Bei den Nachrichten, die dieser Tage durch japanische Medien gehen, kann man sich an schlechtere Zeiten erinnert fühlen. Die Ältesten im Land könnten sogar an die Wochen und Monate nach dem Zweiten Weltkrieg denken, als in Japan Hunger herrschte.
Seit Ende Juli ist nämlich bekannt: In Japan wird Reis gerade zur knappen Ware. Und in einem Land, wo die meisten traditionellen Gerichte ohne das Getreide nicht auskommen, kann das Existenzängste hervorrufen.
Ende Juli hat Japans Regierung Zahlen veröffentlicht, nach denen die Reisvorräte im Juni nur noch bei 1,56 Millionen Tonnen lagen, der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1999. Im Vergleich zum Vorjahr waren die Vorräte um 20 Prozent gefallen.
Entsprechend sind die Preise zuletzt um 18 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr gestiegen, erreichten gar ein 30-Jahreshoch. In Supermärkten sind dort, wo eigentlich Reis angeboten wird, teils leere Regale zu sehen.
Dem Reis ist zu heiß
Ein Grundlebensmittel wird knapp – ein Horrorszenario und klingt absurd in einem Land, das so wohlhabend ist wie die Industrienation Japan. Zumal Reis in Japan nicht nur das bedeutendste Lebensmittel ist, sondern auch Gegenstand nationaler Identifikation.
Die Menschen im Land sind stolz auf ihren Reis, den sie geschmacklich klar von jenem aus Thailand, Vietnam oder anderswoher unterscheiden können. Das Wort „gohan“ bedeutet auf Japanisch nicht nur Reis, sondern auch Essen generell.

Als entscheidend für derzeitige Mangelerscheinungen hat die Regierung hohe Temperaturen genannt. 2023 verzeichnete Japan den heißesten September – ein wichtiger Monat für die Reisernte – seit Beginn der Aufzeichnungen vor 125 Jahren. „Die Hauptgründe hinter dem Rekordtief bei den Vorräten ist eine Abnahme der Produktion im letzten Jahr wegen hoher Temperaturen sowie Wassermangel“, so ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums.
Hamsterkäufe und Tourismusboom
Hinzu kommt eine grundsätzlichere Unruhe, die sich in Japan über die vergangenen Wochen ausgebreitet hat. Anfang August erlitt der Südwesten des Landes ein größeres Erdbeben. Ein neues Warnsystem gab darauf erstmals die Information heraus, dass die Wahrscheinlichkeit für ein sehr starkes Beben in ganz Japan, gestiegen sei. An den Tagen danach begannen Hamsterkäufe und die Regierung versuchte die Bevölkerung zu beruhigen.
Als weiterer Grund für die Verknappung gilt ein Tourismusboom. Inmitten des anhaltenden Trends der alternden und schrumpfenden Bevölkerung, der Wirtschaftswachstum erschwert, beschloss die Regierung vor gut einem Jahrzehnt, den Tourismus zu fördern.
Durch große Kampagnen wurde Japans einzigartige Kultur und Kulinarik weltweit beworben. Mit großem Erfolg: 2011 kamen 6,2 Millionen Touristen ins Land. Für 2024 wird der Rekordwert von 35 Millionen erwartet.
Reisende aus dem Ausland bestellen mit Vorliebe traditionelle japanische Spezialitäten wie Sushi, Don-Gerichte, aber auch Reiskuchen oder Tee auf Reisbasis. Die Liste beliebter Gerichte, die ohne Reis nicht auskämen, ist lang.
Der Anstieg des Fremdenverkehrs ist in Japan so deutlich spürbar, dass die Verbindungen zwischen Touristinnen und steigenden Preisen schon intuitiv Sinn ergibt. Der wichtigste Grund ist sie aber kaum.
Urbanisierung und Trend gegen Reis
Vielmehr steht die Reisproduktion auch ohne Touristen – und ohne Klimawandel – vor großen Herausforderungen. Entscheidend sind die alternde Gesellschaft und die Urbanisierung. Junge Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind, hat es über die Jahrzehnte in die Städte gezogen, wo das Bildungs- und Unterhaltungsangebot größer ist. Im ohnehin von Arbeitskräftemangel geprägten Japan ringt die Landwirtschaft also besonders um Menschen.
Hinzu kommt, dass sich über die Jahre auch der japanische Appetit verändert hat. Mit wachsendem Einfluss der Globalisierung essen die Menschen in Japan zusehends auch Kohlenhydratprodukte wie Brot oder Nudeln. Dieser Trend hat den Job des Reisbauern unter jüngeren Menschen unbeliebter gemacht. Der Anbau von Reis wird zwar staatlich gefördert. Aber als modern galten zusehends andere Lebensmittel. Einstige Reisfelder werden teils von der Natur zurückerobert.
Im vergangenen Jahr stieg die Reisnachfrage wieder, erstmals seit zehn Jahren. Dies fällt in die Zeit, nach der Pandemie, auf die Japan mit strengen Grenzschließungen reagiert hatte, in der der Tourismus boomt. Unmittelbare Entwarnung gibt es noch nicht.
Bis in den September, wenn neuer Reis geerntet werden soll, dürfte die Knappheit andauern. Danach beginnt im Oktober der japanische Herbst und eine wichtige Saison für den Tourismus.