Sehr geehrte Frau Rackete,

Sie sind taff und ich schätze taffe Frauen. Aber während der ganzen Woche war ich mir unsicher, ob ich mich auf die Seite Ihrer Helfer oder Gegner schlagen soll. Die Dinge sind komplex, und die Seefahrt – das wissen Sie als Kapitänin besser als ich – besonders. Vor allem, wenn es sich um politische Seefahrt handelt.

Vorbildlicher Einsatz

Denn nichts anderes als das sind die Rettungsaktionen vor Afrikas Küste, an denen Sie mit der „Sea-Watch“ teilgenommen haben. Auf den ersten Blick leben Sie echte Humanität. Sie retten Menschen, die ansonsten vermutlich sterben würden. Hut ab, das ist vorbildlich. Und Sie legen den Finger in die Wunde einer fatalen EU-Flüchtlingspolitik, der ein klarer Kompass fehlt und die nationalen Egoismen freie Hand lässt.

Dennoch gibt es Fragen

Aber auf den ersten folgt ja immer der zweite Blick. Da betrachte ich Ihr Handeln mit einiger Distanz und stelle Fragen: Sie wussten doch, dass es Ärger geben würde, wenn Sie Lampedusa ansteuern. Warum haben Sie es trotzdem getan und Ihrem Schiff sogar mit Gewalt Zugang zum Hafen verschafft? Obwohl die Italiener Kinder und Schwangere bereits aufgenommen hatten. Sie sagen, Männer hätten mit Selbstverstümmelung gedroht. Das nehme ich Ihnen nicht ab.

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Warum gerade nach Italien?

Denn es gab Alternativen. Haben Sie die überhaupt erwogen? Haben Sie an Spanien gedacht, das immer wieder Menschen aufgenommen hat? Haben Sie an Frankreich gedacht? Und warum sind Sie nicht wirklich konsequent und fahren einen deutschen Nordseehafen an? Oder einen niederländischen? Immerhin fahren Sie unter der Flagge unserer Nachbarn. Das hätte nicht nur Ihnen Arrest und Beleidigungen durch Matteo Salvini erspart, sondern uns allen eine schwere politische Verstimmung zwischen Rom und Berlin. Auf die habe ich keine Lust.

Ich verstehe die Italiener

Denn jetzt müssen wir Deutschen uns von Italiens Medien anhören, dass wir anderen wieder mal Lektionen in Sachen Moral erteilen. Der deutsche Schulmeister! Da, muss ich sagen, verstehe ich die Italiener. Die sollten nicht die Adressaten einer politischen Provokation sein, die Sie durch Ihre Aktion inszeniert haben. Und die – das ärgert mich wirklich – den Populisten im Land Auftrieb und ihnen noch mehr Zulauf verschafft.

Politische Demo-Odyssee

Deshalb sage ich: Wenn Sie ungeschoren aus dem Gerichtsverfahren herauskommen (was ich Ihnen wünsche), heuern Sie bitte bei der „Sea-Watch“ ab oder bringen Sie Menschen direkt zu uns. Wir brauchen keine privaten Schiffe auf politischer Demo-Odyssee. Vor allem dann nicht, wenn Ihre Touren den Schleusern satte Gewinne bringen.

Das Geschäft der Schleuser

Machen wir uns doch nichts vor. Sie stärken das Geschäft der Kriminellen, die natürlich wissen, dass Sie da draußen kreuzen. Denn wovon kaum einer spricht: Folge der restriktiven Politik Italiens ist, dass die Zahl der Ertrunkenen im Mittelmeer deutlich gesunken ist. Aber das wird von den Hilfsorganisationen vermutlich bestritten, denn dann müsste man ja den Populisten recht geben. Doch Erfolge bleiben Erfolge. Kommen Sie nun von links, rechts oder aus der Mitte.

Mit freundlichem Gruß, Alexander Michel, Politik-Redakteur des SÜDKURIER