Uli Fricker, Nils Köhler

Herr Bartsch, die Flüchtlingskrise 2015 hat Deutschland erschüttert. Von vielen wurden diese Monate eher negativ wahrgenommen. Sehen Sie auch positive Impulse?

Oh ja. Vorhin erst war ich bei der Integrationsbeauftragten der Stadt Konstanz und dem Initiator von Projekt 83, das privaten Wohnraum für Flüchtlinge vermittelt, und dabei wichtige Brücken schlägt. Das zeigte mir, welch große Fortschritte gemacht wurden. Flüchtlinge sollen nicht nur Hilfsempfänger sein, sondern sich integrieren und auch einbringen. Ich sprach vorhin mit einem Syrer, der inzwischen fließend Deutsch spricht. Der Mann ist angekommen, in vielen Fällen geht die Integration sehr gut voran.

Dominik Bartsch, UNHCR Deutschland
Dominik Bartsch, UNHCR Deutschland | Bild: Fricker, Ulrich

Bleiben wir bei dem Syrer: Ein junger Mann, er lernt schnell und stellt sich geschickt an. Doch genau diese Menschen fehlen in seiner syrischen Heimat, die eines Tages wieder aufgebaut wird. Ist das der richtige Weg?

Wenn es darum geht, Schutz für Menschen zu gewähren, die vor einem Krieg geflohen sind, dann stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Ein Leben in Sicherheit für alle ist in Syrien zurzeit nicht möglich. Die Frage wird sich eines Tages aber sehr wohl stellen, wenn sich die Situation befriedet hat. Dann werden sich viele fragen: Gehen wir zurück? Ich gehe davon aus, dass viele Menschen, die derzeit in Deutschland leben, sich mit dieser Frage beschäftigen. Sie werden zurück wollen – und können dann ihre Erfahrungen und Kenntnisse beim Wiederaufbau ihrer Heimat einbringen.

Wie stehen die Vereinten Nationen (UN) dazu ?

Ich vertrete den UNHCR – das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Wir unterstützen Flüchtlinge, wenn sie zurückkehren wollen. Aber die Rückkehr muss freiwillig geschehen. Das kann nur dann geschehen, wenn die Gründe, die damals zur Flucht geführt haben, entfallen sind. Am Anfang meiner Laufbahn beim UNHCR war ich für Mosambik zuständig. Das ist ein Land, das 27 Jahre lang im Bürgerkrieg stand und dann zum Frieden kam. Seinerzeit lebten 1,2 Millionen Mosambikaner in den Nachbarländern. Viele wurden im Exil geboren, sie waren nie in ihrem Heimatland. 1994 kehrten tatsächlich alle wieder zurück. Dabei war Mosambik damals noch in einigen Landstrichen vermint, es gab kein Gesundheitssystem, keine Schulen. Der Bezug zur Heimat ist eben doch sehr stark.

Bild 2: Die UN-Flüchtlingsorganisation lobt Deutschland: „Deutschland besitzt eine besondere Glaubwürdigkeit“, sagt UN-Diplomat Dominik Bartsch im Interview
Bild: Lena Klimkeit

Nicht alle, die um Asyl bitten, kommen aus Kriegsländern.

Bei jemand, der sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg macht, sieht es anders aus. Er hat eine andere Motivation. Kennen Sie das Übersee-Museum in Bremen? Dort sind die Lebenswege deutscher Auswanderer dokumentiert. Ihre wirtschaftliche Not war so groß, dass sie ihre Heimat verließen. Pfälzer oder Schwaben wanderten in großer Zahl aus. Wirtschaftsmigration ist normal, die Gründe sind nachvollziehbar.

Deutschland hat seit 2014 viele Flüchtlinge aufgenommen. Wie steht es im internationalen Vergleich da?

Deutschland hat ein sehr gut ausgebautes Asylsystem. Und es existieren umfassende rechtliche Vorgaben, was den Schutz von Flüchtlingen angeht. Freilich, manches ist verbesserungswürdig, ich denke da zum Beispiel an den Familiennachzug. Insgesamt ist die Bundesrepublik ein Vorreiter, es gibt aber auch Länder wie den Libanon, wo jeder fünfte Bewohner ein Flüchtling ist.

Ein Vorbild also?

Unbedingt! Deutschland besitzt eine besondere Glaubwürdigkeit, weil es nicht nur Geld gibt, sondern selbst vielen Menschen Schutz geboten hat. Außerdem unterstützt Deutschland die großen Aufnahmeländer in den Krisenregionen.

War der massenhafte Zustrom im Jahr 2015 ein Einzelfall? Oder kann sich das jederzeit wiederholen?

Flucht ist nicht steuerbar. Die meisten Menschen haben in den Nachbarländern Schutz gefunden. Dort sind die großen Herausforderungen, die Krise findet nicht in Europa statt.

Eine große Notunterkunft betrieb das  UNHCR im Kongo in Bukavu.
Eine große Notunterkunft betrieb das UNHCR im Kongo in Bukavu. | Bild: Oliver Berg

In Libyen spitzt sich die Lage zu. Afrikanische Binnenwanderer werden wie Vieh gehalten.

Die Lage in Libyen ist extrem kritisch. UNHCR beobachtet unglaubliche Verletzungen von Menschenrechten: Menschenhandel, Folter, Versklavung. Wo wir Zugang erhalten, versuchen wir, Schutzbedürftige zu evakuieren.

Als UN-Vertreter müssten sie auch in Libyen höchsten Respekt genießen. Die Türen müssten nur so auffliegen.

Dieser Staat befindet sich in einem Bürgerkrieg. Die Regierung hat keine Kontrolle über das gesamte Territorium. In Krisenregionen überall auf der Welt spüren wir: Der Respekt vor der Neutralität der Vereinten Nationen hat abgenommen. Unsere Mitarbeiter sind großen Gefahren ausgesetzt. Es gab Übergriffe auf UN-Mitarbeiter, auch Entführungen, sogar Morde an Kollegen.

Libyen ist eine Drehscheibe in den Wanderungsbewegungen zwischen Afrika und Europa.

Was wir wissen: dass Schleuser länderübergreifend organisiert sind. Kürzlich erhielt ich die Information, dass Schlepper im Nordosten Kenias für eine Reise nach Deutschland werben. Mit dem Angebot: „Reise jetzt – zahle später.“ Das ist verführerisch. Es hört sich wie ein gutes Angebot an. Dabei wissen die wenigsten, wie gefährlich ihre Reise ist. Schlepper sind in der Erpressung zusätzlicher Gelder brutal. Das ist ein kriminelles, transnationales Netzwerk.

Abschiebungen in Länder wie Afghanistan sind umstritten. Ist Afghanistan ein sicheres Rückkehrland?

Afghanistan stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Sicherheitslage hat sich stetig verschlechtert, das belegen viele UN-Berichte. Deswegen fordern wir, dass bei den Abschiebungen nach Afghanistan jeder Einzelfall auf Grundlage neuster Informationen sehr sorgfältig geprüft wird. Grundsätzlich aber sind wir nicht gegen Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern, die alle Rechtsmittel ausgeschöpft haben. Diese müssen auch zurückgeführt werden können.

Wer hat das Sagen in Libyen? Entwaffnete Kämpfer sitzen in einer Haftanstalt.
Wer hat das Sagen in Libyen? Entwaffnete Kämpfer sitzen in einer Haftanstalt. | Bild: dpa

Die Europawahl im Mai naht. Stehen wir vor einem Rechtsruck ? Stimmt sie das nachdenklich?

Uns treibt um, dass von bestimmten Parteien Politik auf dem Rücken von Schutzbedürftigen betrieben wird. Flüchtlinge werden nicht mehr als Opfer wahrgenommen, sondern als Kriminelle hingestellt. Manche Teile der Bevölkerung sehen diese Menschen schon negativ an, das ist doch absurd. Das vergiftet das Klima und es erschwert die Integration. Die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge ist aber immer noch enorm. Eben hat eine Umfrage ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen bereit ist, genauso viele oder sogar noch mehr Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind, aufzunehmen. Das stimmt mich zuversichtlich.