Liberia ist für Afrika Ausnahme und Fallstudie zugleich. Als der lange Bürgerkrieg dort vor 15 Jahren zu Ende ging, befand sich der 1822 von den USA für seine befreiten Sklaven geschaffene Staat in Auflösung: In 14 Kriegsjahren waren rund 250 000 der etwa 3 Millionen Liberianer ums Leben gekommen, Hunderttausende vertrieben, und die Wirtschaft weitgehend zerstört worden. Zur Amtsübernahme von Ellen Johnson Sirleaf 2005 war Liberia wenig mehr als eine Staatsruine, ähnlich wie Somalia am Ostende Afrikas.
Umso ermutigender ist auf den ersten Blick die jüngste Entwicklung. Mit der Wahl des früheren Weltfußballers George Weah und seiner Vereidigung in dieser Woche war es in Liberia zum ersten friedlichen Machttransfer von einem gewählten Präsidenten zum nächsten in mehr als 70 Jahren gekommen. Durch ihren freiwilligen Rückzug nach zwei Amtszeiten widersetzt sich Ellen Johnson Sirleaf bewusst dem gegenwärtigen Trend einer Präsidentschaft auf Lebenszeit.
Obwohl ihre Amtszeit alles andere als ein strahlender Erfolg war, ist es Johnson Sirleaf zumindest gelungen, den kollabierten Staat wieder auf wacklige Beine zu stellen. Am wichtigsten für die insgesamt positive Bilanz der „eisernen Lady“ war dabei, dass sie sich von Beginn an um eine bessere Regierungsführung mühte. So wurde die oberste Verwaltungsebene mit handverlesenen und größtenteils kompetenten Technokraten besetzt. Auch duldete sie Widerspruch. Als ehemalige Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms für Afrika hatte sie zudem ein tiefes Wissen um die Präferenzen wie auch um den Schuldkomplex des Westens und nutzte dies dazu, Liberia zu einem Liebling der westlichen Geberländer zu machen.
Das Ergebnis sind neue Schulen und ein Ausbau der Infrastruktur. Auch wurden Liberia 2010 massiv Schulden erlassen. In der so bewirkten Ruhepause konnte die Volkswirtschaft zwischen 2006 und 2014 von einer sehr niedrigen Basis um durchschnittlich 7 Prozent wachsen – trotz der Ebola-Epidemie und einem Einbruch der Rohstoffpreise.
Anders als in Liberia ist die Demokratisierung in vielen anderen Teilen des Kontinents inzwischen zum Erliegen gekommen oder hat sich sogar ins Gegenteil verkehrt. Vielerorts hat sich stattdessen eine illiberale Pseudodemokratie etabliert, in der die Opposition dämonisiert und der Zugriff auf den Staat allein dazu genutzt wird, die von der Verfassung auferlegten Machtbeschränkungen zu beseitigen. Dies ist kein gutes Omen für einen Kontinent, dessen Institutionen ausgesprochen fragil sind und in dem die Korruption gesellschaftlich noch immer fest verankert ist.
Das jüngste Beispiel dafür ist Tansania, wo die Opposition von dem zunehmend autoritären Präsidenten John Magufuli massiv drangsalisiert wird. Dies ist umso deprimierender, als Tansania bislang zu den wenigen Ländern zählte, wo es weder einen Bürgerkrieg noch eine Militärdiktatur gab. Doch seit der Wahl des neuen Präsidenten im Jahr 2015 steht die Zivilgesellschaft unter Druck: Inzwischen ist Tansania ein weiteres Lehrstück dafür, wie sehr ein zu starker Präsident bei gleichzeitig schwachen Institutionen ein Staatswesen um Jahre zurückwerfen kann.
Wenn ein Neubeginn in Afrika fruchten soll, muss auch beim Gemeinwohl angesetzt werden. So wird in Studien immer wieder davor gewarnt, dass der Kontinent bei seinem gegenwärtigen Entwicklungstempo noch mindestens weitere 100 Jahre bräuchte, um die ursprünglich bereits für 2015 angestrebten Ziele zum Abbau der Armut zu erreichen. Nichts ist dabei ein größeres Hindernis als die Bevölkerungsexplosion in Afrika: Gegenwärtig wächst seine Bevölkerung alle zehn Tage um mehr als 1 Million Menschen – das können seine agrarlastigen Volkswirtschaften nicht annähernd absorbieren. Und es sind genau die damit begründeten trüben Aussichten, die viele junge Afrikaner in die Ferne treiben.
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