Die Trends könnten gegensätzlicher kaum sein: Während das Wirtschaftswachstum im Afrika südlich der Sahara 2016 auf wenig mehr als ein Prozent geschmolzen und damit auf das niedrigste Niveau in 20 Jahren gefallen ist, wächst die Zahl seiner Menschen mit 2,7 Prozent gegenwärtig fast doppelt so stark. Die Folge: Die Zahl der in Armut lebenden Afrikaner liegt heute, absolut betrachtet, höher als noch 1990. Kein Wunder, dass Millionen junger Afrikaner nach Lebenschancen jenseits ihrer Heimat suchen, immer öfter auch und gerade in Europa.
Besonders alarmierend ist, dass sich Afrikas Bevölkerungswachstum nicht annähernd so schnell verlangsamt wie Experten dies noch vor zehn Jahren erwartet hatten. Inzwischen geht die Uno davon aus, dass Afrika im Jahr 2050 rund 2,4 Milliarden und nur 50 Jahre bereits über vier Milliarden Menschen zählen wird. Sollte dies so kommen, werden am Ende dieses Jahrhundert fast 40 Prozent der Weltbevölkerung in Afrika leben – viermal mehr als Nordamerika und Europa zusammen.
Obwohl in den nächsten 80 Jahren viel passieren kann, steht keines der bevölkerungsreichen Länder in Afrika für Stabilität und Wohlstand. Eine Vervierfachung der Bevölkerung des Kontinents in weniger als drei Generationen dürfte die Lage jedenfalls nirgendwo verbessern. Stattdessen dürfte die Zahl der Afrikaner, die in Europa oder anderswo ein besseres Leben suchen, um ein Mehrfaches steigen. Dies liegt schon daran, dass Afrika einen immer größeren Anteil der jungen Menschen weltweit stellen wird: Im Jahr 2100 dürften hier fast die Hälfte aller Erdbewohner in der Altersgruppe unter 14 Jahre leben.
Dabei kann schon jetzt fast kein afrikanisches Land seine Bevölkerung selbst ernähren, geschweige denn ohne Industrie die notwendigen Jobs schaffen.
Groß ist in Europa deshalb die Sorge, dass nach der Migration aus Nahost nun auch der Zuzug aus Afrika völlig aus dem Ruder laufen könne, zumal die Ratlosigkeit über die richtige Strategie groß ist. Sicher ist nur, dass die Bekämpfung der Fluchtursachen wie sie gerade auf der großen Afrikakonferenz in Berlin debattiert wird, ein sehr langfristiges Unterfangen sein dürfte. Sicher ist aber auch, dass ein stärkeres Engagement des westlichen Privatsektors in Afrika nicht den nun dringend notwendigen, rigorosen Schutz von Europas Außengrenzen ersetzen kann.
Wie stark der Traum von einer besseren Zukunft im Westen in Afrika ist, zeigen die aktuellen Zahlen: So kamen in den ersten drei Monaten fast 50 Prozent mehr Afrikaner in die EU als noch Anfang vergangenen Jahres, fast alle nach Italien. Die Bundesregierung rechnet für ganz Europa mit bis zu 400 000 Flüchtlingen aus Afrika in diesem Jahr – und hat den Kontinent deshalb in ihrer Prioritätenliste weit nach oben gerückt.
Wer jedoch glaubt, der enorme Zuwachs würde sich mit etwas mehr Wohlstand in Afrika von selbst erledigen, unterliegt einem gefährlichen Trugschluss. Denn das patriarchalisch geprägte Afrika folgt eigenen kulturellen Regeln, die im Westen jedoch oft tabuisiert werden. Häufig entscheidet zum Beispiel allein der Mann über die Familienplanung. Nirgends ist der Druck auf kinderlose Frauen dadurch größer als in Afrika. So werden Frauen, die keine Kinder kriegen wollen oder können, oft verlassen. Um dies zu ändern, müssten die Machtstrukturen zwischen Mann und Frau in Afrika grundsätzlich reformiert werden. Doch das braucht Zeit, die Afrika nicht mehr hat.
Ob sich die Lage noch wenden lässt, hängt vor allem davon ab, ob der Westen seine vor allem kulturell bedingten Berührungsängste überwindet und Afrikas Führer gerade in Fragen der Bevölkerungskontrolle stärker als bislang in die Pflicht nimmt. Der immer größere Druck an den Außengrenzen der EU und das Wissen, dass sich Afrikas Wirtschaftslage – wenn überhaupt – nur sehr langfristig verbessern lässt, könnte im Westen gerade noch rechtzeitig zum Weckruf für eine realistischere Politik gegenüber dem Nachbarkontinent im Süden werden.
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