen.

Bisher gebräuchliche Anti-PFAS-Methoden verlagern das Problem oft nur: Man versucht, die Ewigkeitschemikalien per Aktivkohle oder Filtration aus dem Boden oder dem Wasser zu bekommen – hat im Erfolgsfall aber hochkonzentrierten Giftmüll, der entweder deponiert oder verbrannt werden muss. Beides ist aufwendig, teuer und birgt die Gefahr, dass die extrem langlebigen Chemikalien zurück in den Wasserkreislauf gelangen. Oxyle hingegen hat einen Katalysator entwickelt, der PFAS aufspaltet und in unbedenkliche Mineralien zerlegt. „Aus ewig wird endlich“, sagt Fajer Mushtaq, Chefin und Mitgründerin von Oxyle.

Sauberes Wasser? Keine Selbstverständlichkeit

Geboren wurde Mushtaq in Kaschmir, einer Hochgebirgsregion im Norden Indiens, reich an politischen Unruhen, aber auch an unberührter Natur. Als Kind zog sie mit ihrer Familie in die Millionenmetropole Delhi; ihre Eltern wollten für sie und ihre Schwester eine gute Schulbildung.

In der indischen Hauptstadt gab es bessere Schulen als in ihrer konfliktgeschundenen Heimatprovinz. Doch die Flüsse dort waren Kloaken. Und was aus dem Wasserhahn sprudelte, war nicht trinkbar – sofern überhaupt etwas sprudelte. In den Sommermonaten blieb der Wasserhahn oft trocken. Dieser Mangel an Trinkwasser, sagt Mushtaq, habe bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Auf einmal begriff ich, dass sauberes Wasser nicht selbstverständlich ist.“

Bei Oxyle forschen Wissenschaftler an einer Lösung für das PFAS-Problem.
Bei Oxyle forschen Wissenschaftler an einer Lösung für das PFAS-Problem. | Bild: Isabella Finholdt

Mit 17 Jahren ging Mushtaq nach Großbritannien, studierte Elektrotechnik, zog anschließend weiter in die Schweiz, für ein Masterstudium in Mikro- und Nanosystemen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Ausgangspunkt der Oxyle-Gründung war Mushtaqs dortige Doktorarbeit. „Mein Professor stellte mir das Thema der Arbeit frei“, erzählt sie. „Er sagte lediglich: Widme dich einem Thema, das dir wirklich etwas bedeutet.“ Diese akademische Freiheit nutzte sie, um sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: verschmutztes Wasser zu reinigen.

Ein Nebenprodukt ihrer Doktorarbeit war das Patent für einen neuartigen Nano-Katalysator – das Herzstück von Oxyle. Die Firma gründete Mushtaq im Mai 2020 gemeinsam mit Silvan Staufert, der für seine Dissertation in einem benachbarten ETH-Labor forschte. Noch im ersten Jahr des Bestehens erhielt das Start-up mehr als zwei Millionen Euro aus einem Innovationsförderprogramm der EU. Anfang 2025, nicht einmal fünf Jahre später, hat Oxyle rund 26 Millionen Euro an Fördergeldern und Risikokapital eingesammelt.

Schwarze Pellets bringen Hoffnung

Dass so viele Menschen so große Hoffnungen in eine so junge, kleine Firma setzen, wundert das Gründerteam nicht. „Was wir anbieten, verändert die Spielregeln der Branche“, sagt Mushtaq selbstbewusst. Der Schlüssel für das neuartige System sind die unscheinbaren schwarzen Pellets. Sie bestehen aus nanoporösem Katalysatormaterial, das über eine riesige Oberfläche verfügt, an der die PFAS andocken. Aktiviert wird dieser Katalysator allein durch die Turbulenzen des Wassers – und zersetzt die Problemchemikalien dann in unproblematische Nebenprodukte wie Fluorid- und Sulfat-Ionen sowie Kohlendioxid.

In Outdoorkleidung sind oftmals Ewigkeitschemikalien verarbeitet.
In Outdoorkleidung sind oftmals Ewigkeitschemikalien verarbeitet. | Bild: Lino Mirgeler

„Unser Feststoffkatalysator baut 99 Prozent der PFAS in harmlose, mineralisierte Produkte ab“, erklärt Silvan Staufert, Mushtaqs Co-Gründer. Ein zweiter Vorteil, mit dem Oxyle punkten kann, geht auf seine Forschungsarbeit an der ETH Zürich zurück: ein Analysegerät, das es ermöglicht, den Fortschritt bei der PFAS-Reinigung fast in Echtzeit zu messen. Ein deutlicher Zeitvorteil gegenüber dem bisher üblichen Verfahren, Proben zu nehmen und an ein Labor zu senden; Ergebnisse liegen dann erst Tage oder gar Wochen später vor.

Dank der Fast-Echtzeit-Überwachungstechnologie lässt sich der Sanierungsprozess zudem immer wieder nachjustieren. „Dadurch ergibt sich zusätzliches Einsparpotenzial bei den Energiekosten, da die Intensität der Behandlung an schwankende PFAS-Eingangskonzentrationen angepasst werden kann“, sagt Staufert.

Ein langer Weg zum sauberen Trinkwasser

Dem stimmt auch Anett Georgi zu. Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig leitet die Chemikerin eine Arbeitsgruppe, die auf neue Verfahren für die Wasserreinigung spezialisiert ist. In dem Echtzeitüberwachungssystem von Oxyle sieht sie eine „erstaunliche Neuheit“, Vergleichbares sei bisher im Anwendungsmaßstab nicht verfügbar.

Nachdem Oxyle die neuartige Anti-PFAS-Technologie in den vergangenen Jahren bereits im Labormaßstab getestet und verfeinert hat, ging im Herbst 2024 die erste Großanlage in Betrieb: in einem Schweizer Industriepark, wo bei Brandschutzübungen eingesetzter PFAS-haltiger Feuerlöschschaum das Grundwasser verunreinigt hat.

In einem rund sieben Meter langen Container steht dort nun ein Oxyle-Katalysator und reinigt bis zu zehn Kubikmeter kontaminiertes Wasser pro Stunde. Ein „Meilenstein“, sagt Fajer Mushtaq. Denn damit haben sie und ihr Team gezeigt, dass ihre Idee auch in einer Größenordnung funktioniert, die praktische Anwendungen möglich macht. Um 50 oder 100 Kubikmeter Wasser pro Stunde von PFAS zu reinigen, kann man fünf oder zehn dieser Containermodule kombinieren.

„Derzeit konzentrieren wir uns vor allem auf kontaminiertes Grundwasser, Oberflächenwasser und Bodenwaschwasser mit einer maximalen Kapazität von 100 Kubikmetern pro Stunde“, sagt Silvan Staufert. Um auch Trinkwasserquellen PFAS-frei zu bekommen, müsste die Technologie Tausende Kubikmeter pro Stunde reinigen können. Dafür bräuchte es weitere Millioneninvestitionen, Prozessoptimierungen, Testreihen. „Ein zukünftiges Ziel“ nennt es Staufert. Es liegt noch ein paar Meilensteine entfernt. Aber immerhin, die ersten Schritte auf dem Weg weg von der Ewigkeit sind gemacht.