Wer ein bisschen herum kommt in Deutschland, ist immer wieder aufs Neue erstaunt über die enorme Vielfalt der Regionen. Vom regionalen Klima über Landschaften bis zu den Menschen mit ihrer eigenen regionalen Geschichte, ihrer Tradition, ihrer Sprache: Deutschland ist ein großartiges Mosaik. Politisch ist dies in seiner Verfassung als Föderales System verankert. Das Nationale, historisch in Deutschland spät gewonnen und im Nationalsozialismus grausam zerronnen, ist im Grundgesetz als Föderalismus gebändigt.
Grundsteuerreform im Visier der Gleichheits-Ideologen
Umso mehr Misstrauen sollte die schleichende Tendenz hin zu zentralstaatlichen Regelungen jenseits bestehender Bundeskompetenzen hervorrufen. Gewiss, mit der Reform der Grundsteuer hat der Föderalismus auf Initiative Baden-Württembergs und Bayerns zuletzt ein starkes Signal gesetzt. Dass jedes Bundesland eine Öffnungsklausel für die Anwendung dieser Kommunal-Steuer erhält, ist höchst sinnvoll. Aber das Sinnvolle durchzusetzen war alles andere als selbstverständlich. Nötig war ein Kraftakt unter höchstem Zeitdruck – gegen die notorischen Berliner Gleichheits-Ideologen, die jedes Thema nutzen, um das föderale System zur Einebnung der regionalen Unterschiede zentralistisch zu untergraben.
Kultur und Bildung bedürfen eines besonderen Schutzes
Dass in Berlin die Bezeichnung „Bundeskulturminister“ längst zum Sprachgebrauch gehört, muss jeden Föderalisten alarmieren. Kultur und Bildung, vom Grundgesetz in die Hoheit der Länder gelegt, sind ein Hauptbetätigungsfeld für die Verfechter der unbedingten Egalität. Unter dem Deckmantel finanzieller Sonderzuwendungen frisst sich der Bund hochschulpolitisch in die Länderkompetenz, unterstützt vom Vereinheitlichungsfuror namens „Bologna“. In dieser ideologischen Methodik ist Vergleichbarkeit erst gegeben, wenn alles über einen Kamm geschoren ist. Man kann sehr wohl Äpfel mit Birnen vergleichen – vor allem gute mit faulen.
Zentralabitur bedeutet niedrigeres Niveau
Gäbe es einen vernünftigen Wettbewerbs-Föderalismus, könnte das föderale System seine dynamische Kreativität gegenüber jeder Einheitslösung voll ausspielen. Beispiel Schulpolitik. Hier spiegeln Qualifizierungsstudien regelmäßig starke Unterschiede zwischen den Ländern. Gleichzeitig ertönt immer wieder der Ruf nach einem Zentralabitur. Glaubt jemand, dass dessen Anforderungen dann auf dem Niveau der besten Länder etabliert würden? Wohl kaum. Die schlechtesten, die sich in ihrer Unterdurchschnittlichkeit eingerichtet haben, weil sie traditionell Schulpolitik mit Gesellschaftspolitik verwechseln, würden die Standards bestimmen, schon wegen der „Chancengleichheit“. Möchte Baden-Württemberg wirklich seine Schulabgänger auf Berliner Bildungsniveau ins Leben entlassen?
Föderalismus ist mühsam, aber lohnend
Föderalismus ist – wie Demokratie – kompliziert, anstrengend und nicht selten lästig. Das Verhältnis zwischen nationaler und föderaler Ebene bedarf beständiger Justierung, etwa bei der inneren Sicherheit. Aber das Regionale ist auch ein großartiges Gegenmittel. Gegen Fremdsteuerung durch Zentralismus, Globalisierungsängste und Identitätsverlust. Übrigens auch gegen Populismus. Einheit in Vielfalt ist besser als Einfalt in Vielheit.
Der Autor Ernst Hebeker, 65, war lange Jahre stellvertretender Chefredakteur dieser Zeitung. Zuletzt arbeitete er als Sprecher des Deutschen Bundestages in Berlin.